Interventionsbeauftragte des Erzbistums Köln„Es braucht einfach Zeit, bis Vertrauen wieder wachsen kann“

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Katharina Neubauer leitet die Interventionsstelle des Erzbistums Köln.

Katharina Neubauer leitet die Interventionsstelle des Erzbistums Köln.

Katharina Neubauer ist seit einem Dreivierteljahr die Leiterin der Interventionsstelle im Erzbistum Köln. Im Dienste der Kirche kümmert sie sich um Menschen, die in der Kirche großes Leid erfahren haben.

Sie haben sich das Ziel gesetzt, die Intervention im Sinne der Betroffenen weiter zu stärken. Was bedeutet das konkret?

Es bedeutet: Die Bedürfnisse, die Wünsche und die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen. Das soll zentral sein bei unserem Handeln. Für mich ist vor allem wichtig, dass wir Betroffene sofort unterstützen, wenn sie Hilfe brauchen. Dass wir sie gut begleiten, sie sich von uns ernst genommen und sich bei uns gut aufgehoben fühlen.

Jedoch äußern Betroffene auch, dass es für sie sehr schwierig ist, sich hilfesuchend an die Kirche zu wenden, weil die Kirche eben für sie die Täterorganisation ist. Können Sie diese Hemmschwelle wirklich abbauen?

Dieses fehlende Vertrauen ist natürlich nachvollziehbar. Darum finde ich es ganz wichtig, alle Schritte offen und transparent zu kommunizieren, um Vertrauen gewinnen zu können. Aus diesem Grund arbeiten wir auch ganz bewusst mit unabhängigen und weisungsungebundenen Ansprechpersonen, mit denen die Betroffenen den Erstkontakt haben. Es handelt sich dabei um Personen, die keine Angestellten des Erzbistums sind. Sie sind die erste Adresse, an die sich die Betroffenen wenden, wenn sie Kontakt zur Interventionsstelle des Erzbistums aufnehmen.

Welche fachliche Expertise haben diese Ansprechpartner?

Das ist ganz unterschiedlich. Beispielsweise arbeiten wir da mit einem ehemaligen Kriminalhauptkommissar und zwei Rechtsanwälten zusammen. Aber auch Psychologen haben diese Aufgabe schon übernommen. Wichtig ist dabei immer: Sie sind keine Mitarbeiter des Erzbistums.

Aber gelingt es Ihnen denn dadurch auch wirklich, die Hemmschwelle zu senken?

Nach unserer Erfahrung schon. Natürlich ist es dennoch für viele Betroffenen nicht leicht, den Kontakt aufzunehmen. Es bleibt oftmals eine Skepsis. Wir begegnen dieser Skepsis mit Verständnis und wissen, es braucht einfach Zeit, bis Vertrauen wieder wachsen kann. Gibt es dann die Rückmeldung, Betroffene sind sehr zufrieden mit der Begleitung, freut uns das sehr.

Die unabhängigen Ansprechpartner sind aber nur ein Teil der Intervention. Die Leitung der Stelle unterliegt Ihnen. Sie stehen aber in Diensten des Erzbistums. Wie unabhängig sind Sie bei der Aufarbeitung der Fälle?

Die Stabsstelle Intervention gibt es, weil es das Interesse des Erzbistums Köln ist, die Fälle sexualisierter Gewalt aufzuklären. Es geht bei unserer Arbeit nicht darum, dass wir Kleriker oder kirchliche Mitarbeiter schonen. Um das sicherzustellen, gibt es feste Verfahrensabläufe, die aus unserer Interventionsordnung hervorgehen. Dadurch ist gewährleistet, dass alle Fälle einheitlich bearbeitet werden und kein Hinweis im Sande verläuft. Gemäß dieser Interventionsordnung besteht für alle Mitarbeiter eine Meldepflicht. Sobald sie von Verdachtsfällen sexuellen Missbrauchs erfahren, müssen sie diese Hinweise an uns weiterleiten.

„Aber auch wenn Sie jedem Fall nachgehen: Kooperiert der „Apparat“ Kirche, wenn sie beispielsweise Vorwürfen gegen Kleriker nachgehen, in diesen Fällen intern recherchieren?“

Es wird definitiv kooperiert. Wir erhalten Unterstützung aus allen Abteilungen. Ich kann nicht sagen, dass wir bei unseren Nachforschungen auf Schwierigkeiten stoßen. Es ist auch so, dass wir mittlerweile ein Team von sechs Personen sind. Als ich vor rund dreieinhalb Jahren als stellvertretende Interventionsbeauftragte hier begonnen habe, waren wir noch zu dritt. Uns wurden also Ressourcen an die Hand gegeben, um unsere Arbeit auch ausführen zu können.

Vor einem Dreivierteljahr hat Katharina Neubauer die Leitung der Interventionsstelle übernommen.

Vor einem Dreivierteljahr hat Katharina Neubauer die Leitung der Interventionsstelle übernommen.

