Zukunft im Rheinischen RevierVisionen für morgen – Wenn Elsdorf eine Hafenstadt wird

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Köln – Spätestens 2038 ist Schluss mit dem Braunkohleabbau und der Kohleverstromung im Rheinischen Revier. Dann nämlich endet die Förderung auch im Tagebau Garzweiler, der nach dem Ende der Tagebaue in Inden und Garzweiler ab 2030 allein dafür sorgt, dass die Schlote der Kraftwerke rauchen. Dann herrscht endgültig Hochbetrieb auf der „größten Landschaftsbaustelle Europas“, wie Christa Reicher das Rheinische Revier nennt. Die renommierte Stadtplanerin mit den Schwerpunkten Stadterneuerung und Stadtteilentwicklung, Stadt- und Landschaftsgestaltung lehrt nach Stationen als Professorin an den Hochschulen Bochum und Dortmund jetzt an der RWTH Aachen. Als Vorsitzende des Revierknotens „Raum" der Zukunftsagentur Rheinisches Revier (ZRR) ist sie bei diesem Umbau an den Schalthebeln. Für den stellen Bund und Land rund 15 Milliarden Euro zur Verfügung.

Der Zielpunkt

2070 funkeln drei große Seen in der Sonne, wobei ausgerechnet der im Volksmund auch Indesches Meer genannte der kleinste der drei sein wird. Sie gehören dann nicht nur zu den größten in NRW, die Seenlandschaft dürfte die größte Deutschlands sein. Wo jetzt noch bis zu 500 Meter tiefe Löcher in der Erde klaffen, kreuzen Segelboote. Inden sollte eine Marina haben und auch Elsdorf wird Hafenstadt. Uferpromenaden, Rad- und Wanderwege locken die aus der näheren und weiteren Umgebung, die lieber festen Boden unter den Füßen haben. Kurz: eine malerische Seenlandschaft nicht nur für Touristen, eine üppige Vegetation, elegante Wohnbebauung, zukunftssichere Arbeitsplätze – das soll das Rheinische Revier nach den Vorstellungen der ZRR sein, die den Umbau organisiert.

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Zukunftsvision eines Food Campus bei Elsdorf

Die Seen sind für Christa Reicher von zentraler Bedeutung. „Die lebenswertesten Städte und Regionen liegen am Wasser“, so die Stadtplanerin. Sie locken die Menschen nicht nur zur Freizeitgestaltung. Seen spielen laut Reicher auch eine wichtige Rolle gegen die Überhitzung durch den Klimawandel. Sie verweist auf den künstlichen Phoenixsee in Dortmund an Stelle eines ehemaligen Stahlwerks, der eine große Impulswirkung für die Raum- und Lageentwicklung hatte. Daran hat sie mitgewirkt. Die Attraktivität von Wasser zeigt sich für sie auch bei der Entwicklung von Hafenvierteln mit Wohn-, Büro- und Geschäftshäusern.

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Reichers Ideal für das Rheinische Revier, das in 50 Jahren erreicht sein soll: „Eine Modellregion, die zeigt, wie nachhaltiges, klimaneutrales Leben, Wohnen und Arbeiten entstehen kann nach der jahrzehntelangen Ausbeutung der Region durch den Kohleabbau.“ Eine neue Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Kultur könnte etwa in Morschenich entstehen, das jetzt doch nicht dem Tagebau Hambach weichen muss. Ökologische Ansprüche und neue Lebensformen könnten hier erprobt werden. Insgesamt soll eine Region entstehen, in der die Menschen gerne leben und mit der sich die Einwohner identifizieren können. Aus dem derzeit fragmentierten Raum, in dem der Norden etwa wenig mit dem Süden gemein hat - auch weil Verkehrswege durch die Tagebaue durchtrennt worden sind - soll eine Einheit geworden sein.

