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Start-Up HelsingWie KI auf dem Schlachtfeld eingesetzt werden soll

6 min
„KI zum Schutze der Demokratie“: Gundbert Scherf, Mitgründer und Co-CEO von Helsing, steht an einem Modell einer HX-2-Drohne.

„KI zum Schutze der Demokratie“: Gundbert Scherf, Mitgründer und Co-CEO von Helsing, steht an einem Modell einer HX-2-Drohne. 

Das 2021 gegründete Münchner Start-up Helsing entwickelt KI-gestützte Verteidigungstechnologien und zählt nun zu Europas wertvollsten Unternehmen.

Kaum ein Passant würde im roten Backsteingebäude hinter dem Münchner Ostbahnhof ein Rüstungsunternehmen vermuten. Startups gibt es hier, Co-Working-Spaces, ein paar Kneipen – aber Verteidigung? Und doch passt das im März 2021 gegründete Unternehmen Helsing in das Gewerbegebiet. Es steht stellvertretend für eine in den letzten Jahren entstandene Szene junger Unternehmen, sogenannter Defence Techs, die die althergebrachte Rüstungsindustrie ergänzen durch die zunächst privat finanzierte Entwicklung innovativer digitaler Technologien.

Kerngeschäft von Helsing ist Software und insbesondere künstliche Intelligenz (KI). Traditionell habe die Rüstungsindustrie immer komplexere Hardware-Systeme entwickelt, auf die dann Software obendrauf gekommen sei. Das könne man gewissermaßen umdrehen, erklärte Gundbert Scherf, Co-CEO und einer der drei Gründer, am ersten Media Day des bisher sehr diskreten Unternehmens.

Scherf war zuvor als Sonderbeauftragter im deutschen Verteidigungsministerium und Partner des Beratungsunternehmens McKinsey tätig. Der Mitgründer und Co-CEO Torsten Reil, ein Biologe, hatte einst den britischen Videospiele-Entwickler Natural Motion mitgegründet. Der Dritte im Bunde, Niklas Köhler, kommt aus der KI-Forschung und ist Co-Leiter für Technik. Ähnlich unterschiedlich ist der Hintergrund vieler Mitarbeiter. Am Media Day treten ehemalige Offiziere verschiedener Streitkräfte ebenso auf wie Tech-Nerds mit Hipster-Bart oder Männer-Dutt.

Wertvollstes Start-Up in der EU

2021 habe kein Risikokapitalgeber mit ihnen sprechen wollen, sagt Reil. Die ersten 8,5 Millionen Euro für die Gründung hätten Family-Offices und Einzelpersonen aufgebracht. Damals, nach der ersten Trump-Präsidentschaft in den USA, hätten viele die Rückkehr einer gewissen Normalität erwartet, ergänzt Scherf. Die drei Gründer sahen das schon damals anders. Für sie sind Europa und die Demokratie „under attack“, und sie wollen „KI zum Schutze der Demokratie nutzen“.

Inzwischen hat unter anderem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine das Umfeld grundlegend verändert. Bei der letzten Finanzierungsrunde im Juni ist Helsing mit 12 Milliarden Euro bewertet worden und zählt damit zu den wertvollsten Startups in Europa. Am Münchner Hauptsitz und an weiteren Standorten in Europa beschäftigt das Unternehmen inzwischen rund 600 Mitarbeiter. Hinzu kommen 275 Beschäftigte der Grob Aircraft, eines Herstellers von Flugzeugen aus Verbundwerkstoffen im bayrischen Tussenhausen, deren Übernahme Helsing Anfang Juni angekündigt hat.

Erste Bekanntheit erlangt hat das Unternehmen als Lieferant von Einweg- oder Kamikaze-Drohnen für die Ukraine. Auf einen ersten Auftrag von 4000 Kampfdrohnen folgte im Februar 2025 die Ankündigung von Helsing, 6000 weitere Drohnen für die Ukraine zu produzieren. Dabei tritt Kiew als Auftraggeber auf, während Deutschland die Finanzierung übernimmt. 1950 Drohnen aus dem ersten Auftrag seien der Ukraine bereits übergeben worden, sagt Simon Brünjes, Vice President Sales bei Helsing.

Eine erste Generation von Kampfdrohnen namens HF-1 hat Helsing in Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern in der Ukraine gefertigt, wobei die Münchner die Software beigesteuert haben. Dieser Typ wird nun abgelöst durch eine vollständige Eigenentwicklung namens HX-2, die das Startup im Dezember vorgestellt hat.

Das Modell einer HX-2-Drohne ist bei Helsing ausgestellt.

Das Modell einer HX-2-Drohne ist bei Helsing ausgestellt.

HX-2 ist eine 12 kg schwere, elektronisch angetriebene Präzisionsdrohne. Laut Firmenangaben kann sie Artillerie, gepanzerte und andere militärische Ziele auf bis zu 100 Kilometer Reichweite bekämpfen. Der Einsatz von KI mache sie resistent gegen elektronische Kriegsführung und Störmaßnahmen. Werden zum Beispiel die GPS-Signale gestört, orientiert sich die Drohne durch den ständigen Abgleich von Bodenaufnahmen einer integrierten Kamera mit einer gespeicherten Karte.

