„Der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt“

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KERPEN-BUIR. Die Bilder sind verschwommen und unscharf. Dennoch ist ein junger Mann zu erkennen, der den Betrachter freundlich anlächelt, mal mit Brille auf der Nase, mal mit Schnäuzer, die Haare mal brav nach vorn gekämmt, mal peppig mit Gel gestylt.

Das Gesicht trägt die Züge von Emin Önen, jenes türkischen Jungen aus Kerpen-Buir, der vor genau zehn Jahren spurlos verschwunden ist. Die Bilder, erstellt von einem Spezialisten des Landeskriminalamtes (LKA) Baden-Württemberg, zeigen Emin Önen, wie er heute im Alter von etwa 20 Jahren aussehen könnte.

Bislang hat es keinen brauchbaren Hinweis darauf gegeben, wo Emin ist, ob er noch lebt oder ob er das Opfer eines Verbrechens geworden ist. „Der Junge ist wie vom Erdboden verschluckt“, sagt Jürgen Chrobok, der Sprecher der Polizei im Erftkreis.

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Auch Monika Bruhns von der „Elterninitiative vermisste Kinder“ (EvK) in Kisdorf bei Hamburg, die die Bilder beim LKA in Auftrag gegeben hat, klingt resigniert: „Alle Hinweise waren so schwammig, dass wir sie noch nicht mal an die Polizei weitergegeben haben.“

Am Sonntag, 16. Mai 1993, hatte Emin um 15 Uhr einen Mann treffen wollen, der damals im evangelischen Pfarrhaus wohnte und mit dem Emin sich anfreunden wollte. Doch Siegfried S. war nicht da. Mehrere Zeugen haben den Jungen danach noch gesehen, zuletzt gegen 20 Uhr an der Kreisstraße 4 zwischen Buir und Manheim. Dann verliert sich Emins Spur.

Mit Hochdruck suchten Polizei, Deutsches Rotes Kreuz und Technisches Hilfswerk rund um Buir nach dem zehnjährigen Jungen und durchkämmten auch eine Kiesgrube, wo Steilhänge und Schlammgruben Gefahren für Kinder bilden. Die Polizei nahm Siegfried S. genau unter die Lupe. „Doch der Mann hatte ein hieb- und stichfestes Alibi“, berichtet Jürgen Chrobok.

Emins Foto wurde auf Milchtüten gedruckt und erschien im Musikvideo der Popgruppe „Soul Asylum“ zu einem Lied über von daheim ausgerissene Kinder und Jugendliche. Die Eltern von Emin setzten eine Belohnung in Höhe von 25 000 Mark aus - ohne Erfolg.

Bei der Familie meldete sich lediglich eine damals 32-Jährige, die drohte, Emin zu ermorden. 50 000 Mark sollten die Eltern in einer Telefonzelle in Kerpen-Türnich deponieren. Die Polizei setzte eine Fangschaltung ein und fasste die Frau bei der Geldübergabe.

Die leidgeprüfte Familie freut sich zwar über jeden Suchaufruf, meidet inzwischen aber die Öffentlichkeit. „Emins Vater leidet noch immer sehr“, sagt Ömer Önens Schwiegertochter, „denn das Schlimme ist die Ungewissheit. Wir hoffen, dass Emin irgendwo lebt und glücklich ist.“

„Die Chancen, Langzeitvermisste lebend wiederzufinden, sind leider sehr gering“, sagt hingegen Monika Bruhns von der Eterninitiative vermisster Kinder, die die Familien von rund 100 der bundesweit etwa 1000 vermissten Kinder betreut. „Wir sehen uns daher mehr als Begleitung für die Verwandten, denen wir Gesprächspartner sein wollen und für die wir auf das Schicksal ihrer Kinder aufmerksam machen“, erläutert Bruhns.

Seelische Unterstützung erhält die Familie auch von der Langzeitvermisstenstelle der Polizei. „Wann immer Jahrestage ins Haus stehen, melden sich unsere Beamten bei den Angehörigen oder schauen auf einen Besuch vorbei“, sagt Polizeisprecher Chrobok.

Am Sonntag, 25. Mai, dem „Internationalen Tag der vermissten Kinder“, will die Elterninitiative mit Aktionen in Berlin und Hamburg auch wieder an den Fall Emin Önen erinnern.

 www.vermisste-kinder.de

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