„Köln fand ich sofort großartig“Filmemacher Michael Souvignier über seinen Werdegang

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„Das Leben schreibt die besten Geschichten“, findet Michael Souvignier. Er setzt sie in erfolgreiche Filme um.

Köln – Er wohnt und arbeitet in einer ehemaligen Fabrik in Müngersdorf. Das Stadion des 1. FC Köln ist nicht fern von hier, und tatsächlich inspirierte es Michael Souvignier einst zu einem seiner Filme.

Freut es Sie, wenn Rot-Weiß Essen in die 3. Bundesliga aufsteigt?

Michael Souvignier: Na klar, mich freut alles, was mit dem Verein zu tun hat.

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Rot-Weiß war der Arbeiterverein, Schwarz-Weiß Essen traditionell der für die Mittel- und Oberschicht. Wo standen Sie?

Bei Rot-Weiß, schon weil da Willi Lippens spielte. Das war mein Idol.

Sind Sie ein richtiges Ruhrgebietskind – mit Staublunge und allem?

In Essen gab es 16 Zechen, bei uns waren jeden Tag die Fenster verrußt. Und unsere Straße hieß Am Kohlenkämpchen, das sagt wohl alles.

Sie sind also eher nicht mit kleinen Krupps zur Schule gegangen?

Wir wohnten in Bredeney, bei uns ging es durch alle sozialen Schichten. Ich habe Kinder barfuß zur Schule kommen sehen, während andere mit ihrem Chauffeur vorfuhren. Berthold Albrecht von Aldi Nord war zum Beispiel auch bei uns auf der Goetheschule. Wir hatten fantastische Lehrer, schrullige, tolle Typen, und unsere Klassen waren gut durchgemischt mit unterschiedlichsten Kindern. Ich erinnere mich wirklich gern an die Schulzeit zurück.

Sie haben schon während Ihres Studiums in Essen Fotos ausgestellt.

Ich war immer der Kunst zugewandt und hatte Maler- und Bildhauerfreunde. Ich habe schon mit 16 angefangen, künstlerisch zu fotografieren.

In Essen hat Jürgen Klauke gelehrt, Bernd und Hilla Becher haben viel im Ruhrgebiet fotografiert.

Die Bechers waren mir immer zu leblos und akademisch. Klauke hingegen ist ein sehr interessanter Künstler, der viele Themen von heute vorweggenommen hat. Ich selbst interessiere mich für Situationen und Umbrüche, für das Vorher-Nachher. Früher habe ich ich immer eine Hupe mitgenommen und nach dem ersten Foto da draufgedrückt, um für das zweite die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen.

Haben Sie damit Geld verdient?

Als Student lebte ich vom Bafög, und Fotografie, damals noch analog, war sehr teuer. Statt zu kellnern wie andere, habe ich mir früh studiumsnahe Jobs gesucht. Ich habe alles fotografiert: Theater, Mode, Plattencover. Das Geschäft lief bald so gut, dass ich kaum noch an der Uni war.

Sie sind ein Studienabbrecher?

Ich hab’s für meine Eltern zu Ende gebracht, aber erst, nachdem ich von der Fotografie zum Film gewechselt war. Ich habe dann bei Adolf Winkelmann in Dortmund Kameramann studiert. Da durfte ich etwa bei den Dreharbeiten für „Nordkurve“ zusehen, und Winkelmann wurde später mein Regisseur bei „Contergan“.

Warum haben Sie den Ruhrpott gegen Köln eingetauscht?

Ich wohnte Anfang der 1980er in einer WG mit zehn Fotografen. Damals haben wir für ein Projekt namens „Die 11 000 Jungfrauen oder Tränen lügen nicht“ fotografiert, eine Stadtinszenierung. Köln war zu jener Zeit mit New York das Kunstzentrum der Welt, die Stadt fand ich sofort großartig. Die Schlussveranstaltung leitete der als römischer Kaiser verkleidete Alfred Biolek, und es gab eine Salsaband. Die spielte bis morgens um 4, die ganze Domplatte tanzte. Eine Woche später bin ich nach Köln gezogen.

Fotograf, Kameramann und Regisseur: Inwiefern hilft Ihnen diese Vorgeschichte heute als Filmproduzent?

Produzenten haben normalerweise eher einen kaufmännischen oder BWL-Hintergrund. Ich komme von der Kunst, ich denke immer sehr inhaltlich – lernen musste ich mit der Zeit vor allem, mit immer größeren Budgets umzugehen.

Freuen sich Kameramänner und Regisseure über einen Produzenten, der alles besser weiß?

Bestimmt nicht, aber ich halte mich auch zurück. Ich suche mir die Leute für meine Projekte ja aus und mische mich nur ein, wenn es nötig und wichtig ist.

Und Dank Ihrer Lebensgefährtin Claudia Kleinert (u.a. Moderatorin der ARD-Wettervorhersage) wissen Sie immer, ob beim nächsten Drehtag die Sonne scheint?

Diese Antenne zum lieben Gott benutze ich eher selten. (lacht)

2013 haben Sie die Geschichte von Kurt Landauer, Jude und ab 1913 Präsident von Bayern München, produziert. Der Mann wurde von den Nazis in Dachau inhaftiert und kam nach dem Krieg zurück in sein Amt. Wie kamen Sie an diesen Stoff?

