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Bodenoffensive in GazaIsrael bereitet sich auf monatelange Kämpfe in Gaza-Stadt vor

5 min
Israels Armee hat die Bewohner der Stadt Gaza zur Flucht aufgerufen.

Israels Armee hat die Bewohner der Stadt Gaza zur Flucht aufgerufen.

Israels Armee startet Offensive in Gaza-Stadt. Internationale Hilfsorganisationen und die EU fordern dringendes Eingreifen und planen Sanktionen.

Nach dem Beginn der stark umstrittenen Bodenoffensive Israels in Gaza-Stadt rufen Hilfsorganisationen die internationale Gemeinschaft zu dringendem Handeln auf. „Die Staaten müssen alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Mittel einsetzen, um zu intervenieren“, hieß es in einer im Namen von rund zwei Dutzend Hilfsorganisationen von „Save the Children“ veröffentlichten Mitteilung. UN-Generalsekretär António Guterres sagte: „Was heute in Gaza passiert, ist entsetzlich“. Die Stadt Gaza im Norden werde von Israel systematisch zerstört.

Es handle sich um Gewalt in einem Ausmaß, wie er es seit seiner fast neunjährigen Amtszeit als Generalsekretär in keinem Konflikt erlebt habe, sagte Guterres in New York. „Die Wahrheit ist, dass dies moralisch, politisch und rechtlich unerträglich ist.“ In der von „Save the Children“ veröffentlichten Mitteilung hieß es anklagend: „Unsere Warnungen wurden ignoriert, und Tausende weitere Menschenleben stehen weiterhin auf dem Spiel“. «

Israels Premier Netanjahu droht einmal mehr der Hamas. (Archivbild)

Israels Premier Netanjahu droht einmal mehr der Hamas. (Archivbild)

Armee will Flucht erleichtern

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte laut „Times of Israel“, bisher seien fast 400.000 Menschen den Evakuierungsaufrufen der Armee gefolgt und hätten die zur Kampfzone erklärte Stadt verlassen. Das sind aber erst weniger als die Hälfte der schätzungsweise rund eine Million Bewohner der Stadt. Er habe die Armee angewiesen, Wege zu finden, den Menschen die Flucht zu vereinfachen, wurde Netanjahu zitiert. „Weil wir ein Interesse daran haben, den Krieg schnell zu beenden und nicht mit einer Niederlage zu enden“.

Am Morgen kündigte ein Sprecher der israelischen Armee auf der Plattform X in arabischer Sprache die vorübergehende Öffnung eines Evakuierungskorridors in Richtung Süden an und veröffentlichte dazu eine entsprechende Karte. Die Route sei ab heute 12 Uhr Ortszeit (13 Uhr MESZ) für 48 Stunden freigegeben. Menschen dürften sich ausschließlich auf dem markierten Weg bewegen, hieß es. Die Maßnahme solle den Bewohnern von Gaza-Stadt die Flucht nach Süden erleichtern, so der Sprecher.

Netanjahu droht Hamas

Netanjahu warnte zugleich die islamistische Palästinenserorganisation Hamas eindringlich davor, den aus seinem Land verschleppten Geiseln etwas anzutun. Laut Medien soll die Hamas mehrere der Entführten aus unterirdischen Tunneln geholt und in Zelte und Häuser in der Stadt Gaza gebracht haben, um Israels Armee an Einsätzen in bestimmten Gebieten zu hindern. Sollten die Entführer den Geiseln Schaden zufügen, werde Israel sie bis an ihr Lebensende jagen, sagte Netanjahu. „Und dieses Ende wird viel früher kommen, als sie denken.“

Die Familien der Geiseln sind angesichts der begonnenen Bodenoffensive in der Stadt verzweifelt. Sie fürchten um das Leben der Verschleppten. Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind. Die Familien der Entführten werfen Netanjahu vor, ihre Angehörigen „aus politischen Erwägungen zu opfern“. 

Laut Berichten lokaler Medien demonstrierten am Abend erneut Tausende vor der Residenz von Premierminister Netanyahu in Jerusalem. Einige der Protestierenden, darunter Angehörige von Geiseln, wollten die Nacht in Zelten vor Ort verbringen, wurden jedoch laut den Angaben von der Polizei entfernt.

Laut Armeeangaben könnte Israels Bodenoffensive Monate andauern. (Archivbild)

Laut Armeeangaben könnte Israels Bodenoffensive Monate andauern. (Archivbild)

Armeesprecher: Bodenoffensive könnte Monate dauern

Nachdem das israelische Sicherheitskabinett im August trotz Widerstands aus der Militärführung die Einnahme von Gaza-Stadt gebilligt hatte, startete die Armee in der Nacht zum Dienstag ihre Bodenoffensive mit Tausenden Soldaten. Laut Armeesprecher Effie Defrin könnte der Einsatz mehrere Monate andauern.

