Dozent mit HandicapFlorian Lintz an der TH Köln: „Hier bin ich richtig!"

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Kommunikative Kompetenz, Ideen und Erfahrung bringt Florian Lintz (32) in seinen Lehrauftrag ein – unter anderem. Er steht entspannt in einem hellblauen Sweatshirt vor dem Lehrgebäude am Ubierring.

Kommunikative Kompetenz, Ideen und Erfahrung bringt Florian Lintz (32) in seinen Lehrauftrag ein – unter anderem.

Beschützte Werkstätten, Fahrdienst, Müll sammeln - der 32-jährige  Florian Lentz hat lange für einen Arbeitsplatz gekämpft, der seinen Fähigkeiten entspricht. Jetzt hat er seinen Traumjob.  

„Was mit Menschen“ – das sei sein Traumjob, sagt Florian Lintz. Man glaubt es ihm sofort. Zugewandt, kommunikativ, mit Begeisterung für seine Arbeit führt der Dozent durch die Flure der Technischen Hochschule (TH) Südstadt am Ubierring, seinem neuen Arbeitsplatz. Hier entwickelt er mit Studierenden der Sozialwissenschaften Projekte, die die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung vorantreiben. Er ist ein Fachmann par excellence, denn er kennt die Innensicht.

Das Kurzzeitgedächtnis von Florian Lintz kann Lernstoff nicht so reproduzieren, wie es die Prüfungsordnung für einen qualifizierten Hauptschulabschluss verlangt, und er hat eine leichte Tetraspastik. Damit fielen für den Jugendlichen vor 15 Jahren viele Türen zu. „Was soll werden?“ hieß es nach dem Hauptschulabschluss der Klasse 9, an die Frage erinnert er sich gut. Nicht, „was willst Du werden?“. Er will eigenständig leben, wird notgedrungen Fahrer im Dienst einer Rehaklinik in Bad Sassendorf.

Ich war Fahrer im Ort mit dem höchsten Altersdurchschnitt in NRW. Mit 20. Ein Alptraum."
MitFlorian Lintz

„Der Ort mit dem höchsten Altersdurchschnitt in ganz NRW. Ich war 20. Ein Albtraum“, sagt er. Auch in seiner Freizeit erfuhr er häufig Ausgrenzung, das sei bis heute so. „Sportvereine sind oft leistungsorientiert, und es gibt außerhalb von Vereinen kaum Orte, wo sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigung begegnen.“

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Persönliche Erfahrungen wie diese hat er in seiner dreijährigen Ausbildung zur Bildungsfachkraft (siehe Infotext unten) reflektiert. Dass er die machen konnte, sei ein „riesiger Glücksfall“, von 50 Bewerbern und Bewerberinnen bekamen sieben einen Platz. Wie die anderen Fachkräfte im Team bringt er Wissen ein, dass kein Lehrbuch vermitteln kann. Wie fühlt sich Ausgrenzung an, die schon im Kindergarten beginnt? Welche anderen Lernformen hätte er sich in der Schule gewünscht? Warum musste er in einer Werkstatt für Behinderte Aufzugmodule ausfräsen, Paletten kommissionieren und Müll in den Grünflächen sammeln, obwohl er viele andere Fähigkeiten hat?

Kurse für Lehrkräfte und Designstudierende

Heute leitet Florian Lintz allein oder im Team Seminare in der Sozialen Arbeit oder der Pädagogik der Kindheit und Familienbildung, gibt einen Kurs für angehende Lehrkräfte und arbeitet praktisch mit Designstudierenden der benachbarten International School of Design. „Mit ihnen haben wir einen Raum konzipiert, der Begegnungen von Menschen mit und ohne Handicap auf eine gute Weise ermöglicht. Er hat etwa bewegliche Sessel und Couches, damit die Rollifahrer nicht immer am Rand sitzen müssen. Und höhenverstellbare Tischplatten für Menschen im E-Rolli.“

Unterrichtsinhalt ist auch Abstrakteres wie das Betreuungsgesetz. „Ein Kollege hat einen gesetzlichen Betreuer, er bringt seine Perspektive ein und macht zum Thema, was sich ändern müsste, damit Betreuer nicht über sondern mit Menschen Entscheidungen treffen“, erklärt Lintz. Wie häufig Ausgrenzung im Alltag vorkommt, sei nur den Betroffenen mit Handicap bewusst und nicht denen ohne. Etwa, dass viel zu wenige Betriebe Menschen mit Beeinträchtigung ausbilden oder einstellen, dass sie an vielen VHS-Kursen nicht teilnehmen können.

„Gerade überlegen wir mit Studierenden, wie wir Sportvereine unterstützen können, sich für Menschen mit Handicap zu öffnen“, sagt Lintz. „Ein Schritt von vielen auf dem Weg raus aus der Parallelgesellschaft.“ Herausforderungen reizen den 32-Jährigen. Etwa die, zu überlegen, was wie man Anreize setzt für Menschen ohne Handicap, mit denen „mit“ in Kontakt zu kommen. Denkverbote gibt es dabei nicht.

Warum nicht mal eine Parade mit Menschen mit Handycap?
Florian Lintz

„Mit dem CSD hat eine Randgruppe es geschafft. Die Leute kommen und haben Spaß. Wir dagegen haben den Tag der Begegnung im Rheinpark, aber der hat keinen Mehrwert für Menschen ohne Behinderung. Warum nicht mal eine Parade mit Menschen mit Handicap?“ Ideen hat Florian Lintz im Überfluss; er freut sich darauf, bald Vollzeit zu arbeiten und sich komplett selbst zu finanzieren. Und er blickt auf spannende erste Wochen zurück. „Schon sehr aufgeregt“ sei er gewesen, habe sich gefragt, mache ich das richtig? „Nach kurzer Zeit brauchte ich die Notizkarten nicht mehr. Ich wusste ja, was ich sagen will.“ Und was erreichen. „Hier bin ich richtig “, sagt Florian Lintz. „Hier kann ich Fortschritt mit entwickeln.


 7 Stellen für Bildungsfachkräfte mit Beeinträchtigung hat die TH Südstadt am Ubierring geschaffen – ein Novum. Seit Oktober lehren sie allein oder im Team an der Hochschule. Die TH ist in NRW der einzige feste Kooperationspartner des Instituts für Inklusive Bildung, das den Ausbildungsgang begründet hat.

Das Kieler Institut für inklusive Bildung an der Christian Albrechts Universität bildet Menschen mit Beeinträchtigung seit 2016 in einer dreijährige Vollzeitqualifizierung zu Fachkräften aus. Sie arbeiten danach als Bildungsfachkräfte in ganz Deutschland. Mit fünf Bundesländern gibt es derzeit Kooperationen.

20 Menschen mit Beeinträchtigungen haben die Ausbildung bundesweit bereits abgeschlossen. Die Zahl der geeigneten Bewerber übersteige die der Plätze um das vierfache, so eine Sprecherin des Kieler Instituts.

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