Fragen und AntwortenWorum es bei den drohenden Warnstreiks der Bahn geht

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Zwei ICE stehen steht am Hauptbahnhof nebeneinander (Symbolfoto).

Die Sorgen vor möglichen Warnstreiks wachsen.

Die Deutsche Bahn und die Gewerkschaft EVG starten in eine absehbar harte Auseinandersetzung, den die Fahrgäste schon bald durch Warnstreiks zu spüren bekommen könnten. Auch in anderen Bereichen geht das Ringen weiter.

Warnstreiks bei der Post, in Kitas und an Flughäfen – und bald auch bei der Deutschen Bahn? Nachdem der Start der Tarifverhandlungen für die rund 180000 Beschäftigten am Dienstag ergebnislos verlief, wachsen die Sorgen vor möglichen Warnstreiks mit Verspätungen und Zugausfällen für Pendler und Bahn-Reisende. Die Gewerkschaft EVG und die Deutsche Bahn sowie 50 weitere Branchenunternehmen verhandeln in Fulda über neue Verträge. Erwartet wird ein hartes Ringen mit Eskalationspotenzial. Angesichts von Inflation, Energiekrise und Personalmangel verlangt die EVG kräftige Einkommenserhöhungen. Die Deutsche Bahn ging dagegen ohne konkretes Angebot in die Gespräche. Diese wurden daraufhin bereits nach zwei Stunden unterbrochen. Erst wenn ein Vorschlag der Arbeitgeber auf dem Tisch liege, werde sie weiter verhandeln, machte die Gewerkschaft anschließend klar.

Welche Forderungen stellt die EVG?

Mindestens 650 Euro will die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft für die rund 180000 Beschäftigten durchsetzen. Die unteren Einkommensgruppen sollen überproportional gestärkt werden, daher hat sich die Gewerkschaft für eine Forderung mit Festbetrag entschieden. Bei den höheren Entgelten will die Gewerkschaft eigenen Angaben zufolge eine Steigerung um zwölf Prozent erreichen. Für die Nachwuchskräfte fordert die EVG 325 Euro. Die Laufzeit soll zwölf Monate betragen. Nach EVG-Einschätzung profitierten gut 90 Prozent der Beschäftigten eher von einer Erhöhung um 650 Euro, nur für die oberen rund zehn Prozent ist die prozentuale Forderung relevant.

Es ist die bisher höchste prozentuale Forderung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft und auch für die beiden Gewerkschaften Transnet und GDBA, aus deren Zusammenschluss die EVG 2010 hervorgegangen war. Wie für die Deutsche Bahn soll sie auch für alle anderen Unternehmen gelten, für die die EVG verhandelt.

Wie begründet die Gewerkschaft ihre Forderungen?

Eine historisch hohe Inflation und gestiegene Energiepreise, die die Einkommen der Beschäftigten deutlich schmälern, die Folgen der Pandemie mit Maskenkontrollen und zahlreichen Krankheitsfällen, zunehmende Übergriffe auf Bahnmitarbeiter – aus EVG-Sicht müssen die Beschäftigten immer höhere Belastungen schultern und haben sich deshalb einen deutlichen Einkommenszuschlag verdient. Sonst drohe eine weitere Abwanderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mahnte EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch kürzlich in Fulda. Beim Thema Fachkräfte steuere man in eine „Totalkatastrophe“ – und das, obwohl die Bahn in diesem Jahr unter dem Strich eigentlich 9000 Beschäftigte hinzugewinnen will.

„Wir möchten mit Substanz reden“, sagte Loroch nach dem Scheitern der ersten Runde. „Offensichtlich hat das Unternehmen überhaupt kein Interesse daran, einen Abschluss am Verhandlungstisch zu erzielen, sondern provoziert bewusst einen Arbeitskampf.“

Wie hat die Deutsche Bahn reagiert?

Bahn-Personalvorstand Michael Seiler bezeichnete die Unterbrechung der Verhandlungen als „völlig unnötig“. „Die EVG hat verlangt, dass wir ohne inhaltliche Erörterung ein Angebot vorlegen – und das ist aus unserer Sicht derzeit nicht möglich.“ Bereits vor Beginn hatte Seiler deutlich gemacht, dass man sich auf eine „sehr komplexe Tarifverhandlungsrunde“ einstelle. Die Gewerkschaft habe 57 Forderungen gestellt, die im Schnitt 25 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten bedeuteten, hieß es aus Kreisen des Konzerns. Neben mehr Geld seien auch zahlreiche strukturelle Themen aufgeworfen worden, etwa Höher- und Neueingruppierungen oder eine Angleichung regionalisierter Tarifverträge auf das jeweils höchste Niveau. Insgesamt handele es sich um einen hochkomplexen Forderungskatalog.

Im Schnitt bedeute allein die Lohnforderung eine Steigerung von 18 Prozent, in einzelnen Bereichen um mehr als 30 Prozent, hieß es aus DB-Kreisen. „Wir setzen auf Verhandlungen, aber unsere Spielräume sind begrenzt“, sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson dem „Tagesspiegel“.

