Nutzer, Treibhausgas und mehrSo fällt die Zwischenbilanz zum 9-Euro-Ticket aus

Lesezeit 7 Minuten
9euroticket

Symbolbild

Köln – Rappelvolle Regionalbahnen, vor allem an den Wochenenden, Demonstrationen für eine Fortsetzung der billigen Fahrten. Bei den Kunden, die angesichts der hohen Energiepreise entlastet werden sollten, ist das 9-Euro-Ticket ausgesprochen gut angekommen. Im Juni, Juli und August hat es für jeweils neun Euro Monatsgebühr die Fahrt in allen öffentlichen Nahverkehrsmitteln in Deutschland ermöglicht. Ob es mit der Regionalbahn nach Sylt ging, in Naherholungsgebiete der Region oder bei einem Platzregen, den es in diesem Sommer ja auch gab, ein paar hundert Meter nach Hause.

Und auch der Verband der deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) ist zufrieden. „Das Ticket war sehr erfolgreich und es lohnt, sich über die Fortsetzung Gedanken zu machen“, sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff am Montag in Berlin. Luft nach oben gibt es aber auch noch. Wolff forderte ebenso wie mehrere Landesverkehrsminister und -ministerinnen zugleich mehr Investitionen, um das Angebot im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu verbessern.

Wolff präsentierte am Montag Zwischenergebnisse einer Studie, bei der wöchentlich 6000 Menschen ab 14 Jahren zu dem Ticket befragt worden waren. Eine wesentliche Erkenntnis sei, „dass wir viele Umsteiger haben“, sagte Wolff. Dem VDV zufolge wurden zehn Prozent der Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket für eine Strecke genutzt, die sonst mit dem Auto gefahren worden wäre. Insgesamt liege der Anteil der aus anderen Verkehrsmitteln verlagerten Fahrten bei 17 Prozent.

1,8 Millionen Tonnen Treibhausgas eingespart

Die Menge an eingespartem Treibhausgas schätzt der VDV auf 1,8 Millionen Tonnen. Es seien insgesamt rund 52 Millionen Tickets verkauft worden; weitere zehn Millionen seien an Menschen gegangen, die ohnehin schon ein Abonnement für ein Monatsticket hatten, führte Wolff aus. Er wies zugleich darauf hin, dass Menschen auf dem Land das Ticket oft nicht verwenden konnten. Der Hauptgrund, der von Menschen auf dem Land für den Nicht-Kauf des Fahrscheins genannt wurde, war demnach mit 37 Prozent der „fehlende Nutzungsanlass“. Dies zeige, dass man Preis und Qualität des Öffentlichen Personennahverkehrs „dringend zusammen diskutieren“ müsse, sagte Wolff. Es sei klar, „dass Kundschaft kommt, wenn das Produkt stimmt“.

Auch für Professor Volker Stölting von der TH Köln ist die Bilanz des Tickets positiv. Für eine endgültige Bewertung sei es zwar noch zu früh. „Neue Angebote müssen ein bis drei Jahre beobachtet werden, bis man erkennen kann, ob diese bei den Menschen im täglichen Leben angekommen sind“, so Stölting, zu dessen Lehrgebiet die Planung öffentlicher Verkehrssysteme gehört. Eine wichtige Erkenntnis sei aber, dass die Menschen es dankend angenommen haben, den öffentlichen Nahverkehr zu einem so günstigen Preis nutzen zu können. „Das heißt, es besteht Bedarf“, so der Wissenschaftler weiter.

Die Menschen hätten gemerkt, dass man sich auch mit dem öffentlichen Verkehr sehr gut bewegen könne. Auch Leute mit wenig Geld konnten Erledigungen machen, oder Ausflüge sowie Reisen unternehmen.

Kritik an sehr spontaner Umsetzung des Plans

Er verweist aber auch auf einen Geburtsfehler. Die Aktion sei relativ kurzfristig gewesen, so dass die Nahverkehrsunternehmen nicht wirklich darauf reagieren konnten. „Die Infrastruktur ist im Moment dafür definitiv nicht ausgelegt – und das führte teilweise zu chaotischen Zuständen“, so Stölting.

Wie auch die Verkehrsunternehmen weist er darauf hin, dass der öffentliche Nahverkehr, auch in den Großstädten, an der Kapazitätsgrenze ist. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dann lieferten den die Menschen , die vor allem zu Beginn der Ticketmaßnahme auf den Bahnsteigen stehen geblieben sind, weil sie einfach nicht mehr in den Zug gepasst haben.

ÖPNV muss leistungsfähiger werden

„Es geht also nicht nur darum, den ÖPNV attraktiver zu gestalten, sondern ihn auch leistungsfähiger zu machen“, so Stölting. Das geht nicht von heute auf morgen. „Das ist leider ein jahrelanger Prozess, der mehrere Milliarden Euro Geld kostet“, so Stöltig. Er verweist auf ein aufwendiges Planungsrecht in Deutschland, so dass viele Bauprojekte viel viel Zeit brauchen. Zusätzlich verschärfend wirkt, dass Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Fachkräfte aus dem Bausektor fehlen.