Die Aufklärungs- und Steuerungssoftware Altra von Helsing ermöglicht es zudem, mehrere HX-2-Drohnen zu gemeinsam agierenden Schwärmen zusammenzufassen. Kontrolliert werden diese von einem menschlichen Bediener. Ähnliches betonen Firmenvertreter auch an anderer Stelle immer wieder, und es steht auch auf der Website des Startups: „Wir sehen es als einen unserer prinzipiellen Grundsätze an, dass ein Mensch bei allen kritischen Entscheidungen eingebunden sein muss.“

Das Konzept der „Resilienzfabriken“

Die HX-2 wird in der Ukraine die HF-1 ablösen. Zudem will sie unter anderen auch die Bundeswehr testen. Ein Beschaffungsentscheid ist aber noch nicht gefallen.

Für die Produktion der Drohne hat Helsing im Februar die Inbetriebnahme einer Fabrik an einem ungenannten Ort in Süddeutschland gemeldet. Deren Produktionskapazität beträgt laut Brünjes derzeit 450 Drohnen pro Monat und kann auf 1000 Stück erhöht werden. Es ist die erste sogenannte Resilienzfabrik des Unternehmens, eine zweite ist in Planung.

Helsing schwebt vor, an mehreren Standorten in Europa weitere solche Fabriken zu errichten, die im Konfliktfall Zehntausende Einheiten pro Monat zu bescheidenen Stückkosten produzieren könnten. Masse ist alles bei Drohnen. Resilienzfabriken definiert Helsing als geografisch verteilte, hocheffiziente Produktionsanlagen, die Nationalstaaten eine lokale und souveräne Fertigung kritischer Verteidigungsgüter ermöglichen, unter Nutzung lokaler Lieferketten und Arbeitskräfte.

Das Logo von Helsing. Das Rüstungsunternehmen hat sich auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffen- und Aufklärungssystemen spezialisiert.

Das Logo von Helsing. Das Rüstungsunternehmen hat sich auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Waffen- und Aufklärungssystemen spezialisiert.

Neben dem Drohnenmodell zeigt Helsing den Journalisten auch einen knapp zwei Meter langen, unbemannten Unterwassergleiter namens SG-1 Fathom. Er kann bis zu drei Monate im Wasser sein und die Überwachung grosser Seegebiete erleichtern – eine Aufgabe, die nach diversen mutmasslichen Sabotageakten an Daten- und Energieleitungen am Meeresgrund stark an Bedeutung gewonnen hat. In einem autonom agierenden Schwarm könne der Gleiter patrouillieren oder sich stationär positionieren, um ein Netzwerk an Sensoren aufzuspannen, erläutert die Bereichsleiterin Amelia Gould.

Zentral ist auch hier die Kombination mit KI, und zwar mit Lura, einer Software-Plattform zur Auswertung von Unterwasserdaten. Deren Kern bildet ein Large Acoustic Model, das mit akustischen Unterwasserdaten trainiert wird und Daten von beliebigen akustischen Sensoren – zum Beispiel vom Gleiter – verarbeiten kann.

Bei der Entwicklung von SG-1 und Lura arbeitet Helsing mit externen Partnern zusammen. Und auch hier ist das Unternehmen auf dem Sprung zum Hardware-Produzenten: Im britischen Plymouth soll eine Fabrik zur Produktion der Gleiter eingerichtet werden, auch sie folgt dem Konzept der Resilienzfabrik.

Zur Demonstration des Potenzials von KI in einem dritten Bereich, dem Luftkampf, führt Helsing die Besucher zu einem Simulator: Zwei erfahrene ehemalige Kampfpiloten liefern sich einen virtuellen Kampf mit zwei Jets, die vom KI-Agenten „Centaur“ gesteuert werden. Den ersten Treffer kassiert eine der beiden von Menschen gelenkten Maschinen.

Schwedisches Geld für den nächsten Schritt

Centaur, eine von zwei Helsing-Entwicklungen im Bereich Luft, ist bereits auch real getestet worden. Das Startup und der schwedische Verteidigungskonzern Saab haben den KI-Agenten in den letzten Monaten in ein Kampfflugzeug des Typs Gripen E von Saab integriert, und während Testflügen am 28. Mai und am 3. Juni über der Ostsee übergab der Pilot die Kontrolle über das Flugzeug temporär an Centaur.

Saab ist nicht nur Kooperationspartner, sondern auch Investor bei Helsing. Die Schweden haben sich auch an der jüngsten Finanzierungsrunde beteiligt, mit der das Startup insgesamt 600 Millionen Euro beschafft hat. Angeführt wurde diese Runde von Prima Materia. Das ist die Investitionsgesellschaft von Daniel Ek, dem Gründer und Chef des schwedischen Musik-Streamingdienstes Spotify. Ek zählt seit 2021 zu den Investoren, ist einer der Hauptaktionäre und zudem Chairman von Helsing.

Auch wenn derzeit vieles erst in der Entwicklungsphase ist und vom Unternehmen selbst finanziert wird: Die Investoren glauben offenbar an das Geschäftsmodell von Helsing. Insgesamt 1,3 Milliarden Euro an Risikokapital habe man bisher eingesammelt, sagt der Mitgründer Reil. 80 Prozent der Anteile würden von europäischen Geldgebern gehalten. Das ist den Gründern wichtig, sie wollen ein europäisches Unternehmen bleiben. Dass unter den Investoren inzwischen gleichwohl auch amerikanische Kapitalgeber sind, erklärt Reil damit, dass Wachstumskapital in den USA leichter zu beschaffen sei.

Als falsch bezeichnet er Gerüchte, gemäss denen Helsing einen Börsengang vorhabe. Man habe derzeit keine solchen Pläne. Zentral ist aber vor allem eines: Die Gründer wollen ihr Startup nie an ein anderes Unternehmen verkaufen. Reil betont: „Wir müssen unabhängig bleiben.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung.