„Spurensuche“ in KölnEntfesselnde Kunst von Houdini

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt (2)

Auftritt Houdinis als Entfesselungskünstler.

  • Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring?
  • In der „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor, Orte ohne Gedenktafeln.
  • Anselm Weyer schreibt über Harry Houdini und einem Prozess mit Werbewirkung.

Als vielleicht größter Illusionist aller Zeiten gilt auch fast hundert Jahre nach seinem Tod Harry Houdini. Dafür musste er nicht nur viel können, die Welt musste davon auch erfahren. Unschätzbare Dienste leistete ihm hierbei eine gerichtliche Auseinandersetzung mit einem Kölner Polizisten.

Mit einem Sonderzug kam am Freitag, 28. Juni 1901, der berühmte Circus Corty & Althoff zum zwölftägigen Gastspiel am Bahnhof Köln-Gereon an. Am Hohenzollerngarten vor dem Riehler Tor, Riehler Straße 161–163, baute er sein Riesenzelt auf, das nachmittags von der Polizei abgenommen wurde und am gleichen Abend ab 8 Uhr für die Eröffnungsvorstellung bereit stand. Im Bericht über den Premierenabend hebt der Rheinische Merkur „das Auftreten des amerikanischen Handschellen- und Ausbrecher-Königs Mr. Houdini“ hervor, „der sich auch der kompliziertesten Hand- und Fußfesseln in kurzer Zeit auf unerklärliche Weise zu entledigen versteht.“

Die staunenswerten Leistungen Houdinis sind nicht bloß durch Atteste der amerikanischen, sondern auch von den deutschen Polizeibehörden, von den Polizeipräsidien in Berlin, Dresden, Frankfurt, anerkannt worden“. Berichtet wurde, dass Houdini sich im September 1900 im Hauptquartier der Berliner Polizei fast völlig entkleidet und bewacht von 300 Polizisten unter einer Decke versteckt seiner Fesseln entledigt habe. In Dresden habe er sich sogar gefesselt in die Elbe werfen lassen und sei entfesselt ans Ufer geschwommen. Dort angekommen hatte er ein Bußgeld zahlen müssen – wegen unerlaubten Betreten des Rasens. Auch in Köln kam es zu juristischen Auseinandersetzungen.

Er habe den Fesselsprenger Houdini bei einem seiner Auftritte in Köln entlarvt, behauptete Schutzmann Werner Graf, wohnhaft in der Moselstraße 68, in einem Artikel von Johann Meerfeld, erschienen in der Rheinischen Zeitung. Für Houdini waren die Vorwürfe nicht ungefährlich. Auf Betrug reagierte das Deutsche Reich in diesen Tagen selbst bei Bühnenvorführungen sehr strikt.

Andererseits war der begnadete Selbstdarsteller entzückt, gab ihm der Artikel doch die Möglichkeit, Graf und Meerfeld in einem Aufsehen erregenden Prozess der Beleidigung anzuklagen. Vertreten vom, wie er betonte, „besten Juristen Kölns“, Dr. Clemens Schreiber, der sein Büro in der Elisenstraße 14 hatte, begann am 19. Februar 1902 die Verhandlung vor dem Kölner Schöffengericht.

Gab es ein Schloss, dass nicht zu öffnen war?

Houdini und Graf waren sich schon vor dem Auftritt begegnet. Houdini versicherte, er habe das Kölner Polizeirevier lediglich aufgesucht, um die dortigen Beamten, wie schon in allen anderen Städten, herauszufordern, ihre Fesselungskünste mit seinen Entfesselungskünsten zu messen und seine Fähigkeiten zu demonstrieren. Graf aber behauptete, der Artist habe ihm ein unmoralisches Angebot unterbreitet: Man könne gemeinsam viel Geld verdienen, wenn Graf Houdini bei der Aufführung so fesseln würde, dass er sich befreien könne.

Darauf, so Graf, habe er sich jedoch nicht eingelassen. Stattdessen habe er Houdini bei einer Aufführung so gefesselt, dass dieser nicht alleine habe freikommen können. Warum aber hatte dann der gefesselte Houdini auch bei diesem Auftritt nach einer gewissen Zeit frei vor den Vorhang treten können, um unter dem Applaus des Publikums eine intakte Kette zu präsentieren? Houdini habe, so Graf, dem Ziviltransporteur Lott 20 Mark gegeben, damit der ihm eine zweite Kette gebe, wie sie die Kölner Polizei gebrauche. Dieses Duplikat habe Houdini dem Publikum vorgezeigt, während er das Original, als er sich dessen nicht entledigen konnte, hinter der Bühne schnöde durchgefeilt habe. Falsch, widersprach Houdini.

Lott habe ihn lediglich vor der Aufführung gewarnt, dass Graf ihn mit einem sogenannten toten Schloss zu fesseln beabsichtige, das nach dem Verschließen überhaupt nicht mehr, selbst mit einem Schlüssel, zu öffnen gewesen war. Als Dank für den Tipp habe er sich später erkenntlich gezeigt. Wie aber nun hatte sich Houdini entfesselt? Durch Betrug in Form einer zweiten Kette? Nachdem etliche Zeugenaussagen nicht zur Klärung dieser zentralen Frage beitrugen, forderte Houdini, man solle ihn vor Gericht nochmals mit dem fraglichen Schloss fesseln.

Dann werde man schon sehen, dass er sich befreien könne. Man „legte ihm um die beiden Handwurzeln eine vorschriftsmäßige Polizeifessel an“, berichten die Zeitungen. „Houdini begab sich hinter den Richtertisch und entledigte sich unter den Augen der ihn beobachtenden Richter und Schöffen in kurzer Zeit seiner Fesseln.“ Damit war der Fall erledigt. Seine Kunst basiere auf fundiertem Wissen über die Funktionsweise von Schlössern, gepaart mit immenser Körperbeherrschung. Graf wurde auf Zahlung von 200 Mark, Meerfeld auf 50 Mark Geldstrafe verurteilt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Einerseits zeigte sich Houdini verärgert, weil er seine Geheimnisse vor Gericht hatte offenbaren müssen. „Stell Dir vor“, schrieb er einem Freund, „um meine Ehre zu retten, musste ich zeigen, wie ich es gemacht hatte!“ Andererseits sollte sich das Gerichtsurteil als unschätzbar für den weiteren Ruhm Houdinis erweisen: Graf musste sich entschuldigen, und Houdini wurde erlaubt, seinen Sieg öffentlich „in hiesigen Blättern zu veröffentlichen“.

Das wollte Polizist Graf nicht auf sich sitzen lassen. Doch auch die zwei Revisionsprozesse im Juli und September 1902 urteilten zugunsten Houdinis. War er vorher schon bekannt, so machte ihn der Prozess berühmt. „Die Menschen hier fürchten die Polizei so sehr“, erklärte Houdini einem amerikanischen Freund, „und ich bin der Erste, der sie herausgefordert hat.“ Dass er nicht gegen die Polizei an sich, sondern gegen einen einzelnen Polizisten vor Gericht gewonnen hatte, überging er geflissentlich.

Noch am Ende seiner Karriere, als in der ganzen westlichen Hemisphäre gefeierter Entertainer, führte Houdini in seinen Programmheften stolz das Kölner Gerichtsverfahren gegen die Deutsche Polizei an. Als Houdini am 31. Oktober 1926, also an Halloween, starb, führte das berühmte Wörterbuch Funk & Wagnalls das Verb „to houdinize“ für die Fähigkeit, sich aus allen Fesseln und Zwangslagen zu befreien. Beerdigt wurde Houdini in eine Bronzesarg, den er sich für eine kommende Attraktion hatte anfertigen lassen. Und so dauerte es nicht lange, bis die ersten Gerüchte laut wurden, Houdini habe sich aus seinem Grab befreit.

Anselm Weyer, 45, ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigte sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.

Rundschau abonnieren