- Uwe Jacob (64) steht seit drei Jahren an der Spitze der Kölner Polizei.
- Thorsten Moeck und Ingo Schmitz sprachen mit ihm über psychisch belastende Ermittlungen, Überstunden und Rechtstendenzen bei der Polizei.
Sie werden im Frühjahr aller Voraussicht die beste Kriminalitätsstatistik seit Jahrzehnten vorlegen.Uwe Jacob: Vermutlich ja, danach sehen die Zahlen zurzeit aus.Dieses Mal auch dank der Corona-Pandemie, die zu einem Rückgang bei Einbrüchen, Taschendiebstählen und der Alltagskriminalität geführt hat.Polizeiliche Arbeit besteht aber nicht nur aus Statistik. Und ich hoffe, Sie haben nicht den Eindruck, die Polizei sei derzeit arbeitslos. Im Gegenteil, die Pandemie-Lage fordert uns heraus. Inzwischen haben die Einsatz- und die Kriminalitätszahlen fast wieder normales Niveau erreicht. Am Wochenende ist die Hohe Straße ein Eldorado für Taschendiebe.
Aber Sie freuen sich schon über die guten Zahlen.
Ja, aber zur Statistik gehört immer auch die Bewertung. Vor zwei Jahren hatte ich bei der Präsentation der Zahlen schon gesagt, dass sich das nicht toppen lässt. Das haben wir aber noch einmal geschafft. Und jetzt schon wieder. Seit fünf Jahren geht die Kriminalität zurück, so auch Einbrüche, Taschendiebstähle und andere Delikte. Aber manche Delikte steigen auch.
Sie sprechen von den Trickbetrug an älteren Menschen.
Das ist unser Sorgenkind. Nach dem Erdbeben in der Türkei hatten wir einen kurzen Einbruch der Fallzahlen, vielleicht waren da ein paar Call-Center betroffen. Aber die Zahlen steigen schon wieder. Es ist so unsäglich für die älteren Menschen, was da passiert.
Schockanrufe. Falsche Polizisten. Das Repertoire der Täter ist groß.
Auf der diesjährigen Strategietagung der Polizei Köln haben wir die Bekämpfung dieses Deliktes zu einem Behördenschwerpunkt erklärt. Schließlich geht es um viele traurige Schicksale, es werden Existenzen von Menschen zerstört, die ihr Leben lang gespart haben. Von jetzt auf gleich wird ihnen das ganze Geld abgenommen.
Und es trifft nicht nur demente Menschen.
Nein, die Anrufer sind absolut perfide. Beispielsweise behaupten sie, die Enkelin habe einen tödlichen Unfall verursacht und braucht Geld für die Kaution. Die Täter sind sehr argumentationssicher, das geht vom Enkeltrick über falsche Wasserwerker bis zu Gewinnversprechen. Die Opfer werden teils über Stunden am Telefon unter Druck gehalten. Selbst meine Eltern sind schon mal Opfer geworden. Viele Hintermänner sitzen in der Türkei.
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Außer Präventionshinweisen bleibt Ihnen nicht viel.
Prävention ist das Mittel der Wahl, damit kommen wir hier am weitesten. Wir müssen dabei vor allem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Banken dankbar sein, die immer wieder Hinweise geben, wenn Kunden atypisch einen großen Geldbetrag abheben. Zum Teil können wir darüber Festnahmen generieren. Und wir versuchen auf die Kinder und das soziale Umfeld wie zum Beispiel die Nachbarn der Senioren einzuwirken. Für mich ist es immer wieder erstaunlich, wie viel Schmuck und Bargeld manche Menschen zu Hause haben.
Die Polizei ist während der Pandemie nicht arbeitslos, sagen Sie. Kann denn die Bereitschaftspolizei Überstunden abbauen, weil die Fußball-Bundesliga ohne Fans spielt?
