Unsere Volontärin hat in Frankfurt gelebt und dachte, härter geht es nicht. Dann ist sie nach Köln gezogen. Wie sie die Unterschiede erlebt.
Drogenszene am NeumarktVon „Crackfurt“ nach Köln - Wie die Stadt von Frankfurt lernen kann

Drogenszene Lungengasse Foto: Meike Böshemeyer
Copyright: Meike Böschemeyer
Mir entgehen die großen Augen und das gehauchte „Oh“ der Kölnerinnen und Kölner nicht, wenn ich sage, dass ich drei Jahre lang in Frankfurt gelebt und studiert habe. Ja genau, Frankfurt am Main. Die kriminellste Stadt Deutschlands. „Crackfurt“, wie manche sagen.
Der Hauptbahnhof und das Bahnhofsviertel sind das drogengeplagte Markenzeichen der Stadt. So sehr, dass in den sozialen Medien allerlei Witze („Blutgruppe: Frankfurter Hauptbahnhof“) rund um diesen Ort gerissen werden. Das Viertel hat auch schon internationale Schlagzeilen kassiert: Eine britische Boulevardzeitung hat während der Fußball-EM im vergangenen Jahr das Bahnhofsviertel als „Zombieland“ bezeichnet und Touristinnen und Touristen vor einem Besuch gewarnt.
Was hat mich eigentlich in das vermeintliche Höllenloch verschlagen? Ganz einfach: Ich wollte schon immer mal Großstadtsmog schnuppern. Außerdem gibt es zu der Hölle auch den Himmel – während Frankfurt auf das Bahnhofsviertel reduziert wird, gibt es die in Deutschland einzigartige Skyline, die zwischenmenschliche sowie kulinarische Multikulturalität, die Altstadt und ja, sogar den Apfelwein habe ich akzeptiert. Denn eigentlich komme ich aus Rheinland-Pfalz, ein Dorf in der Größe eines Bundeslandes mit preisverdächtigem (Trauben-)Wein. So bin ich als absolutes Landei in die hessische Metropolregion gezogen.
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Der Realitätsschock
Wohnungslosigkeit und Drogensucht waren bis dahin kein großes Thema in meinem Leben. Wie denn auch – ich wurde ja nie damit konfrontiert. Also war ich umso überforderter, als ich die Realität in der Großstadt zu spüren bekam: Im Fentanyl-Rausch erstarrte Obdachlose in Bahnunterführungen, Spritzen auf dem Boden, der beißende Geruch von Urin in U-Bahnen. Und bevor sich jetzt alle Kölnerinnen und Kölner entspannt zurücklehnen und denken: „Puh. Zum Glück ist meine Stadt nicht so betroffen!“ – diesen Realitätscheck hatte ich nicht nur in Frankfurt, sondern auch in Köln.
Nicht falsch verstehen. Ich liebe beide Städte (ja, das geht). Köln ist erst seit über einem Monat meine zweite Station im Kampf durch mein drittes Jahrzehnt – und ich habe sie schnell ins Herz geschlossen. Das Nachtleben, die Szene und die Mentalität sind nur einige der Dinge, die ich an der Stadt großartig finde. Aber: Mir ist sofort aufgefallen, wie präsent Wohnungslosigkeit und Drogensucht auch hier sind.
Der Zustand am Neumarkt sorgt für Schlagzeilen: Drogendeals am helllichten Tag, Exkremente auf dem Boden, verdreckte Parkhäuser. Einerseits versucht die Stadt, den in Verruf geratenen Platz mit Kulturangeboten aufleben zu lassen, andererseits verschlechtert sich der Zustand stetig. Auch in den sozialen Medien wird über die Lage diskutiert. Eine Nutzerin schreibt: „Noch vor zwei bis drei Jahren wurde man vielleicht abends in der Bahn angebettelt. Mittlerweile passiert das ständig und überall.“ Einige Social-Media-Nutzende sind der Meinung, dass die Stadt versage und die Verantwortung auf die Betroffenen abwälze. Andere wiederum meinen, dass es gegen diese Problematik ohnehin keine Lösung gäbe. Letzteres ist keine Option und widerspricht dem kölschen Optimismus.
Frankfurt zeigt: Es geht anders
Lösungen gibt es schon. Frankfurt hat im März einen „7-Punkte-Plan“ vorgestellt, um die Lage im Bahnhofsviertel zu verbessern. Die Stadt setzt dabei auf Repression und Prävention. Der polizeiliche Druck auf Drogendealer wird erhöht, gleichzeitig werden zusätzliche Hilfseinrichtungen für Obdachlose und Suchtkranke geschaffen. Seit vergangenem Herbst arbeitet die Polizei mit einer KI, um Straftäter und Vermisste schneller identifizieren zu können. Laut Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sei der Plan soweit erfolgreich: Die Zahl der Straftaten im Bahnhofsviertel sei seitdem um sieben Prozent gesunken, beim Straßenraub sogar deutlich stärker. Die neue Technik habe Dealer vertrieben, aber eine Verdrängung der Drogenszene in andere Stadtteile sei bislang nicht zu beobachten.
Ein weiteres Beispiel ist die U-Bahn-Station „Eschenheimer Tor“ in der Innenstadt. In der beheizten Zwischenebene hat der Frankfurter Verein eine Übernachtungsmöglichkeit für wohnungslose Menschen eingerichtet. Das Angebot ist niedrigschwellig konzipiert, eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Es stellt eine ruhige Alternative zur hektischen Hauptwache dar, nur eine Station entfernt. Perfekt ist dieser Ansatz nicht, aber menschlich.
Crack rennt, Köln zögert
Bevor ich mit Heugabeln und Fackeln ins Frankfurter Exil verbannt werde: Ich sage damit nicht, dass Köln gar nichts versucht. Es gibt Konsumräume, Substitutionsprogramme, Streetworker. Aber offensichtlich ist das nicht genug – und nicht konsequent gedacht. Crack sowie neue Substanzen rennen ganz vorne im Marathon, und Köln schleift hinterher.
Auch Frankfurt gehört, wie momentan jede deutsche Großstadt, zu den Schlusslichtern des unschönen Marathons. Zwar wird ein neues Crack-Zentrum eingerichtet, aber die Debatten zuvor waren langwierig und emotional. Dabei musste vor allem der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) einstecken. Sein Vorschlag, in den Drogenkonsumzentren und dem neuen Crack-Zentrum ausschließlich Frankfurter Abhängige behandeln zu lassen, traf auf eine Menge Kritik und wurde Anfang Juli letztendlich abgelehnt. Trotzdem entsteht ein neues Zentrum. Das ist schonmal ein Schritt nach vorne, um die Drogen einzuholen.
Währenddessen ist in Köln der mobile Drogenhilfebus defekt, Ersatz nur in Planung. Drogenkonsumzentren sind da, aber haben nicht ausreichend Platz. Die Stadt setzt vermehrt auf polizeilichen Druck, wodurch sich die Szene lediglich an andere Orte verlagert. Das Parkhaus in der Cäcilienstraße ist wohl das Ergebnis dieser Verdrängung. Ein abgestimmtes Handlungskonzept fehlt – ebenso wie eine klare Linie zwischen Repression und Entkriminalisierung.
Mit den jetzigen Schlagzeilen droht Köln vielleicht ein ähnliches Schicksal wie Frankfurt. Es wäre doch zu schade, wenn die liberalste Stadt Deutschlands, bekannt für Karneval, Dom und Offenheit, auf die Probleme am Neumarkt reduziert wird.