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Interview mit OB Reker, Teil 2„Die Politik muss entscheiden, was ihr am wichtigsten ist“

Lesezeit 7 Minuten
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Unter anderem die Themen Verkehr und Großbauprojekte haben in diesem Jahr für Empörung bei den Bürgern und Kritik an der Verwaltung gesorgt. Darüber sprach Henriette Reker im zweiten Teil des Rundschau-Gesprächs zum Jahresabschluss.

In diesem Jahr stand das Thema Bauen oft negativ im Rampenlicht. Erst das RGM, dann der Wallraf-Richartz-Anbau, die Schul-Interims. Sie haben eine Liste mit Großbauprojekten vorgelegt, die Politik darf jetzt entscheiden...

...sie muss! Das ist ihr Job!

...sie muss jetzt entscheiden, was sie davon realisieren will, oder eben nicht. Sehen Sie etwas, worauf man verzichten könnte?

Alles zum Thema Henriette Reker

Ich will der politischen Debatte nicht vorgreifen. Diese Frage müssen Sie der Politik stellen.

Aber wir stellen sie Ihnen.

Es ist Aufgabe der Politik, zu entscheiden, was sie umsetzen möchte. Aber wir können nicht alles parallel umsetzen, das haben wir klargemacht. Die Politik muss entscheiden, was ihr am wichtigsten ist.

Und was ist Ihnen wichtig?

Die beiden Schulbaupakete müssen wir durchführen. Die Brücken müssen saniert werden und die Museen müssen auch saniert werden.

Da bleibt nicht viel übrig.

Deswegen ist die Transparenz wichtig, welche Vielzahl an Bauprojekten alle beschlossen worden sind.

Sie sprechen es an: Es sind zu viele Projekte. Hat die Politik da noch den Überblick?

Dabei hilft ja nun die Liste. Aber es ist wirklich so, es wird beschlossen und beschlossen und beschlossen. Das kann man eben nicht alles parallel abarbeiten. Verstehen Sie mich nicht falsch, es ist alles sinnvoll. Aber es geht eben einfach nicht alles gleichzeitig.

Wie sehen Sie denn die Zusammenarbeit im Rat? Speziell bei der Verkehrspolitik knirscht es ja mächtig.

Das ist es ja in der Landesregierung ähnlich, Grüne und CDU haben zur Verkehrspolitik in vielen Dingen nicht die gleiche Einstellung. Vielleicht ist ja gerade dann der Kompromiss für die Bürger die gute Lösung. Das war immer mein Credo: Wenn eine Partei durchregiert, ist es für den Bürger, der diese Partei nicht gewählt hat, doch schlechter. So wie es jetzt ist, sind alle irgendwie beteiligt.

Bedauern Sie eigentlich, dass der Tunnel der Ost-West-Achse nie gebaut werden wird?

Ich weiß nicht, ob der niemals gebaut werden wird.

Das dürfte mit der grünen Mehrheit eigentlich klar sein.

Nein. Ich glaube nicht, dass man das so sehen kann. Es wird parallel geplant und es ist sicherlich schwieriger, unterirdisch zu planen und zu bauen, als oberirdisch. Für mich ist das letzte Wort in dem Fall noch nicht gesprochen.

Sie hoffen als noch, dass er gebaut wird?

Ja, ich fände es richtig, weil es letztlich für die Stadt besser wäre, diese Verkehrsachse unterirdisch zu realisieren. Nicht, um dem Autoverkehr mehr Platz einzuräumen, sondern um eine bessere Verkehrsverbindung zu haben und oberirdisch gestalten zu können.

Es ist ja erklärtes Ziel der Ratsmehrheit, den Verkehr neu zu ordnen und dem Auto nicht mehr so viel Raum zu geben. Aber die Versuche in Deutz und auf der Venloer Straße zeigen, dass die Realität der Menschen auf ‚die ‘Theorie prallt, wie man den Verkehr anders organisieren kann. Geht die Stadt zu forsch vor?

Ich glaube, dass eine stärkere Öffentlichkeitsbeteiligung ganz wichtig ist, bevor man etwas macht – aber dann muss man es auch umsetzen! Das kann man nicht erst später machen, wenn sich keiner mehr an die Öffentlichkeitsbeteiligung erinnert. In Deutz gibt es auch viele Stimmen, die das befürworten.

Mein Vater hat noch auf der Hohe Straße den Führerschein gemacht!
Henriette Reker, Kölns OB

Aber es gibt auch Gegenwind?

Den gibt es in jeder Stadt. Deswegen haben wir uns für Verkehrsversuche entschieden, um herauszufinden, welche Vorstellungen umsetzbar sind und welche nicht. Manchmal muss man aber mutig voran gehen und Dinge verändern. Meist kann man sich später gar nicht mehr dran erinnern, dass es mal anders war. Mein Vater hat noch auf der Hohe Straße den Führerschein gemacht!

Gibt es Schmerzgrenzen?

Es gibt natürlich Hauptverkehrsstraßen wie Rheinuferstraße oder Aachener Straße, wo das schwierig ist. Aber auch da müssen wir die Frage beantworten, wie die Radfahrer dorthin kommen. Die Beruhigung und Verschönerung des öffentlichen Raums und die Verkehrswende spielen da ineinander. Die Wende kann aber nur funktionieren, wenn auch viele Personen auf das Rad umsteigen. Dafür müssen wir das Angebot schaffen.