Der Startpunkt

Planungen für die Zeit nach der Braunkohle laufen zum Teil schon Jahre. Besonders rund um Inden wurde früh geplant, weil der Tagebau bis 2030 ohnehin ausgekohlt gewesen wäre. In Hambach und Garzweiler gibt es dagegen noch Kohle für 25 Jahre und mehr. Ein schnellerer Kohleausstieg hat hier für Druck gesorgt. Nicht nur das ist eine Herausforderung. „Im Rheinischen Revier ist die Siedlungskonkurrenz so hoch wie in keiner anderen Region“, sagt Reicher. Dabei geht es nicht nur um die Konkurrenz zwischen Industriegebieten und Siedlungsflächen. Für einzelne Quadratmeter gebe es manchmal ganz unterschiedliche Ideen für eine Nutzung. Und für jeden einzelnen Quadratmeter geht es für Reicher darum, nicht nur möglichst viele Arbeitsplätze zu schaffen, sondern die richtige Nutzung umzusetzen. Vorhandene Natur- und Landschaftsschutzgebiete blieben selbstverständlich bestehen. Daneben gebe es wertvolle Böden für die Landwirtschaft, Flächen für den Siedlungsbau und bestehende Industrieflächen. „Jeder Teilraum hat andere Talente, Qualitäten und Aufgaben“, so Reicher.

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Schwimmende Photovoltaik-Anlagen in der Manheimer Bucht – eine von vielen Visionen.

Für die Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln muss das Rheinische Revier Industriestandort bleiben. Hier fallen bis 2038 noch knapp 9000 gut bezahlte Arbeitsplätze bei RWE weg. Qualifizierte Flächen für die Industrie müssten ausgewiesen werde, verlangte IHK-Hauptgeschäftsführer Uwe Vetterlein jüngst im Gespräch mit dieser Zeitung. Entscheidend ist für ihn die Energiefrage (siehe Seite 2). Die Industrie werde dahin gehen, wo Strom ist. Und in Zukunft dürfte generell mehr Strom benötigt werden. In Rechenzentren ist der Strombedarf etwa oft höher als in Industrieanlagen. Auch die zahlreichen E-Autos brauchen Saft. Vetterlein verlangt etwa konkrete Pläne für eine Wasserstoff-Pipeline nach Rotterdam. Mit Wasserstoff könnten etwa Gaskraftwerke betrieben werden, die für eine Übergangszeit Strom erzeugen sollen.

Industrie und attraktive Arbeitsplätze und Steuereinnahmen – das könnte Begehrlichkeiten bei Kommunen wecken. Für andere bleiben vermutlich weniger attraktive Logistikflächen, weil in der Branche die Löhne geringer sind. Auch dürften sehr attraktive Grundstücke mit Seeblick etwa in Elsdorf eher Neubürger anlocken als weniger attraktive in anderen Kommunen. „Natürlich gibt es auch die Pole Kooperation und Eigensinn bei der Entwicklung des Rheinischen Reviers“, sagt Reicher, Neue Formen der interkommunalen Zusammenarbeit könnten hier helfen ebenso wie alternative Modelle des Ausgleichs. Letztlich soll es bei der Umgestaltung keine Gewinner und Verlierer geben.

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Reicher schwebt eine Region in Balance vor, wobei die Bewohner der Tagebaukerne als die am stärksten vom Braunkohleabbau Betroffene wohl den größten Mehrwert bekommen werden.

Sie entwickelt Bilder, wie die Zukunft der Region aussehen könnte und entwickelt alternative Szenarien und Konzepte, die Aufschluss geben können über die Folgen von möglichen Weichenstellungen. Die Bewohner müssen dabei eingebunden werden. Letztlich soll die Region attraktiv sein für sie oder Neubürger etwa aus den Städten Köln, Düsseldorf, Aachen oder Mönchengladbach und für Industrieansiedlungen. Wichtig dabei sind auch die Verkehrsverbindungen. Hier können etwa die RWE-Werksbahntrassen, die als neue S-Bahn-Trassen zur Verfügung stehen, gute Dienste leisten.

Freilich wird nicht nur geplant. „Wir müssen erste Investitionen tätigen und zugleich die mittel- und die langfristige Entwicklung mit denken“, so Reicher. Ab 2030 werde es schon neue Quartiere geben. „Sie müssen als Leuchttürme in der Modellregion wirken“, so Reicher weiter. Das kann eine Klimaschutzsiedlung etwa in Kerpen-Buir sein mit Windkraftanlagen, der Teilabdeckung der Autobahn A4, um Lärm in der gesamten Ortslage einzudämmen, in Passivhausstandard errichteten Wohneinheiten.