Für Betroffene, die zur Aufarbeitung ihres Falls nicht mehr über die Schwelle der Kirche gehen wollen, gibt es unter anderem nicht kirchliche Initiativen zur Intervention bei Fällen von sexualisierter Gewalt im kirchlichen Kontext. In Köln beispielsweise den Verein Leuchtzeichen. Von dort kommt die Kritik, dass sich die Interventionsstelle des Erzbistums oft nicht kooperativ zeige, wenn der Verein mit Fällen an Sie herantrete.

Ich erlebe die Zusammenarbeit mit Leuchtzeichen als sehr gut. Wir haben das gemeinsame Ziel, die Belange der Betroffenen zu vertreten. Aber natürlich bitten wir die Beratungsstellen darum, mit einem Mandat zu belegen, dass sie den Betroffenen vertreten. Wir müssen sicher sein, dass die Herausgabe sensibler Daten auch im Sinne der betroffenen Person ist. Aufgrund des Datenschutzes dürfen wir gerade in diesem sensiblen Bereich nicht ohne Weiteres Auskünfte erteilen.

Wie viele Fälle haben sie in diesem Jahr bearbeitet?

Konkrete Zahlen werden den einzelnen Fällen kaum gerecht. Es gibt ein breites Spektrum sexualisierter Gewalt. Wir kümmern uns um Fälle von verbaler Grenzüberschreitung bis hin zu schwerem, jahrzehntelangen Missbrauch. Jeder Fall wird ernst genommen.

Eine konkrete Zahl wollen Sie also nicht nennen?

Ich kann nur sagen, dass wir vermehrt Meldungen erhalten. Das führen wir aber auch auf eine erhöhte Achtsamkeit zurück. Diese Aufmerksamkeit der Menschen in ihrem Umfeld hat sicherlich auch mit der guten Präventionsarbeit und den umfassenden Schulungen im Erzbistum Köln zu tun. So werden wir mittlerweile auch häufiger um unsere Einschätzung gefragt, ob es sich bei diesem oder jenem Verhalten bereits um eine sexuelle Grenzverletzung handelt. Es wäre daher falsch, von einem Mehr an Meldungen auf ein Mehr an tatsächlichen Missbrauchsfällen zu schließen. Eine Gesamtzahl ist deshalb nicht wirklich aussagekräftig.

Kümmern Sie sich um jeden Fall mit der gleichen Intensität?

Ja, dies folgt alleine schon aus den Verfahrensschritten, die die Interventionsordnung klar regelt. Das Verfahren beginnt mit einem Gespräch mit einer der unabhängigen Ansprechpersonen. Dieses Gespräch wird ausführlich dokumentiert, um eine gute Grundlage für die weiteren Schritte zu haben. Wenn Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen, leiten wir das grundsätzlich an die Staatsanwaltschaft weiter. Solange die Staatsanwaltschaft aktiv ist, ruht das kirchliche Verfahren. In dieser Phase können wir beispielsweise nicht die beschuldigten Personen mit den Vorwürfen konfrontieren.


Zur Person

Zum 15. März 2023 übernahm Katharina Neubauer die Leitung der Stabsstelle Intervention. Drei Jahre lang war die studierte Psychologin zuvor stellvertretende Interventionsbeauftragte. Das Erzbistum Köln hatte im Jahr 2015 als erstes Bistum die Stelle eines Interventionsbeauftragten geschaffen. Mittlerweile umfasst das Team sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Drei Aufgabenbereiche hat die Interventionsstelle des Erzbistums Köln: Die Bearbeitung und Koordination von Fällen und Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt einschließlich des kirchlichen Voruntersuchungsverfahrens. Die Aufarbeitung von sogenannten „Altfällen“. Die Umsetzung des Verfahrens zur Anerkennung des Leids.


Das heißt, in dieser Phase hängen die Betroffenen in der Luft?

Wir kommunizieren alle Schritte offen gegenüber den Betroffenen, halten sie über den Verlauf immer im Bilde. Aber natürlich haben wir keinen Einfluss darauf, wie lange die Bearbeitungen bei der Staatsanwaltschaft andauern.

Ein Zitat von Ihnen: „Es gilt herauszufinden, wie diese schrecklichen Verbrechen in unseren kirchlichen Einrichtungen überhaupt passieren konnten.“ Ist das Wie durch die Gutachten nicht schon reichlich ausgeleuchtet? Muss es jetzt nicht vor allem um die Konsequenzen gehen?

Die wichtigste Konsequenz ist, dass sich so etwas nicht mehr wiederholen darf. Das erreichen wir durch Prävention. Kinder, Jugendliche und erwachsene Schutzbefohlene müssen in unseren kirchlichen Einrichtungen sicher sein. Wir haben aus den Gutachten schon viel gelernt und auch schon viel umgesetzt. Das lese ich auch daran ab, dass sich die meisten der uns gemeldeten Fälle tatsächlich auf die länger zurückliegende Vergangenheit beziehen. Aber Aufarbeitung ist ein Prozess, der niemals abgeschlossen ist.

Fälle aus fernerer Vergangenheit sind auch zumeist nicht mehr justiziabel.

Wie gesagt, wir melden grundsätzlich alle strafrechtlich relevanten Fälle an die Staatsanwaltschaft. Das Urteil, ob ein Fall verjährt ist, maßen wir uns nicht an.

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