Kommentar zu KutschatyDie NRW-SPD hat ihr Ansehen weitestgehend verloren

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23.03.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Thomas Kutschaty, Landesvorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen, geht nach einem Statement im Johannes-Rau-Haus. Der nordrhein-westfälische SPD-Parteichef Thomas Kutschaty ist zurückgetreten.

Thomas Kutschaty, Landesvorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen

Die einst so stolzen Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr stehen vor einem Scherbenhaufen. Ein Kommentar.

Spätestens das Debakel bei der Nominierung einer Generalsekretärin, bei der die Kutschaty-Favoritin Möhlenkamp krachend scheiterte, ließ keinen Zweifel offen: Die NRW-SPD hat das Vertrauen in ihren Vorsitzenden verloren und sieht mit ihm keine Perspektive mehr. Kutschaty wurde zum Rücktritt gezwungen.

Dieser Schritt kam wenig überraschend, nur der Zeitpunkt war schwer vorhersagbar. Eigentlich wäre der desaströse Ausgang der Landtagswahl im vergangenen Jahr für Kutschaty schon Anlass genug gewesen, die Konsequenzen zu ziehen. Damals hatte die SPD mit 26,7 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Doch die Aufarbeitung der Niederlage verlief nicht so konsequent, wie es sich viele Parteimitglieder gewünscht hätten. Denn das Debakel hatte auch viel mit dem Spitzenkandidaten zu tun, der allerdings im Amt blieb.

Zu wenig Empathie und Führungsstärke

Kutschaty ist ein integrer, seriöser Mann. Der Jurist aus Essen taugt nicht für politische Luftnummern und die große Show auf der Politbühne, was ihn durchaus sympathisch macht. Aber er ist eben auch keiner, der die Menschen mitreißt, der ihnen das Gefühl gibt, das bevölkerungsreichste Bundesland in die Zukunft führen zu können. Dazu gehören mehr Empathie und Begeisterungsfähigkeit, vor allem aber mehr Führungsstärke. Tatsache ist zudem, dass der sozialdemokratische Oppositionsführer für zu viele Menschen im Land bis zum heutigen Tag ein Unbekannter blieb. „Kutschaty wer...?“ war vielerorts keine polemische, sondern eine ernst gemeinte Frage.

Auf dieser Basis konnte es auch nicht gelingen, die Sozialdemokraten in ihrem einstigen Stammland wieder zur Stärke zu verhelfen. Die NRW-SPD hat auf nahezu allen Politikfeldern und in vielen Landesteilen ihr Ansehen verloren. Außerhalb des Ruhrgebiets, etwa im Rheinland, im Münsterland oder Sauerland, ist die CDU unter Ministerpräsident Wüst mittlerweile etabliert. Das Vertrauen in die Kompetenz der SPD, Probleme zu lösen und die Zukunftsfragen der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- oder Bildungspolitik zu beantworten, sank hingegen stetig.

Hinzu kommt, dass die Sozialdemokraten nicht nur in den traditionell konservativ geprägten ländlichen Regionen geschwächt dastehen. In vielen Großstädten haben ihnen die Grünen den Rang abgelaufen. Diese sind nicht nur Teil einer weitgehend geräuschlos funktionierenden schwarz-grünen Regierungskoalition, sondern besetzen in mehreren Rathäusern auch die Oberbürgermeister-Ämter. Solange es CDU und Grünen oin der Landesregierung gelingt, für modernen Konservatismus auf der einen und innovative Zukunft auf der anderen Seite zu stehen und solange Hendrik Wüst und Mona Neubaur an der Regierungsspitze harmonieren, bleibt der SPD wenig Raum zur Rückkehr an die Macht.

Zumal die Sozialdemokraten sich auch den Vorwurf gefallen lassen müssen, in der zweiten Reihe kein Personal aufgebaut zu haben, dem man die Führungsstärke zutraut, eine am Boden liegende Partei aufzurichten. Der Rücktritt von Thomas Kutschaty mag eine Chance für einen Neubeginn in der SPD sein, wie das funktionieren könnte, zeichnet sich derzeit aber nicht ab.

Klar sind hingegen die Anforderungen: Bisher arbeiteten Bundestagsfraktion, Landtagsfraktion und Rathausspitzen der SPD eher gegen- als miteinander. Wenn sie sich jetzt nicht zusammenraufen, droht der Landespartei die Bedeutungslosigkeit. Außerdem steht mit Kutschaty ein beschädigter Chef an der Spitze der Fraktion. Die Führungsfrage ist also schnellstens zu klären. Mit der Entscheidung, vorerst am Fraktionsvorsitz festzuhalten, hat Kutschaty Partei und Fraktion keinen Gefallen getan.

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