Risikospiele waren belastend für uns, da waren schnell mal mehrere Hundertschaften erforderlich, um die Lage bewältigen zu können. Diese Einsätze bestreiten wir jetzt mit sechs bis zehn Kollegen. Vor der Pandemie hatten wir bei der Kölner Bereitschaftspolizei rund 69 000 Überstunden, jetzt sind es 111 000. Da spielt die Überwachung der Corona-Schutzverordnung eine große Rolle. Wir sind zur Unterstützung auch im Dannenröder Forst im Einsatz .
Acht Stunden Dienst mit Mundschutz – wie kommt das bei der Belegschaft an?
Anfangs hatten wir die Behörde halb runtergefahren, um Reserven vorzuhalten. Niemand wusste, wie sich die Pandemie entwickelt. Und wir haben im März diskutiert, ob wir mit Maske im Wachdienst fahren können, oder ob die Polizei damit Panik verbreitet, weil das in der Öffentlichkeit noch kein Thema war. Jetzt tragen alle eine Maske und die Rückmeldungen aus den Direktionen waren überraschend positiv. Und es muss niemand mehr die Frage beantworten, warum die Polizei keine Maske trägt.
Die Polizisten auf der Straße müssen derzeit vermutlich noch ganz andere Fragen beantworten, nämlich die nach den rechten Tendenzen in der Behörde.
Solche Fälle wie den der Chat-Gruppe bei der Polizei in Mülheim an der Ruhr sind absolut inakzeptabel. Auf der anderen Seite habe ich schon oft Diskussionen über strukturellen Rassismus in der Polizei geführt. Und den verneine ich aus voller Überzeugung. Ich glaube, wir haben die beste Polizei, die wir je hatten. Die Auswahl und Ausbildung der Polizistinnen und Polizisten ist hart, unter anderem findet zuvor eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz statt. Es wird im Gegensatz zu früher interkulturelle Kompetenz vermittelt. Und trotzdem passiert so etwas. Das ärgert mich enorm, denn jeder einzelne Fall ist zu viel.
Wie sieht es in Köln aus?
Seit dem Jahr 2017 gab es 14 Disziplinarverfahren in diesem Bereich, in einem Fall hatte ein Beamter ein Foto von Adolf Hitler und einem extrem judenverachtenden Satz gepostet. Wer sowas macht, steht nach meiner Auffassung nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes und gehört entlassen.
Wird der Ton auf der Straße nicht rauer?
Teils werden Beamte als Rassisten angesprochen. Und angeblicher Rassismus wird in Einzelfällen als Waffe gegen die Polizei genutzt, das muss ich auch feststellen. Das Schlimme ist ja, dass wir fast 1000 Einsätze am Tag fahren, für die wir oft viel Dank aus der Bevölkerung erhalten. Durch solche Fälle wie bei der Dienstgruppe in Mülheim an der Ruhr wird das alles in Frage gestellt.
Sie sind in Köln federführend bei der Aufarbeitung des Kindesmissbrauchs-Komplexes, der in Bergisch Gladbach seinen Anfang gefunden hat. Wie verkraften das Ihre Leute?
Ich habe immer gesagt, für die Bearbeitung dieses Verfahrens gibt es keine Polizeidienstvorschriften. Wir haben in der Vergangenheit Konzepte für Geiselnahmen, Entführungen und Anschläge entwickelt, aber für die Bekämpfung dieser Missbrauchsfälle gab es keine Blaupause. So wurde erstmals ein Betreuungsabschnitt für die eigenen Kollegen eingerichtet, mit Psychologen und Seelsorgern. Dennoch sind drei Beamte längerfristig erkrankt. Jeder arbeitet freiwillig mit, alles andere wäre unzumutbar. Wer diese Bilder gesehen hat, bekommt sie nicht mehr aus dem Kopf.
Aber es kommt immer wieder zu neuen Festnahmen.
Wir arbeiten in diesem Fall mit allen großen Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen zusammen, wir ermitteln verdeckt, nutzen alle rechtlichen Möglichkeiten von Polizeigesetz und Strafprozessordnung und setzen auch Datenspeicher-Spürhunde ein, das ist besonders. Nicht zuletzt durch den großen Personaleinsatz erzielen wir große Erfolge zum Schutz der Kinder, weshalb ich den personellen Aufwand allemal für gerechtfertigt halte.