Die nicht-bundeseigenen Bahnunternehmen hätten derweil mit einem Aufruf zur Mäßigung auf die Forderungen reagiert und das Argument der Inflation abgewiegelt, verlautete aus Gewerkschaftskreisen. Man sehe sich an Verträge gebunden, die Steigerungen in dieser Höhe nicht vorsähen und die man nicht bezahlen könne. Die Gewerkschaft will dies nicht gelten lassen – dann müssten die Unternehmen eben auf die Aufgabenträger zugehen und diese in die Pflicht nehmen, hieß es.

Wann könnte es zu Warnstreiks kommen?

Die EVG hatte bereits zum Beschluss ihrer Tarifforderungen deutlich gemacht, dass sie Aktionen schon früh in Betracht zieht. Dabei könnte sie sich auch mit der Gewerkschaft Verdi abstimmen, die derzeit unter anderem in Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen steht.

Nach der gescheiterten ersten Runde am Dienstag warnte EVG-Tarifvorstand Loroch die Bahn davor, die Reisenden als „Spielball“ gegen die Beschäftigten zu nutzen und diese schon jetzt in Warnstreiks hineinzutreiben. Zum Zeitplan bekräftigte der Gewerkschafter, dass nach den ersten Gesprächen mit den anderen 50 Unternehmen, die voraussichtlich bis Ende März dauern wird, erste Aktionen möglich seien. „Unser Credo ist eine gemeinsame Runde“, sagte Loroch. „Alle sollen die Chance bekommen haben, mit uns einmal zu sprechen, und dann werden wir in entsprechende Maßnahmen gehen oder auch nicht gehen.“

Bahn-Personalvorstand Seiler wies die Darstellung der EVG zurück, dass die Bahn mit ihrer Verhandlungstaktik auf Warnstreiks zusteuere. Es stehe außer Frage, wer für die Eskalation die Verantwortung trage. Man erwarte von der EVG nun, dass bei den nächsten Gesprächen am 14. und 15. März „ernsthaft“ in die Verhandlungen eingetreten werde. Die offizielle, zweite Verhandlungsrunde steht nach EVG-Angaben im April an.

Vor welchen Herausforderungen steht die Deutsche Bahn?

Das bundeseigene Unternehmen transportiert immer mehr Menschen auf einem Streckennetz, das viele Jahre vernachlässigt wurde und inzwischen sehr anfällig ist. Für die Fahrgäste am deutlichsten wird das derzeit bei der Pünktlichkeit, die im Fernverkehr 2022 bei gerade 65 Prozent lag. Der Sanierungsbedarf ist riesig und soll in den kommenden Jahren mit Generalsanierungen auf besonders wichtigen Strecken angegangen werden – was viel Geld kosten wird.

Die DB-Vertreter werden also absehbar darauf setzen, dass nicht auch noch die Personalkosten durch einen allzu hohen Tarifabschluss in die Höhe springen. Aus Sicht der Gewerkschaft lassen sich Personal- und Infrastrukturkosten aber nicht miteinander vermischen. Unter anderem kämen die Gelder für die Sanierung aus anderen Töpfen, etwa vom Bund.

Klar ist, dass die Bahn attraktiv bleiben muss für neue Mitarbeiter angesichts des Fachkräftemangels. „Die Mitarbeiter haben einen tollen Job gemacht, wir sind gut miteinander durch die Krise gekommen. Da ist von unserer Seite klar, dass wir das auch anerkennen wollen“, sagte Personalvorstand Seiler im Januar. „Wir müssen da eine gute Balance finden zwischen kurzfristiger Anerkennung und dem, was wir auch langfristig leisten können, ohne dass wir die Mobilitätswende in irgendeiner Form belasten.“

Warum will die EVG mit so vielen Firmen gleichzeitig verhandeln?

Nach eigenen Angaben will die EVG für einheitliche Tarifbedingungen in der Branche sorgen und dafür auch die größere Schlagkraft durch die Bündelung von Forderung und Verhandlungen nutzen. Das dürften die Unternehmen, aber auch die Fahrgäste nicht zuletzt bei möglichen Arbeitskampfmaßnahmen zu spüren bekommen. Die Gewerkschaft erwartet, dass die kleineren Bahnunternehmen dem Branchenführer DB AG folgen. „Gemeinsam geht mehr“, lautet dazu passend das Motto der Tarifrunde. Nach dem Start mit der DB am 28. Februar soll mit jedem einzelnen der anderen rund 50 Branchenunternehmen gesprochen werden – was voraussichtlich bis Ende März dauern wird, bevor es in die zweite Runde geht.

Wie steht es um die zweite Bahner-Gewerkschaft, die GDL?

Die Lokführergewerkschaft mit ihrem Bundesvorsitzenden Claus Weselsky wird im Herbst mit der Bahn in Tarifverhandlungen gehen. Die GDL ist deutlich schwächer innerhalb der DB vertreten als die EVG, hat sich in der Vergangenheit aber immer wieder als sehr streikbereit präsentiert. Streiks der GDL wurden öffentlich zuletzt als wirksamer und dramatischer für die Fahrgäste wahrgenommen. Der Grund: Ohne Lokführer kann keine Bahn fahren. Sollte sich die EVG zu Warnstreiks entscheiden, könnte die Durchschlagskraft aber sogar deutlich höher sein, da je nach Ausmaß dann entscheidende Posten in der Infrastruktur, etwa in einem Stellwerk, betroffen sein könnten. (dpa)

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