Zehn Menschen über 60 erzählen im Box Theater ihre wahren Geschichten von Homosexualität und Queerness. Das Stück zeigt, was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat – und was noch immer schwierig ist.
Theaterprojekt in Köln„Zeitlose Talente“ erzählt vom Leben queerer Menschen jenseits der 60

Auch Verfolgung durch die Polizei thematisieren die Zeitlosen Talente.
Copyright: Thomas Brill
Nora sitzt allein auf der Bühne und erzählt aus der Zeit, als sie noch Norbert hieß. Wie sie als junger Mann Frauen „entdeckte“, fasziniert war von ihren Bewegungen, ihrer Art zu reden, dem Parfüm. Und wie sich schon früh der Wunsch bemerkbar machte, „eine von euch zu sein“.
Geschlechteridentität und Gesellschaft
Schwierig in einem sehr katholischen Dorf in den 60er und 70er Jahren. So wurde Norbert Familienvater, durchaus glücklich und zufrieden, hatte zuletzt eine leitende Funktion bei einem großen Sozialverband inne und entschied sich erst wenige Jahre vor dem Ruhestand, seiner inneren Stimme zu folgen und Nora zu werden.
Unterstützung und Akzeptanz in der Familie
Bei ihrer Verabschiedung trug sie schon ein schickes Kleid, die Lokalpresse berichtete ausführlich. Von ihrer Frau sei sie bei diesem Schritt übrigens unterstützt worden, erklärt Nora während einer Pause im Proberaum der Theaterakademie: „Sie meinte, dass man seine Identität nicht zeitlebens unterdrücken kann, das sei ungesund.“
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Noras Geschichte ist sicher nicht alltäglich, aber sie ist nur eine von vielen, die das Theaterprojekt „Zeitlose Talente – Theater Regenbogen“ in seinem Stück „Zwischen-T-Räume“ erzählt. An diesem Wochenende, 22. und 23. November, hat es im Box Theater am Sachsenring Premiere.
Der Titel des Stücks spielt auf die nicht-binären Geschlechtsidentitäten der zehn „zeitlosen Talente“ an, denn die sind allesamt schwul, lesbisch oder trans. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie über 60 Jahre alt sind, das war eine Voraussetzung fürs Mitmachen.
Authentische Geschichten von älteren Darstellern
Bühnenerfahrung ist bei sämtlichen Teilnehmern allenfalls rudimentär vorhanden, doch für den künstlerischen Leiter des Ensembles, den Schauspieler und Regisseur Thomas Wißmann, hat die Arbeit mit der älteren Laientruppe einen ganz eigenen Reiz.
Denn diese zehn Menschen haben schon eine Menge Leben hinter sich und entsprechende Erfahrungen gemacht: „Nichts von dem, was auf der Bühne zu sehen ist, ist erfunden“, sagt Wißmann. „Alles ist erlebt, und diese Geschichten sollen nicht verloren gehen. Man erkennt an ihnen auch, was sich alles verändert hat in den letzten Jahrzehnten.“
Selbstverständlich geht es in den meisten der 25 Szenen, die jeweils auf Anregung von einzelnen Gruppenmitgliedern entstanden sind und dann gemeinsam ausgearbeitet wurden, ganz direkt um den Umgang mit der eigenen Homosexualität und Queerness. Auch um die Probleme, die das in einer mehrheitlich heteronormativen Gesellschaft mit sich bringt.
Fortschritte und Ängste im Umgang mit Queerness
Da hat es in den vergangenen 50, 60 Jahren unbestreitbar Fortschritte gegeben, das wird auch thematisiert. In einer Szene etwa, in der die Schauspielerinnen und Schauspieler in einem Linienbus sitzen und dem Publikum ihre Gedanken mitteilen. „Wir können wegen unserer Liebe nicht mehr verhaftet werden“, sagt einer, eine andere seufzt erleichtert: „Wenn ich möchte, kann ich meine Freundin heiraten“.
Ein Dritter allerdings scheint sich Mut zuzusprechen: „Wir sind viele“, denn wirklich sicher fühlt sich noch niemand. „Wenn es nach den Rechten ginge, müssten wir leben wie in den 50er Jahren“, fürchtet ein Fahrgast, und nicht nur das: „Ich könnte von queer-feindlichen Menschen angegriffen werden.“
Regisseur Thomas Wißmann ermutigt zur Authentizität
Doch auch Klischees und Rollenbilder nehmen die Talente gern auf die Schippe. In der „Bielefeld-Szene“ etwa stehen drei junge Männer unschlüssig und ein wenig verklemmt vor einer Schwulen-Kneipe und werden von drei älteren Stammgästen „Schwuletten“ sagt Wißmann veräppelt: „Huhu, ich beiß’ nur, wenn’s dir Spaß macht.“ Erinnert an Comics von Ralf König.
Bei der Probe ermutigt Thomas Wißmann seine Schauspieler, mehr aus sich herauszugehen, dem Publikum in die Augen zu schauen, Ausdruck zu wagen. Wenn sie zum Beispiel auf Tafeln das Jahrzehnt einer Szene ankündigen: „Die 50er Jahre waren ja eher bedrückend, konservativ, das kannst mit deinen Bewegungen zeigen. Bei den 60ern dagegen solltest du eher bekifft aussehen.“ Da wird viel Zeitgeschichte umgewälzt, so wenn Ilona von einer Hausbesetzung in Deutz Anfang der 80er erzählt: „Neun Männer und ich und ich war lesbisch.“
2026 wird möglicherweise ein neues Stück entstehen. Vielleicht ist das sogar bitter nötig, wer weiß schon, wie sich die Dinge entwickeln. In der „Fächer“-Szene ganz am Ende tanzen die „zeitlosen Talente“ jedenfalls zunächst anmutig und verspielt zu balladesken Klängen und formulieren dabei Wünsche wie „Die Menschen sind verschieden, man muss nicht jeden lieben. Wir möchten nur Frieden.“
Doch irgendwann knattert eine E-Gitarre los, und das Ensemble richtet die zusammengeklappten Fächer spitz ins Publikum wie Messer oder Degen. „Wir können auch ganz anders“, warnt Thomas Wißmann lächelnd.