Israels Regierung betont stets, sie bekämpfe ausschließlich die Hamas, während Zivilisten von der Terrororganisation als „menschliche Schutzschilde“ missbraucht würden. „Unter den Straßen verläuft ein ausgedehntes Tunnelnetz, das Kommandozentralen, Raketenwerfer und Waffenlager miteinander verbindet“, sagte Defrin. „Alles absichtlich unter Zivilisten und ziviler Infrastruktur versteckt.“ Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. 

Israels Armee geht nach eigenen Angaben davon aus, dass sich bis zu 3.000 kampfbereite Mitglieder der Hamas in der Küstenstadt aufhalten. Das „Wall Street Journal“ zitierte israelische und arabische Beamte, wonach die Hamas schätzungsweise über Zehntausende Kämpfer in ihren Reihen verfüge, wobei es sich jedoch vielfach um neue Rekruten mit wenig Ausbildung handele. 

Viele Palästinenser können sich eine Flucht aus der Stadt Gaza schlicht nicht leisten.

Viele Palästinenser können sich eine Flucht aus der Stadt Gaza schlicht nicht leisten.

Viele Palästinenser können sich Flucht nicht leisten

Vor Beginn der Offensive hatte die israelische Armee die Bewohner von Gaza-Stadt dazu aufgefordert, in eine sogenannte humanitäre Zone im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens zu fliehen. Nach Angaben von Hilfsorganisationen sind jedoch auch dort die Lebensbedingungen verheerend. Zudem berichten Medien, dass viele Palästinenser sich eine Flucht aus der Stadt finanziell nicht leisten können.

Ein Reporter des israelischen TV-Senders N12 berichtete unter Berufung auf Palästinenser in der Stadt, die Kosten für einen Leihwagen zum Transport ihrer Habseligkeiten seien sprunghaft auf 5.000 Schekel gestiegen - umgerechnet fast 1.300 Euro. Ein Großteil der rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens lebt in großer Armut. Fast alle von ihnen wurden während des schon seit fast zwei Jahren andauernden Krieges zu Binnenvertriebenen.

Die EU-Außenbeauftragte Kallas appelliert an die Bundesregierung, die Pläne für europäische Handelssanktionen gegen Israel zu unterstützen oder andere Druckmittel vorzuschlagen. (Archivbild)

Die EU-Außenbeauftragte Kallas appelliert an die Bundesregierung, die Pläne für europäische Handelssanktionen gegen Israel zu unterstützen oder andere Druckmittel vorzuschlagen. (Archivbild)

Eine von den Vereinten Nationen eingesetzte Kommission von Menschenrechtsexperten kommt in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht zu dem Schluss, dass Israels Vorgehen im Krieg gegen die Hamas auf die Zerstörung des palästinensischen Volkes abziele. Der Bericht wirft Israel Völkermord vor. Die israelische Regierung wies die Vorwürfe als skandalös zurück. Hilfsorganisationen berichten weiterhin von einer dramatischen humanitären Lage im Gazastreifen.

„Wir haben Familien getroffen, die Tierfutter essen, um zu überleben, und Blätter kochen, um ihre Kinder zu ernähren“, hieß es in der von „Save the Children“ veröffentlichten Mitteilung der Hilfsorganisationen. „Die Geschichte wird diesen Moment zweifellos als eine Bewährungsprobe für die Menschheit beurteilen. Und wir versagen. Wir versagen gegenüber den Menschen in Gaza, wir versagen gegenüber den Geiseln, und wir versagen gegenüber unserer eigenen kollektiven moralischen Verpflichtung“, hieß es darin weiter. 

EU-Kommission stellt Vorschläge für Israel-Sanktionen vor

Als Reaktion auf das Vorgehen Israels im Gazastreifen will die EU-Kommission heute neue konkrete Sanktionsvorschläge gegen das Land vorlegen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hatte zuvor die Bundesregierung aufgefordert, die geplanten Handelssanktionen zu unterstützen oder eigene Vorschläge für wirksame Druckmittel einzubringen.

„Wenn wir uns einig sind, dass die Lage unhaltbar ist und wir die israelische Regierung zum Kurswechsel bringen wollen, dann müssen wir klären: Was können wir dafür tun?“, sagte Kallas dem Sender Euronews. Die Europäische Union ist im Umgang mit dem jüdischen Staat tief gespalten. (dpa)