Ich saß hier um die Ecke im Müngersdorfer Stadion und sah den FC gegen die Bayern. In der Bayernkurve hing ein riesiges Plakat: „100 Jahre Landauer“. Ich habe recherchiert, aber Landauer war aus der Geschichte getilgt. Also habe ich zunächst die bayrischen Ultras angerufen, die mir dann viel über sein bewegtes Leben erzählt haben. Später habe ich auch Uli Hoeneß getroffen, der von der Filmidee begeistert war. Heute hat Kurt Landauer dank des Films eine eigene Ausstellung im Vereinsmuseum.

Also kann Kunst, können Filme die Welt verändern?

Natürlich, das beweist ja auch unser „Contergan“-Film von 2007.

Der durfte lange nicht ausgestrahlt werden, Sie wurden vom Contergan-Hersteller, dem Pharmaunternehmen Grünenthal, verklagt.

Der Prozess dauerte zweieinhalb Jahre und ging bis vors Bundesverfassungsgericht, wo wir schließlich gewonnen haben. Die Situation war natürlich brandgefährlich, meine Existenz und die der Firma wären bei einem verlorenen Prozess bedroht gewesen. Aber die Gerechtigkeit siegte, Gott sei Dank.

Der Film hat dann viele Preise gewonnen.

Stimmt, aber der größte für mich war eine Mappe mit 2400 Unterschriften von Contergangeschädigten. Die haben sich dafür bedankt, vor dem Vergessen bewahrt worden zu sein. Auch die Bundesregierung und sogar Grünenthal haben schnell reagiert. Die Betroffenen bekommen heute ein Mehrfaches der damaligen Renten.

„Das Wunder von Lengede“, „Beate Uhse“, „Das Tagebuch der Anne Frank“ und so weiter: Woher stammt Ihr Interesse an dokumentarischen Filmen?

Ich habe mit journalistischen, nonfiktionalen Sendungen angefangen. Mich interessieren Geschichten und ihre Historie, auch meine Fotografien werden nicht verfremdet. Ich sage mir: Das Leben ist spannend genug und schreibt die besten Geschichten.

Sehen Sie sich Ihre Filme mit zeitlichem Abstand im TV nochmal an?

Während der Produktion sehe ich ja jeden Tag das gedrehte Material. Irgendwann kommen die ersten Schnitte, die Musik, die Special Effects und so weiter. Bevor er fertig ist, sehe ich so einen Film 30, 40 Mal. Später bei der TV-Ausstrahlung, na ja, manchmal wird man einfach verrückt, weil man nie vollkommen zufrieden ist.

Zuletzt wurde „Die Goldjungs“ ausgestrahlt, der Film zur Kölner Herstatt-Pleite von 1974. Was gefiel Ihnen nicht?

Im ersten Teil die Frisur unserer Hauptdarstellerin Michelle Barthel. Weil ich sofort erkenne, dass das eine Perücke ist.

Was war Ihr zentrales Interesse am Herstatt-Skandal?

Ich frage mich immer: Was hat die Geschichte heute noch für eine Relevanz, und wie transportiere ich die für die Zuschauer? Das besondere am Fall Herstatt ist für mich, dass es damals noch stark um Haltung ging. Ivan Herstatt ist an dieser Sache zerbrochen, Gerling als sein Jugendfreund hat nie wieder ein Wort mit ihm gesprochen. Gleichzeitig hat Gerling die Aktionäre bis zu einem gewissen Grade mit seinem Privatvermögen ausgezahlt – obwohl er nicht der Bankier, sondern nur der Hauptaktionär war.

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Trifft es Sie, wenn sich die Kinder von Ivan Herstatt durch die Darstellung Ihres Vaters verletzt fühlen?

Nein, das trifft mich nicht, weil ich es verstehe. Handelte der Film von meinem oder Ihrem Vater, hätten wir eine subjektive Perspektive. Das tut natürlich weh, wenn man sieht, wie der Vater bei Sitzungen einschläft – Ivan Herstatt litt ja an dieser seltenen Krankheit namens Pickwick-Syndrom. Die Kinder behaupten, die sei erst nach der Pleite aufgetreten. Aber da habe ich andere Informationen.

Echte Namen, erfundene Details: Ist das nicht immer ein Problem?

Doch. Wenn man die Persönlichkeitsrechte eines Betroffenen besitzt, kann man mit dem Klarnamen arbeiten. In einer Satire sind zudem Überspitzungen möglich, während reine Dokumentationen sich an die Fakten halten sollten. Bei „Contergan“ wurde ich gewarnt: Ich solle aus der Firma Grünenthal lieber „Blauthal“ oder sowas machen. Aber da war für mich eine Grenze erreicht. Deshalb habe ich die vielleicht einzige deutsche Produktionsfirma, die zwei festangestellte Juristen beschäftigt. (lacht)

2010 haben Sie wieder angefangen, professionell zu fotografieren. Warum?

Als Filmproduzent bin ich der Kapitän von sehr vielen Leuten. Und ich arbeite soviel, dass ich am Ende der Woche nicht mehr weiß, was ich eigentlich gemacht habe. Wenn ich fotografiere, muss ich niemanden fragen, habe keinen Regisseur, keine Schauspieler, keinen Kunden. Sondern bin nur für mich, treffe meine Entscheidungen ganz alleine − die reinste Erholung.

In nächster Zeit werden unendlich viele Coronafilme gedreht werden. Auch von Ihnen?

Tatsächlich entwickeln wir etwas in die Richtung. Aber dabei steht nicht Corona im Mittelpunkt, sondern eher die Auswirkung einer Pandemie auf Beziehungen. Ein weiteres Kölner Projekt treibe ich ebenfalls voran, aber darüber kann ich noch nichts erzählen. (grinst)

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