TT-Bund-Chefin im Interview„Tischtennis ist weitaus komplexer als Fußball“

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Schläger mit schwarzem und roten Belag: Trotz Regeländerung geht es auch für Claudia Herweg durchaus auch noch traditionell. 

Köln – Im Büro der International Table Tennis Federation am Volksgarten steht natürlich eine Tischtennisplatte. Claudia Herweg Schreibtisch steht daneben. So geht der Fokus wohl nie verloren. Bernd Imgrund sprach mit ihr.

Sie sind jetzt Präsidentin von rund 500.000 in Vereinen organisierten Tischtennisspielern. Wie fühlt sich das an?

Gut! Ich trage viel Verantwortung, und von mir wird einiges erwartet. Aber wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann, darf man sich eigentlich nicht beschweren.

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Viel Verantwortung, aber auch Macht. Könnten Sie bestimmen, dass die Sätze ab morgen wieder bis 21 gehen?

Nein. (lacht) Dafür haben wir Landesverbände und einen Bundestag, in dem abgestimmt wird. Im Präsidium wiederum habe ich natürlich Einfluss, aber durch gute Argumente und Konzepte, nicht über die Position.

Zur Person

Claudia Herweg wurde 1966 in Porz geboren und begann im Alter von 12 Jahren bei Rot-Gold Porz mit dem Tischtennis. Nach dem Abitur arbeitete sie ab 1990 für den TT-Ausstatter Donic, von 1993 bis 2011 war sie beim Belag-Hersteller ESN beschäftigt. Parallel dazu spielte sie mehrere Jahre in der 2. Damen-Bundesliga. Über weitere Stationen führte ihr Weg 2018 zum TT-Weltverband International Table Tennis Federation (ITTF), wo sie zum Head of Equipment avancierte. 2022 schließlich wählte sie der Deutsche Tischtennis Bund (DTTB) zur ersten weiblichen Präsidentin. Claudia Herweg wohnt in der Kölner Innenstadt.

Warum sind Sie die erste Frau auf diesem Posten?

Als Frau muss man sich ja erst einmal dahin arbeiten, um überhaupt für so eine Position in Frage zu kommen. Ich habe mein gesamtes Berufsleben in TT-Zusammenhängen verbracht – fast immer ausschließlich umgeben von Männern. Auch für unseren Sport gilt, dass gleichberechtigte Strukturen für Frauen erst einmal geschaffen werden mussten.

Sie haben es als Aktive bis in die 2. Liga gebracht. Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?

Meine Beinarbeit war immer schlecht. Meine Skills waren ein guter Auf- und Rückschlag und der Wille, eine Entscheidung herbeizuführen. Außerdem: Viel Rotation, ich mag es, wenn der Ball sich dreht!

Welchen Stil wollen Sie als Präsidentin pflegen: eher Schmetter- oder Schupfball?

Wer mich kennt, der weiß: Schmetterball! Aber um zum Schmettern zu kommen, muss man vorher eben auch mal schupfen. Von daher: Netzwerken ist alles!

Und „Netz“ ist in unserem Zusammenhang ja ein gutes Stichwort. Warum haben Sie als junges Mädchen in den 1970ern angefangen, Tischtennis zu spielen?

Mein Nachbar in Porz Jörg Schulz war das schuld! Der hat mich einmal zum Training mitgenommen, und schon war ich infiziert. So einen Schläger in der Hand zu haben und mit diesem Bällchen umzugehen, fand ich einfach cool.

In den 1970ern kam auch die sogenannte „Ping-Pong-Diplomacy“ auf. Worum ging es?

Damals im Kalten Krieg näherten sich China und die USA durch die Austragung von TT-Spielen einander an. „Den Ball hin und her spielen“: Das war damals die passende Metapher. Ähnliches gelang dem Tischtennis noch einmal 2018 bei der Weltmeisterschaft in Schweden, wo nord- und südkoreanische Spieler zusammen im Mixed antraten.

Warum ist Tischtennis interessanter als Fußball?

Die Fußballer mögen es mir verzeihen, aber Tischtennis ist weitaus komplexer. Die brauchst den richtigen Kopf, den Körper, die Hand, Rotation, Geschwindigkeit, Taktik – und das alles in High Speed. Jemand hat mal gesagt: Tischtennis ist wie Schachspielen und gleichzeitig 110 Meter Hürden laufen.

TT-Vereine verlieren jedes Jahr tausende Mitglieder. Warum?

Das betrifft nicht nur unseren Sport, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Die Menschen setzen andere Prioritäten. Da ist zum einen die Elektronikindustrie mit ihren Ablenkungen. Aber es geht den Leuten auch darum, weniger Verbindlichkeiten einzugehen.

In welcher Hinsicht?

Die Ligen bestehen zumeist aus zehn, zwölf Mannschaften. Das heißt, inklusive der Rückspiele verbringt man knapp die Hälfte aller Wochenenden in einer Sporthalle. Für viele Spieler geht es heutzutage eher in Richtung Freizeitsport, und diese Leute müssen wir in Zukunft abholen als Verband.

Knickt man damit nicht ein vor dem Zeitgeist?

Was ist die Alternative? Wenn die Leute aufhören mit dem Sport, sind sie ganz weg.

Der Mitgliederschwund ist bei den Mädchen noch weitaus dramatischer.

Der hat tatsächlich inzwischen eine kritische Schwelle unterschritten. Wir hatten damals in Porz zwei Mädchen- und vier Damenteams – heute ist das unvorstellbar.

Immer wieder verweigern Zweitligameister den Aufstieg in die höchste Spielklasse, weil sie sich das finanziell nicht leisten können. Eigentlich ein Offenbarungseid des Tischtennis-Sports, oder?

Das ist vor allem sehr schade. Unser Branding und das der Vereine muss besser werden. Wir müssen Tischtennis zu einer Marke machen, die Sponsoren anlockt. Die Turnhallen, in denen auch die meisten Zweitligamannschaften ihre Matches austragen, verfügen über keine VIP-Lounge, keinen Cateringbereich und keinen Presseraum. Da sieht noch alles aus wie vor 30, 40 Jahren. Wir müssen besser werden.

Aber Red Bull fördert doch sowieso nur Action-Spektakel.

Tischtennis ist definitiv Action-Sport! Der Herr Mateschitz ist jederzeit willkommen, um mit mir ein paar Bälle zu spielen. Dann würde ich ihm wie Timo Boll einst Günther Jauch vorher sagen, wo sein Return meiner Angabe landen wird. Jedenfalls nicht auf der Platte. (lacht)

Wie steht es um die Kölner TT-Szene?

Hier sind die Mitgliederzahlen recht stabil, soweit ich weiß. Aber wir bräuchten ein Aushängeschild. Von daher hoffe ich, dass der 1. FC Köln bald in die 1. Liga aufsteigt. (Der FC spielt zur Zeit in der Zweiten Bundesliga und ist zugleich Heimatverein des Interviewers)

Einerseits die Krise der Vereine, andererseits der Boom in Parks und Kneipen: Wie passt das zusammen?

Die Outdoor- und Kneipenszene ist in den letzten Jahren aufgekommen, verstärkt noch durch die Pandemie. Wir als DTTB müssen versuchen, diese neue Trendsporterscheinung zu integrieren. Das braucht Zeit, steht aber auf meiner Agenda ganz oben.

Was ist der Unterschied zwischen Tischtennis in der Halle und Ping Pong im Park?

Outdoor ist Freizeit. Da nimmt man es mit den Regeln nicht so genau, es gilt keine Sportkleiderordnung, und man hat eine Kiste Bier neben der Platte stehen.

Im Park trinkt man während, in der Halle erst nach dem Spiel?

So kann man das sehen. (lacht)

Ab 2018 haben Sie die Equipment-Abteilung des Weltverbandes, der International Table Tennis Federation geleitet. Verdankt es die TT-Welt Ihnen, dass seit einem Jahr mit bunten Belägen jenseits von Rot und Schwarz gespielt werden darf?

(lacht) Sagen wir, ich habe meinen Teil dazu beigetragen.

Warum wird das von manchen Spielern belächelt?

In den sozialen Medien hatten wir jeweils ein Drittel Hater, Liebhaber und Neutrale. Das ist eine Quote, mit der man eine Regeländerung gut umsetzen kann. Wenn Sie sich heute die ganz Kleinen ansehen: Da spielen sehr viele mit bunten Belägen, das scheint gut anzukommen beim Nachwuchs. Und wer nicht will, kann ja bei Rot und Schwarz bleiben.

Sie sind im Rahmen Ihrer TT-Jobs quer durch die Welt gereist. Was hat Ihnen imponiert?

1989, bei der legendären Weltmeisterschaft in Dortmund (die deutschen Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner holten damals Gold im Doppel), kam ein Chinese auf mich zu. Der wettete, dass er fünf Aufschläge mit den Fingern schnipst, von denen ich keinen zurück auf den Tisch bringe. Ich war damals topfit, setzte aber alle Returns über einen Meter neben die Platte. Es war so faszinierend wie erschütternd, welche Rotation der Mann aus seinen Fingern holte. Im Nachhinein erfuhr ich dann, er war ein ehemaliger Mannschaftsweltmeister.

Ihr Vor-Vorgänger als DTTB-Präsident war Thomas Weikert. Er wurde danach ITTF-Präsident und ist heute Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOS). Damit ist dann ja auch Ihr weiterer Weg vorgezeichnet.

(lacht) Nein, danke! Ich hätte nie gedacht, dass ich mal an der Spitze eines Verbandes lande, obwohl ich die Herausforderung jetzt sehr gern angenommen habe. Jetzt erzielen wir erst einmal positive Ergebnisse – und ein Miteinander!

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