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„Wir stricken beide gerne“Seniorin (85) und Student (21) gründen eine Wohngemeinschaft in Köln

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Cédric Hückstädt ist in ein Zimmer im Haus von Rita Huppertz gezogen.

Cédric Hückstädt ist in ein Zimmer im Haus von Rita Huppertz gezogen. 

Durch das Projekt „Wohnen für Hilfe“ leben Studis mietfrei bei alten, behinderten oder alleinerziehenden Menschen und bieten dafür Unterstützung. 

Schnäuzer, knallgelbes Shirt und verwuschelte Haare: Optisch hebt sich der Student Cédric Hückstädt (21) deutlich ab, wenn er ins Wohnzimmer seiner neuen Mitbewohnerin kommt. Bei der 85-jährigen Rita Huppertz sieht es aus wie in alten Zeiten und alles hat seine Ordnung. Frisiert und geschminkt wartet sie zwischen dunklen Holzmöbeln auf dem Sofa. Cédric hat den beiden Tee gekocht und präsentiert triumphierend Ritas feine Porzellantässchen, bevor er einschenkt. „Meine Kommilitonen fanden die sehr cool.“

Zum Start des Semesters Anfang Oktober haben die beiden eine Wohngemeinschaft in Ritas Haus gegründet. Cédric wohnt in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer in dem dreistöckigen Haus am Rand von Ehrenfeld. Ermöglicht wurde die ungewöhnliche WG durch das Projekt „Wohnen für Hilfe“ – eine Kooperation des Amts für Wohnungswesen der Stadt und der Uni Köln, wo Cédric Jura studiert.

Die Idee: Studierende unterstützen Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende im Alltag und dürfen dafür mietfrei bei ihnen wohnen, zahlen also nur für die Nebenkosten. Cédric hilft beim Einkaufen, Kochen und Putzen, sowie im Garten. Eine Stunde Hilfe im Monat pro bewohntem Quadratmeter sind vertraglich festgehalten, individuelle Absprachen aber immer möglich.

 Seit ihre Kinder aus dem Haus sind und ihr Mann vor rund zehn Jahren starb, lebt Rita allein. Es ist ihr leicht gefallen, neue Menschen in ihrem Zuhause zu begrüßen. „Wo ist das Problem? Ich habe genug Platz und es suchen so viele.“ Ungewohnt ist das WG-Leben für sie nicht. Im Zimmer gegenüber von Cédric lebt bereits seit einigen Jahren ein Mitbewohner, allerdings normal zur Miete.

Das Stricken stellte sich als gemeinsames Hobby der beiden heraus.

Das Stricken stellte sich als gemeinsames Hobby der beiden heraus.

Von dem Projekt „Wohnen für Hilfe“ hat sie von ihrer Tochter gehört. Obwohl die 55-Jährige berufstätig ist, übernimmt sie die Pflege ihrer Mutter. „Für mich ist es eine große Erleichterung zu wissen, dass meine Mutter nicht allein ist. Und natürlich auch, dass Cédric mir Arbeit im Haus abnimmt“, erklärt Sabine Huppertz, die ihre Mutter auch heute unterstützt. Dass die Studierenden pflegerische Maßnahmen übernehmen, ist ausgeschlossen. 

Wenn Cédrics zeitaufwendiges Studium es zulässt, verbringen er und Rita Zeit zusammen. „Wir stricken beiden gerne“, sagt der Student. Nadeln und Wolle liegen neben dem Sofa bereit. „Manchmal unterhalten wir uns aber auch einfach. Wenn ich abends wiederkomme, setze ich mich meistens her. Rita ist dann meine Informationsquelle und erzählt mir, was in der Tagesschau gesagt wurde.“

Weil er im Gegensatz zu den Unterkünften seiner Kommilitonen so viel Platz in Ritas Haus hat, kamen sie schon mehrmals zu Besuch. Rita freut es, wenn die Gruppe der Studierenden den sonst unbenutzten Zimmern wieder Leben einhaucht. „Die sind alle nicht nur total nett, sondern kochen auch gerne und lecker. Ich esse dann auch mit.“ 

Die WG-Suche in Köln ist schwer, das weiß Cédric, der aus Tübingen kommt, aus eigener Erfahrung. Die Zeit war knapp und er musste wegen eines Praktikums in Südfrankreich alles aus dem Ausland orchestrieren. „Wohnen für Hilfe“ bot ihm eine schnelle Lösung fernab des überladenen Wohnungsmarktes. 

Im Rahmen des Projekts bei einer Seniorin oder einem Senior zu wohnen, ist Cédric wichtig. Seine eigenen Großeltern sieht er kaum, weil sie weit weg wohnen. „Ich fände es schade, den Kontakt zu dieser Generation zu verlieren. Das sind Verbindungen, die wohltuend sind, weil man sich dadurch mit anderen Lebensrealitäten beschäftigt. Als Rita geboren wurde, herrschte Krieg.“

In seinem stressigen Alltag zwischen Vorlesungen, Klausuren und der Bibliothek ist seine Mitbewohnerin zudem ein Anker. „Als quirliger und chaotischer Mensch geben alte Menschen wie Rita mir Ruhe.“ Die Seniorin zwinkert. „Wir ergänzen uns gut.“


Alle Infos über „Wohnen für Hilfe“, sowohl für Studierende als auch für Menschen, die Wohnraum anbieten wollen, gibt es online.