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Interview

Chefin der Bundeswehr-Beschaffung
„Wir können nicht jeden Panzer bei Instagram posten"

9 min
Annette Lehnigk-Emden, Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)

Annette Lehnigk-Emden, Präsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw)

Die Zeit drängt, das Ziel ist klar: eine kriegstaugliche Truppe bis 2028. Annette Lehnigk-Emden muss sie dafür ausrüsten. Im Interview spricht sie offen vom Wettlauf gegen die Zeit – und nimmt Politik und Industrie gleichermaßen in die Pflicht.

Frau Lehnigk-Emden, die Beschaffung der Bundeswehr gilt als komplex. Erlauben Sie ein Gedankenspiel: Wie sähe Ihr Wocheneinkauf aus, wenn er nach den gleichen Regeln abliefe?

Zunächst lege ich selber nicht fest, was auf dem Einkaufszettel steht. Die Bundeswehr, in Ihrem Bild meine Familie, sagt mir, ob sie Gulasch, Schweinebraten oder Hühnersuppe will und was es zum Nachtisch gibt. Auch wenn ich persönlich vielleicht lieber Kassler hätte, habe ich da keine Entscheidungsgewalt. Wenn ich dann im Supermarkt vor der Fleischtheke stehe, habe ich die Auswahl zwischen biologisch oder konventionell gezüchteten Schweinebraten. Ich selbst kann die Auswahl nicht treffen. Um diese Frage zu klären, muss ich dann noch mal zu Hause anrufen und meiner Familie die Unterschiede zwischen den beiden Fleischstücken detailliert darlegen.

Aber dann gibt es Braten?

Ja, aber vorher muss ich mich noch darum kümmern, ob mit dem Fleisch alles in Ordnung ist. Ich muss unseren Braten vorher in ein lebensmitteltechnisches Labor schicken. Die überprüfen dann, ob er auch wirklich so frei von Pestiziden und Antibiotika ist, wie er im Laden beworben wurde und ob er nicht zu fettig oder zu salzig ist. Gegebenenfalls muss ich ihn dann umtauschen und dann geht alles wieder von vorne los. Das muss ich zeitlich dabei immer alles schon einplanen. Wenn ich erst samstagmorgens einkaufen gehe, wird es mit dem Sonntagsbraten schon schwierig, eigentlich unmöglich.

Es kommt bei meiner Bundeswehr-Familie auch vor, dass sie etwas essen will, was noch nie jemand gegessen hat. Sagen wir Fliegenpilzsuppe. Dann müssen wir aufwändig prüfen, ob sowas chemisch und biologisch überhaupt möglich ist und wie man das hinkriegen könnte, ohne sich zu vergiften. Und damit gehe ich dann zu den CEOs der Unternehmen und versuche sie zu überreden, die Fliegenpilzsuppe ins Sortiment aufzunehmen.

Die Dauer dieser Prozesse führt immer wieder zu Kritik. Sind Sie gerne der Sündenbock?

Öffentlich und manchmal auch intern heißt es oft, wir seien zu langsam, zu teuer, zu unwirtschaftlich. Aber so ist das nun mal, wenn der eigene Bereich im Zentrum der öffentlichen Debatte steht. Das ist dann wie beim Fußball, da haben wir auch 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland. Ähnlich wie bei Fußball haben sich viele von den Kritikern allerdings noch nie mit dem komplexen Beschaffungsprozess beschäftigt und in diesem Bereich nur sehr rudimentäres Wissen.

Sie meinen, Kritiker machen es sich zu einfach?

„Beschaffung“ hört sich immer so einfach an. Das ist es aber nicht. Wir beim BAAINBw haben 160 interne Verfahrensregeln und mehrere tausend technische Vorschriften. Immerhin haben wir die Ersteren um die Hälfte reduziert, aber es ist noch viel übrig. Beispielsweise muss jeder Panzer, den wir kaufen, für den Straßenverkehr zugelassen sein. Das bedeutet, der Fahrer muss freie Sicht nach vorne, zu den Seiten und nach hinten haben. Das ist im Panzer herausfordernd.

Gerade bei Großgerät dauert das aber auch oft länger, als Ihre Behörde das ursprünglich mal geplant hatte.