Zu tun gibt es eine Menge. In den letzten 20 bis 30 Jahren ist der Schienenverkehr in Deutschland nicht in dem Maße ausgebaut worden wie es hätte geschehen sollen. „Es müssten längere Bahnen fahren, ein Beispiel in Köln dafür ist die Ost-West-Strecke der Linien 1, 7 und 9. Dort werden zukünftig die Bahnsteige und Züge verlängert“, so Stölting. Insgesamt würden mehr Züge und dementsprechend auch mehr Gleise benötigt. Auch ergänzende Angebote seien nötig. „In Köln könnte eine Seilbahn gut dazu beitragen, den Rhein zu überqueren“, so Stölting.

Nachfolgeregelung gefordert

Investitionen in die Qualität finden auch die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz der Länder, die Bremer Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne), nötig. Letztlich ein Erfolg sei das 9-Euro-Tickets aber nur, „wenn es dann auch eine Nachfolgeregelung gibt“, so Schaefer. Vor einem Rückschritt warnt auch Stölting. Die Menschen müssten ein Angebot erhalten, so der Wissenschaftler. Das müsse nicht unbedingt die Fortführung des 9-Euro-Tickets sein. Da könne man sich schon wirklich überlegen, ob wir den ÖPNV nicht von vornherein kostenlos anbietet. Wenn alles so bleibt wie zuvor, würden die Menschen verschreckt. „Ein 365-Euro-Ticket, also ein Euro pro Tag, das gerade diskutiert und gefordert wird, wäre sicherlich ein richtiger Weg“, findet Stölting.

Die Kosten für Qualitätsverbesserungen können aber „nicht alleine auf die Länder abgewälzt werden“, forderte Schaefer ein finanzielles Engagement des Bundes. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) verlangte ebenfalls ein gemeinsames Engagement, um eine bessere ÖPNV-Qualität zu erreichen. Es sei klar, dass „ein billiges Ticket nichts taugt, wenn das Angebot schlecht ist“, sagte er auf der Pressekonferenz in Berlin. (raz/dpa)

Großes Interesse am günstigen Ticket auch in der Region

Bis Anfang August wurden im Verkehrsverbund Rhein-Sieg (VRS) 1,7 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft, berichtet ein Sprecher. Nicht eingerechnet sind Tickets, die über die Deutschen Bahn abgesetzt wurden. Profitiert hätte auch 600 000 Abo-Kunden, für deren Fahrscheine auch nur neun Euro im Monat abgebucht wurden. Andererseits seien wohl weniger normale Tickets verkauft worden. Eine genaue Auswertung liege aber noch nicht vor.

Schienennetz muss ausgebaut werden

Im regionalen Schienenverkehr, für den der Zweckverband Nahverkehr Rheinland zuständig ist, sei zumindest für den Juni eine Belebung zu beobachten gewesen, so der Sprecher. Da sei auch klar geworden, dass die Züge an der Kapazitätsgrenze verkehrten. Das Schienennetz müsse ausgebaut werden, wie es etwa im Bahnknoten Köln durch jeweils zwei zusätzliche Gleise am Hauptbahnhof und in Deutz geschehen soll. Auch die Zugsteuerung werde verbessert, damit mehr Züge auf der vorhandenen Infrastruktur verkehren könnten.

Für eine finale Bilanz sei es noch zu früh, heißt es auch bei der Regionalverkehr Köln (RVK). „Aber man kann grundsätzlich sagen, dass das 9-Euro-Ticket auf recht großes Interesse gestoßen ist“, sagte eine Sprechern. Nach dem ersten Run habe sich auch für den August nochmal großes Interesse abgezeichnet. Die Nachfrage sei von Juni bis August kontinuierlich angestiegen. Das Fahrgastaufkommen sei aber nicht viel höher gewesen.

Abo-Aktionen geplant

Wie die Abokundinnen und Abokunden reagieren, wenn es wieder Richtung Normalpreis gehen sollte, sei derzeit noch nicht abzuschätzen. Es folgt ja eine NRW Abo-Aktion im September und Oktober, die Fahrten in ganz NRW mit einem Abo-Ticket der Verkehrsverbünde an Wochenenden und in den Herbstferien erlaubt.

Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) haben in allen drei Monaten ähnlich viele Tickets verkauft. „Insbesondere zu Beginn der Angebotsphase fanden viele Fahrten im Freizeitverkehr statt“, sagte KVB-Chefin Stefanie Haaks. Das habe die KVB im Juni auch auf den Linien 16 und 18 zwischen Köln und Bonn gespürt, als es etwa viele Konzerte gab. Im innerstädtischen Verkehr habe es keine wesentliche Fahrgastzunahme gegeben.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ob Neukunden durch das Ticket gewonnen wurden, müsse noch genau untersucht werden. Haaks geht aber nicht davon aus, dass im Abo-Bereich relevant Kunden gewonnen wurden. Eher habe das 9-Euro-Ticket Bestandskunden subventioniert. Die starke Subventionierung findet sie aber kritisch. Von Juni bis August habe die KVB ein Minus von über 40 Millionen Euro gegenüber der Planung gemacht, was durch den bestehenden Rettungsschirm ausgeglichen werde. (raz)

Rundschau abonnieren