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Ausstellung im Kölnischen StadtmuseumGroßes Kino – 120 Jahre Kölner Kinogeschichte

4 min

Köln – Hans Lehrhoff legte Wert auf Etikette. Die Tischdeckchen zog er vor der Öffnung des Lokals gerade, und mit Lederjacke war es bei Ihm schwer hereinzukommen. Ein Sakko war angesagt, vor Filmbeginn in Höhenhaus gab man es an der Garderobe ab. Im „Filmdancing Alt-Berlin“ ging es um viel mehr als nur darum, einen Film zu gucken. Das Höhenhauser Lichtspielhaus war Tanzlokal – mehrfach wurde der Film unterbrochen, und dann ging die Musik an. Hans Lehrhoff pflegte fast drei Jahrzehnte lang ein in Deutschland einmaliges Ausgeherlebnis.

„Vergnügungszentrum mit allen Variationen der Unterhaltung“ steht auf einem Plakat, das derzeit im Stadtmuseum zu sehen ist. In der Ausstellung „Großes Kino“ ist auch eine kleine Vitrine zum Filmdancing-Lokal eingerichtet. Tatsächlich handelte es sich um einen der kuriosesten Entertainmentgedanken der Branche – einen, der großen Erfolg hatte.

Der junge Hans Lehrhoff war ausgebildeter Hotelkaufmann und als Hamburger Junge der See verbunden. Er fuhr als Steward über die Meere. Gute Unterhaltung wusste er also zu schätzen. Als er wieder in Deutschland sesshaft werden wollte, wurde ein gewisser Hans Herbert „Daddy“ Blatzheim aufmerksam. Der Stiefvater von Romy Schneider lotste den Steward als Geschäftsführer eines Hotelbetriebes nach Hannover, doch Lehrhoff wollte etwas anderes. „Mein Vater war immer offen für Neues“, erzählt seine Tochter Kerstin, „und am liebsten wollte er eine Disco aufmachen.“

Filmkunst und Tanzgenuss kombiniert in einem Etablissement

So stieß er auf das frühere Helenen-Theater. Das Kino wurde 1952 im Weidenbruch in Höhenhaus eröffnet, und so kam Lehrhoff auf die Idee, Filmkunst und Tanzgenuss zu kombinieren. Vorbilder dafür soll es im englischsprachigen Raum gegeben haben. Der damals 30-Jährige stürzte sich beherzt in das Projekt und ließ sich bei der Gestaltung von einer Berlin-Sehnsucht leiten: Ein Kulissenmaler des WDR gestaltete die Wände mit Berliner Motiven, der Vorhang vor der Leinwand wurde mit dem Brandenburger Tor verziert.

Gut 500 Besucher passten in das Kino. Es gab gepolsterte Sitzecken, die man heute als loungig bezeichnen würde. Das Publikum saß auf drei Ebenen, und auf der Seite war die Tanzfläche untergebracht. Dazu eine Bar, ein kleines Restaurant, ein Billiardtisch. Im stimmigen Alt-Berliner Ambiente war das DJ-Pult in einer Art preußischem Wärterhäuschen untergebracht. 12 000 Titel umfasste die Schallplattensammlung, der Chef behielt selbst den Überblick.

An dem Plattenteller standen andere. Frank Laufenberg etwa, der sein Karriere als Musikjournalist hier startete. Gastspiele gaben aber auch Kölner Künstler wie die „Höhner“, Bläck Fööss“ oder „The piano has been drinking“. Es war ganz bunt gemischt, alles, was den Leuten Spaß machte“, sagt Kerstin Lehrhoff. Der junge Roland Kaiser etwa oder Roy Black, der übernachtete danach schon mal auf dem Sofa bei der Familie, die in der ersten Etage wohnte.

Tochter des Kinochefs bediente den Projektor

Die Tochter des Kinochefs ist mit Bildern der Leinwand groß geworden. Hitchcock, James Bond, Fame, Jenseits von Afrika. Zu ihrem elften Geburtstag hat sie Lucky Luke vorgeführt, den Projektor bediente sie selbst. Beherrschen würde sie es noch heute, das baugleiche Modell FH66 („Frieseke und Hoepfner aus Erlangen“) ist derzeit im Stadtmuseum zu sehen. Das Rattern der Filmrollen, das Scheppern der Räder und Spulen werde ihr immer im Kopf bleiben, sagt die 49-Jährige. Den Motor für die Spulen hatten sie einer Waschmaschine entnommen. Ihr Vater lebt heute in einem Pflegeheim, die Erinnerungen sind weiter sehr lebendig in ihm, der Besuch der Ausstellung ist aber nicht mehr möglich. Den Kontakt zur Familie hatte der Verein „Köln im Film“ hergestellt.

Musikalisch tanzten sich die Gäste durch die Stilformen der Dekaden. Von den Stones und Kinks zur Disco-Welle der 70er und den Syntheziser-Klängen der 80er Jahre. Zwei Pausen mit drei bis vier Liedern gab es pro Film, am Wochenende waren es mehr und längere Unterbrechungen. Hans Lehrhoff war zudem ein Marketing-Mann allererster Güte. So führter er in den „Astro-Tag“ ein (jeden Mittwoch freier Eintritt für Träger des jeweiligen Sternzeichens), Pyjama-Partys und Ladies Nigths (Gratis-Eintritt im roten Kleid). Später Miss-Wahlen. Die Gesetze des Event-Entertainments hatte der Hanseat früh verinnerlicht.

3,50 D-Mark kostete der Eintritt in den 80er Jahren. Die Filmdisco lief stabil, der Großteil der Gäste kam regelmäßig. Erst Anfang der 90er Jahre wurde es schwierig. Man ging nicht mehr so häufig tanzen, die Großkinos bestimmten die Branche, und Hans Lehrhoffs Kino wirkte plötzlich aus der Zeit gefallen. Nach 1994 versuchte ein türkischer Betreiber eine Edeldisko – erfolglos. Heute nutzt die Evangelische Freikirche die Räume.

Hans Lehrhoff verabschiedete sich auf seine Art. In der Silvesternacht 1994 trat er um fünf Uhr früh auf die Bühne und verkündete, was nur eine Handvoll Leute wusste: „Das war heute der letzte Abend.“ Vorhang, Ende.

Die Ausstellung „Großes Kino. 120 Jahre Kölner Kinogeschichte“ ist bis 6. November im Kölnischen Stadtmuseum , Zeughausstraße 1-3, zu sehen. Di.: 10 bis 20 Uhr, Mi. bis So. 10 bis 17 Uhr.