Steigende KostenWie in Köln nun die Angst vor der „Energie-Armut“ wächst

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Die Energiepreise steigen enorm – Sozialverbände bereiten sich auf Ansturm von Hilfesuchenden vor. 

Köln – Extrem steigende Energiekosten und höhere Preise auch für Lebensmittel bringen immer mehr Menschen in Not. Beratungsstellen und Hilfeeinrichtungen berichten von boomenden Anfragen von Kölnerinnen und Kölnern, die Stromsperrungen fürchten, die nicht wissen, wie sie künftig ihre Heizkosten bezahlen sollen. Besonders Leistungsempfänger und Menschen mit niedrigem Einkommen haben laut Sozialverbänden kaum noch Möglichkeiten zu sparen. Sie geraten zusehends in finanzielle Bedrängnis, die auch sozialen Sprengstoff birgt, Angst vor „Energie-Armut“ schürt.

Beratungsboom bei der Verbraucherzentrale

Schon seit Monaten gebe es eine sehr hohe Nachfrage bei Beratungsangeboten rund um Energiekosten und Einsparmöglichkeiten, sagt die Leiterin der Kölner Beratungsstelle der Verbraucherzentrale NRW, Diana Meschke. Tendenz steigend: „Viele machen sich Sorgen, wie sie Strom- und Gasrechnungen bezahlen können.“ Schon jetzt sei der Beratungsbedarf im komplexen Energierecht und der praktischen Energieberatung kaum zu decken.

Die Fälle reichen von der Frage, ob Preiserhöhungen korrekt angekündigt wurden, bis zu verzweifelten E-Mails: „Was soll ich tun? Ich habe einen Strom-Abschlag, der ist dreimal so hoch wie vorher?!“ – „Was mache ich, wenn mir eine Stromsperrung droht?“ Besonders für Leistungsempfänger und Menschen mit geringem Einkommen gibt es wenig Spar-Spielräume.

Alles zum Thema Rheinenergie

Was tun, wenn das Geld knapp(er) wird? Die Verbraucherzentrale bietet dazu viele Informationen. Das Thema müsse besonders mit Blick auf die Leistungsempfänger sehr differenziert betrachtet werden. Diese müssten die regulären Stromrechnungen selbst aus ihrem Hartz IV-Regelsatz von 449 Euro bestreiten. Bei den Heizkosten gebe es für Leistungsbeziehende im Rahmen der Nebenkosten lediglich auf Antrag beim Jobcenter die Möglichkeit, dass in begrenztem Rahmen Nachzahlungen übernommen werden. Beim Strom könnten Regelsatz-Bezieher Darlehens-Anträge stellen – „das in der Regel in kleinen Raten wieder zurückgezahlt werden muss, man kommt sonst aus der Schuldenspirale auf Dauer nicht wirklich raus“, betont Meschke. Erforderlich seien dabei generell Maßnahmen für eine nachhaltige Entlastung einkommensarmer Haushalte.

Mehrkosten

108 Prozent beträgt die Steigerungsrate für den Bezug von Gas über die Rheinenergie , mit der Mieter oder Besitzer einer Eigentumswohnung in Köln rechnen müssen. Bei einem Verbrauch von 10 000 Kilowattstunden mussten im Jahr bisher 959,55 Euro bezahlt werden. Nach der Preiserhöhung werden 2002,55 Euro fällig. Für ein kleines Einfamilienhaus bemisst sich der Preisanstieg von 1353,05 auf 2917,55 Euro.

15 Prozent sieht die Rheinenergie als maximales Einsparpotenzial bei den Heizkosten. Dafür müsste die Raumtemperatur um zwei Grad Celsius im Durchschnitt gesenkt werden. Dafür brauche es im Winter schon Decken und Pullover. Eine Million Euro umfasst der Härtefallfond, den die Rheinenergie auflegt. Ein Freibrief für Verbraucher ist das nicht. „Auf Sperrungen kann nicht komplett verzichtet werden“, betont die Rheinenergie.

Die Beratungsstelle Köln bietet eine praxisnahe Energieberatung zu Geräten, zum Dämmen, Nachrüstungen. „Es gibt auch eine unheimlich hohe Nachfrage von Mietern und Hausbesitzern dazu“, so Meschke. Individuelle Maßnahmen wie die Heizung herunterzuregeln oder nur noch drei Minuten warm zu Duschen, seien wichtig, könnten Lücken aber nicht ausgleichen. Es sei damit zu rechnen, dass die voll ausgelastete Schuldnerberatung künftig noch stärker gefragt ist.

Kritik vom Caritas-Verband Köln

Viele wissen laut Caritas „gar nicht mehr, wo sie sparen können“. Vorstand Peter Krücker: „Die extrem steigenden Energiepreise können sich viele Menschen in der Gesellschaft nicht leisten und sogenannte Entlastungspakete kompensieren das nur zum kleinen Teil. Einige Gruppen, wie zum Beispiel Rentner, werden von den Paketen gar nicht erfasst“. Ein adäquates Beratungs- und Hilfesystem für Bedürftige sei dringend nötig.

Sorgen beim Kölner Haus- und Grundbesitzerverein

Beim Kölner Haus- und Grundbesitzerverein sorgt man sich insbesondere um diejenigen, die am unteren Ende der Mittelschicht stehen. „Ein nicht geringer Teil unserer Mitglieder hat sich das Eigentum vom Mund abgespart. Die kommen jetzt kaum noch zurecht. Dass die Nebenkosten mittlerweile teilweise ein Drittel der Wohnungskosten ausmachen, darüber wird viel zu wenig geredet“, sagt Hauptgeschäftsführer Thomas Tewes. Erneut forderte er Hilfen für Wohnungseigentümer, die nun die steigenden Gaspreise erst einmal vorstrecken müssten. Im Paket mit steigender Inflation und Zinsen hat er momentan wenig Hoffnung auf Besserung: „Eigentumserwerb auch als soziale Absicherung für sich oder die nächste Generation wird für viele Menschen nicht mehr möglich sein.“ Die Folge sei unter anderem auch eine Abwanderung von Familien aus der Stadt.

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MIT Köln sieht Existenzen bedroht

Besonders gasabhängige Unternehmen haben laut Karl Alexander Mandl nun ein riesiges Problem. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) der CDU Köln betont: „Besonders im Mittelstand sind Existenzen bedroht. Die Frage sollte sein, wie die Rheinenergie die Preise mit Gewinnen aus anderen Geschäftsbereichen abfedern kann.“ Es sei gerade sinnvoller, die Unternehmen zu subventionieren als das Geld über einen städtischen Betrieb in die Stadtkasse fließen zu lassen.

Erste Reaktionen aus der Politik

Die Kölner SPD begrüßt den von der Rheinenergie für Härtefälle aufgelegten Hilfsfonds (s. Info). Die Stadt müsse nun schnell klären, „wie dieses Geld die Menschen erreicht, die es dringend benötigen“. Wenn etwa Verkaufsmitarbeitende oder Pflegekräfte mit ihrem Einkommen keine warme Wohnung mehr finanzieren könnten, habe die Krise die Mitte der Gesellschaft erreicht. Auch die Linke begrüßt den Kölner Hilfsfond. Das kommunale Modell sei bundesweit vorbildlich. Private Energieunternehmen sollten aufgefordert werden sich zu beteiligen.

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