Wir haben viele Lieferanten, die stets ohne Probleme und pünktlich liefern. Wir haben aber auch immer wieder Lieferanten, die die Frist am Ende verpassen. Das sind häufig die Projekte, die einer parlamentarischen Billigung bedürfen. Und je komplizierter etwas ist, desto mehr kann schiefgehen. Die Parlamentsbeteiligung führt aber natürlich auch dazu, dass diese Projekte intensiver in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert werden als solche, die unter dieser Schwelle liegen. Die meisten liegen darunter. Aber diese Verzögerungen bei den Lieferanten passieren ja auch nicht aus Willkür, da gibt es immer handfeste Gründe.

Die Grenze, ehe Parlamentarier mitreden müssen, soll deutlich erhöht werden. Ab welcher Summe sollten die Politiker künftig denn einbezogen werden?

Das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers. Das Parlament hat das gesetzlich verbriefte Recht, die Beschaffung für die Bundeswehr zu überwachen und kontrolliert den Haushalt. Aber ich könnte mir schon vorstellen, die Beteiligungsgrenze von 25 Millionen Euro deutlich heraufzusetzen. Wenn wir da eine signifikante Erleichterung erreichen wollen, sollten wir die Grenze auf mindestens 200 Millionen Euro erhöhen. Jede 25-Millionen Euro-Vorlage verlangt die parlamentarische Beteiligung und 25 Millionen sind heutzutage schnell erreicht. Das bedeutet dann jedes Mal zusätzlichen Zeitbedarf.

Wenn der Vertrag steht, schicken wir ihn ans Verteidigungsministerium, das ihn dann an den Verteidigungs- und den Haushaltsausschuss weiter reicht, damit diese sich damit befassen können. Das dauert jedes Mal ungefähr drei Monate. Allein dieses Jahr muss der Haushaltsausschuss sich noch mit knapp einhundert zu billigenden Verträgen beschäftigen, weil die vorläufige Haushaltsführung und der Regierungswechsel zu Verzögerungen geführt haben. Wir haben dieses Jahr also noch viel vor.

Manche Verteidigungspolitiker klagen über mangelnde Transparenz Ihrer Behörde und zu viel geschwärzte Dokumente.

Dafür habe ich kein Verständnis. Wir können ja nicht alles Sicherheitsrelevante in den Medien diskutieren. Feindliche Nachrichtendienste haben schließlich ein hohes Interesse an diesen Informationen. Aber Bundestagsabgeordnete können auch eingestufte Dokumente bei einer speziellen Stelle im Bundestag einsehen. Sie dürfen es freilich nicht auf Social Media posten, aber an Informationen, die für ihre Entscheidungen notwendig sind, fehlt es ihnen nicht.

Es gab in den letzten Jahren diverse Erlasse und Gesetze, um Ihnen Ihre Arbeit zu erleichtern. Alle mit dem Ziel der Beschleunigung. Hat das geklappt?

Im Vergleich zu 2018 sind wir mehr als dreimal so schnell. Das hat vor allem mit einer Änderung der Gesetzeslage zu tun. Sagen wir, ich brauche 2000 LKWs. Früher hätte ich eine Reihe von Herstellern anschreiben und die Bestellung auf beispielsweise fünf Lose aufteilen müssen. Statt eines Verfahrens für 2000 LKWs mussten wir also fünf Verfahren für jeweils 400 Fahrzeuge durchführen. Natürlich mit entsprechendem Zeit- und Personalaufwand. Das hat sich zum Glück geändert und die Kapazitäten für die vier anderen Verfahren kann ich für eine andere Aufgabe verwenden. Auch die internen Verfahrensregeln haben wir um die Hälfte reduziert und Tempo zum wichtigsten Faktor erklärt. Einfach ausgedrückt: Alles, was das Verfahren schneller macht, ist erwünscht, solange es nicht gegen Gesetze verstößt.

Sind Sie denn irgendwann auf Höchstgeschwindigkeit?

National haben wir gesetzlich alles ausgeschöpft, was geht. Wenn es noch Hindernisse gibt, muss man sie im EU-Bereich suchen. Allein, dass wir mehr Projekte direkt vergeben können, spart teilweise bis zu einem Jahr pro Verfahren. Manche Verträge können wir dann innerhalb von vier Wochen schließen.

Aber kommt die Industrie dabei überhaupt noch hinterher?

Erst haben wir uns selbst beschleunigt, und jetzt ist die Industrie dran. Dafür gehen wir auch in Vorleistung und können zum Beispiel durch Vorauszahlungen den Unternehmen helfen, um zum Beispiel neue Fabrikhallen und Fertigungsstraßen zu finanzieren. Großkonzerne wie Rheinmetall oder Airbus tun das auch schon selbst, weil sie das nötige Kapital dafür haben.