Glauben Sie denn, dass das 49-Euro-Ticket den Verkehr verändern wird? Oder wird es die KVB noch mehr belasten?

Ich halte es grundsätzlich für richtig, dass der ÖPNV günstiger und einfacher zu nutzen sein soll. Natürlich muss er aber auch so ausgebaut werden.

Stimmt denn beim Ausbau das Tempo? Wir sehen häufig, dass viele Angebote ausfallen.

Aktuell fallen viele Angebote aus, weil es viele Krankheitsfälle gibt. Meine Meinung war aber immer, dass der ÖPNV gut ausgebaut werden muss, und, dass das auch viel Geld kosten darf. Wir müssen jetzt ausbauen und wir erneuern den Großteil der KVB-Flotte. Übrigens: Wenn dann da eine 90-Meter lange Bahn (Vor allem auf Linie 1 will die KVB Langzüge einsetzen, Anmerkung der Redaktion) an doppelt so langen Bahnsteigen hält, dann denkt die Eine oder der Andere auch nochmal über den Tunnel nach.

Der Tunnel bringt uns noch auf ein weiteres Thema: Wie sollen denn die Problemplätze Neumarkt und Ebertplatz in Zukunft aussehen?

Ich würde sagen, dass wir gemeinsam mit starker Unterstützung aus der Bürgerschaft den Ebertplatz schon aus der schwierigsten Situation befreit haben. Am Neumarkt sind wir auch dran, in das Projekt sind fast alle Dezernate involviert. Allerdings werden wir den erst umfassend neu gestalten können, wenn die Entscheidung über den Tunnel getroffen ist.

Der Neumarkt muss sein Bild auch jetzt schon verändern.
Henriette Reker, Kölns OB

Dauert das nicht zu lange?

Der Neumarkt muss sein Bild auch jetzt schon verändern. Bereits im kommenden Jahr soll der Brunnen wieder sprudeln. Mit dem Brunnen und mehr Einsatz von Streetworkern, die sich mehr um die schlimmen Drogenfälle kümmern, wird es besser werden. In der öffentlichen Wahrnehmung ist natürlich die Obdachlosigkeit ein riesiges Problem.

Obdachlosigkeit hat im Zentrum massiv zugenommen.

Ja, ich finde auch, dass das sichtbar ist. Wir haben ungefähr 8000 Wohnungslose. Und die Frage ist, wie man damit umgeht. Wir können die Leute auch nicht einfach an den Stadtrand vertreiben.

Spielt das Drogenproblem dabei die entscheidende Rolle?

Zunächst ist Obdachlosigkeit und Drogenkonsum nicht gleichzusetzen. Aber ja, auch am Neumarkt haben wir ein Drogenproblem. Deswegen bin ich froh, dass wir mit dem Drogenkonsumraum ein wichtiges Angebot machen können.

Die Anwohner am Neumarkt sagen aber heute noch, dass der Raum sie nicht nach vorne gebracht hat.

Wir beobachten die Situation genau und reagieren auch. Deswegen werden wir zum Beispiel die Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums erweitern.

Könnte die Stadt denn etwas tun, um Obdachlosigkeit zu mindern?

Wir tun bereits viel, aber wollen unsere Angebote ausweiten. Wichtig ist, Aufenthaltsräume zu schaffen, aber solche, die auch angenommen werden. Das muss aber auch in einem entsprechenden Umfeld sein. Wir haben das mal auf der Siegburger Straße versucht, aber da sind zu wenige hingegangen. Obdachlose wollen da sein, wo was los ist. Das kann man auch verstehen.

Und was sagen Sie den Händlern, deren Eingänge zum Schlafen oder als Toilette benutzt werden?

Ich finde das höchst bedenklich. Ich kann die Geschäftsleute gut verstehen, dass sie das als Belastung empfinden. In schlimmen Fällen greift die Stadt ein, aber es ist auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.

Wie meinen Sie das?

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Herausforderungen ändern sich: Da immer nur zu sagen, dass das Probleme der Stadt seien, damit ist es nicht getan. Ich wünsche mir eine große gesellschaftliche Übereinstimmung in den Mitteln, die wir anwenden.

Nun sind Sie in der Mitte ihrer zweiten und letzten Amtszeit angekommen. Was war für sie bisher die größte Hürde?

Für mich war es eine Herausforderung, in dieser Stadt die Finanzen in Ordnung zu bringen. Als ich gewählt wurde, wurde der Haushalt erst am Ende des Jahres beschlossen, für den er gelten sollte. Das habe ich geschafft umzustellen. Heute beschließen wir den Haushalt, bevor das neue Jahr beginnt. Und ohne Corona und den Ukraine-Krieg hätten wir auch einen ausgeglichenen und generationengerechten Haushalt erreicht.

Und was haben Sie noch vor, bis Sie das OB-Büro verlassen?

Ich möchte gern das Tempo nochmal ein Stück anziehen. Es ist mir wichtig, dass wir eine lernende Organisation werden, wie es die Verwaltungsreform das anstrebt. Ich möchte, dass wir große Schritte in der Dekarbonisierung machen. Köln will schließlich bis 2035 klimaneutral sein. Der Schulbau soll funktionieren und der Verkehr verträglich für Anwohner sowie Geschäftsleute beruhigt werden.

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