Wichtig ist dabei, dass eine Maßnahme nicht künftige verhindert. Da will etwa die geplante Rohrleitung genau durchdacht sein. Rheinwasser soll die Tagebaue zügig füllen. Dazu soll eine rund 22 Kilometer lange Leitung von Dormagen-Rheinfeld nach Frimmersdorf am Tagebau Garzweiler dienen, deren Verlaufslinie bereits feststeht. Sie soll aber möglicherweise verlängert werden und dicker ausfallen, um auch den Tagebau Hambach zu speisen, der bereits 2030 Wasser braucht und nicht erst 2039 wie der Tagebau in Garzweiler.

Die Zwischenetappe

Gestalt nehmen die geplanten Seen etwa bereits fünf Jahre nach Ende des Braunkohletagebaus an, schätzt RWE. „Es geht um temporäre Endzustände und die Kraft der Bilder, die für die neue Qualität im Rheinischen Revier werben können und müssen“, sagt Reicher. Es werde attraktive Uferzonen - einschließlich Fuß- und Radwegen - an den Seen geben, wenn diese noch nicht vollständig befüllt sind. So sei hier schon eine Zwischennutzung möglich, auch wenn die Seefläche noch 100 Meter unter dem künftigen Ufer liegt. Das kann nach der groben Planung der ZRR 2040 oder auch schon etwas früher sein. Dabei brauche jede Planung, auch die Raumstrategie für das Rheinische Revier, eine gewisse Offenheit, so Reicher. Es könne etwa neue Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung geben (siehe Grafik). Auch habe niemand vorhersehen können, dass das Wohnen im ländlichen Regionen in der Corona-Pandemie jetzt attraktiver eingeschätzt werde als früher. „Die Stellschrauben können sich ändern“, so Reicher. Auch könne die Mobilität sich durch technischen Fortschritt wandeln und es könne neue Erfindungen beim Bauen geben. Am Ziel lässt Reicher aber nicht rütteln: „Ich bin optimistisch, dass die Umgestaltung des Rheinischen Reviers im Zeitrahmen gelingt. Der Phoenixsee war auch früher fertig als geplant, weil es eine überzeugende Vorstellung von dem Neuen gab.“

Die Energiezukunft

Im Rheinischen Revier soll auch weiter Energie erzeugt werden, allerdings auf Basis von Sonne, Wind & Co. Photovoltaikmodule können etwa auf den Seen schwimmen oder entlang der Autobahnen aufgebaut werden. Hier ist auch Platz für Windräder. Denn Flächen sind durchaus knapp im Revier. Es stehen nämlich längst nicht alle Flächen in den ehemaligen Tagebauen zur Verfügung. Teils werden sie etwa nach der Rekultivierung an die früheren Besitzer zurückgegeben. Und sofort losgebaut werden kann auf keinen Fall. Der Boden muss sich erst setzen. Ausreichend stabil für ein Fundament für ein Windrad ist er womöglich erst in zehn oder 12 Jahren, so eine Faustformel.

Windräder drehen sich bereits in Bedburg, Jüchen oder Titz. Und da der Wind in unseren Breiten nicht so stark und nicht so regelmäßig weht, liegt der Wirkungsgrad der Anlagen bei 20, unter optimalen Bedingungen bei annähernd 25 Prozent. Da müssten also 4000 Megawatt Leistung installiert werden, um nur eines der großen BoA-Kraftwerke zu ersetzen. Und moderne Windräder haben etwa sechs Megawatt Leistung. Dazu ist der Ausbau der Windenergie in Deutschland fast zum Stillstand gekommen, wegen des Umweltschutzes oder Anwohnerprotesten. Nicht selten dauern Planung, Genehmigungsprozesse und Bau für ein Windrad zehn Jahre.

Solaranlagen: Aufgeständerte Photovoltaikanlagen auf Parkplätzen oder über Feldern können einen Beitrag zur Stromversorgung leisten. Das Aufständern und die aufwendigere Gründung steigern die Kosten aber um 20 Prozent. Das gefährdet die Wirtschaftlichkeit, so Experten. Kompensieren können das Zusatzeinnahmen etwa aus der Landwirtschaft, wenn eine Frucht unter diesen Anlagen gedeiht. Das freilich kann EU-Fördergelder kosten. Der Einzelfall ist zu betrachten.

Wasserstoff: Auf ihm ruhen derzeit große Hoffnungen. Nachhaltig ist er freilich nur, wenn er mit regenerativen Energien erzeugt wird. Und dann ist er derzeit richtig teuer. Für Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist „Wasserstoff der Champagner unter den Energieformen". (raz)  

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