Bei all den von Ihnen beschriebenen Beschleunigungen: Was fehlt noch zu einer kriegstauglichen Wirtschaft?

Sagen wir, einer unserer Panzerhersteller möchte eine neue Halle mit einer Fertigungsstraße bauen. Dafür braucht er eine Genehmigung der betroffenen Kommune. Es kann dann passieren, dass sich diese Genehmigung verzögert, weil auf dem fraglichen Grundstück eine vom Aussterben bedrohte Tierart gesichtet wurde. Es gibt die gleichen bürokratischen Herausforderungen wie überall, wo man eine Fabrik oder ein Krankenhaus bauen will. Angesichts der Weltlage müssen wir uns allerdings überlegen, ob wir uns diese Hindernisse noch leisten können. Auch die Kommunen sind in der Pflicht, die bürokratischen Hindernisse für die Zeitenwende möglichst gering zu halten.

Wenn die Kommunen auf einem Grundstück lieber einen Spielplatz statt einer größeren Munitionsfabrik hätten, können Sie da aber schlecht reinreden.

Tun wir auch nicht, da das nicht unser Auftrag ist. Wir halten uns natürlich an das Grundgesetz, in dem die Bauplanungsrechte der Kommunen geschützt sind. Aber der Staat hat auch ein grundgesetzlich verbrieftes Sicherheitsinteresse. Diese juristische Abwägung ist nicht immer einfach und muss für jeden Einzelfall neu getroffen werden. Das dürfte in Zukunft aber deutlich einfacher werden. Im neuen Beschaffungsbeschleunigungsgesetz steht, dass die Interessen der Bundesrepublik bei einer solchen Abwägung vorgehen. Was früher gleich war, ist jetzt neu gewichtet.

Was bedeutet eine kriegstaugliche Wirtschaft denn konkret? Wie viele Panzer, wie viele Flugzeuge?

Die Zahlen treffen gerade erst ein, weil sie im Rahmen der Fähigkeitsziele der Nato bestimmt wurden. Bis 2028 haben wir diesen Bedarf zu erfüllen. Im Einkaufsbild: Die Nato hat jetzt entschieden, was auf den Tisch kommt und meine Bundeswehr-Familie schreibt gerade fleißig Einkaufszettel. Erst wenn diese geheimen Zahlen abgestimmt vorliegen, können wir sie an die Industrie geben, damit sie ihre Fertigung planen kann. Und dann ist es im Grunde nur noch eine Rechenaufgabe. Der Bedarf an Ausrüstung, geteilt durch die gegebene Zeit, ergibt die notwendige Größe der Fertigung.

Die Bundesregierung plant gigantische Summen in die Verteidigung zu investieren. Geht es nicht billiger?

Nein. Das wurde uns ja durch den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine vorgegeben. Wir haben uns jahrzehntelang auf internationales Krisenmanagement etwa in Afghanistan oder Mali konzentriert und die Bundeswehr entsprechend diesem Auftrag ausgerüstet. Dinge, die man eher für die Landes- und Bündnisverteidigung braucht, wie Panzer und LKW, haben wir kaum noch gekauft. Das muss jetzt alles nachgeholt werden. Die Industriekapazitäten wurden damals auch nicht gebraucht und im Einklang mit marktwirtschaftlichen Prinzipien zurückgefahren. Jetzt, da sie wieder gebraucht werden, müssen wir diese hochfahren. Und dabei hat der Staat auch eine Verantwortung, durch langfristige Verträge Planungssicherheit zu geben.

Werden Sie dank der Milliarden von der Industrie denn gerade so umgarnt wie nie zuvor?

Nein. Wir bekommen jetzt nicht ständig Angebote aus der Industrie, die wir nicht angefordert haben. Wenn jemand versucht, uns zu sprechen, sind das die Wirtschaftsministerien und Unternehmensverbände der Länder. Die weisen uns immer wieder auf die Qualität von kleinen und mittleren Unternehmen in ihren Ländern hin. Wir versuchen dann im Rahmen des vergaberechtlich Möglichen das Angebot und die Nachfrage zusammenzubringen, um zu helfen, dass die Resilienz der Lieferkette gesichert ist. Und dabei müssen wir neutral sein, da wir die Vergabestelle der Bundeswehr für Ausrüstung sind und alle Bieter gleich zu behandeln haben. Abgesehen davon geht es den meisten Zulieferern nicht ausschließlich ums Geld. In meinen Gesprächen mit diesen Firmen spüre ich ein echtes Interesse daran, unser freiheitliches System zu erhalten. Das motiviert viele.