Museum LudwigBei Titanweiß schrillt die Alarmglocke

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Museum Ludwig Russische Avantgar

Die Fälschung (l) und das Original eines Bildes aus der Reihe 'Malerische Architektonik' von L. S. Popowa sind bei einer Vorbesichtigung der Ausstellung 'Russische Avantgarde im Museum Ludwig.

Köln – Die gute Nachricht zuerst: Betritt man die Schau „Russische Avantgarde im Museum Ludwig – Original und Fälschung“, so bewundert man an der Stirnwand zwei lupenreine Meisterwerke: Kasimir Malewitschs „Supremus No. 38“ und Alexander Rodtschenkos „Schwarz auf Schwarz“, dessen dynamische Symbole so transparent schimmern wie feuchtes Glas. Wobei die Materialanalyse ergab, dass der Maler Asphalt in seine Palette mischte.

Insgesamt hat das Museum 49 seiner 100 Gemälde dieser Kunstrichtung (1905-1930) untersucht, von denen 22 in ihrer Authentizität mindestens fragwürdig seien. Peter Ludwig hatte die meisten seiner 600 Werke (auch Grafik und Fotos) der russischen Avantgarde zwischen 1977 und 1996 bei der Kölner Galerie Gmurzynska (heute in Zürich) gekauft. Die forderte vor kurzem die vorzeitige Herausgabe der Liste verdächtiger Bilder und protestierte gestern per Pressemitteilung (s. Kasten).

Erklärung der Galerie Gmurzynska

Zunächst hatte die Galerie Gmurzynska beim Verwaltungsgericht Köln erwirkt, dass ihr das Museum vorab die Liste der Verdachtsfälle aushändigen müsse. Den Beschluss verwarf das Oberverwaltungsgericht Münster.

Nun kritisiert Eigentümerin Krystyna Gmurzynska die Ausstellung: „Da geht es um reißerische Wirkung auf Kosten der Kunst und unter Ausschluss weltweit anerkannter Experten dieses Gebiets.“ Mit diesen wolle man selbst „die Hintergründe beleuchten“. Dass „ein sachlicher Diskurs“ per Symposium erst im November stattfinde, „steht im krassen Gegensatz zu den internationalen Usancen“. Die Galerie betont, dass viele Werke des Ludwig-Konvoluts von anderen Händlern wie Alex Lachmann oder aus der Sammlung Shapiro stammen. (EB)

Ein Stich ins Wespennest also? Nicht für Brigitte Franzen, Vorständin der „Peter und Irene Ludwig Stiftung“. Sie meint, das verstorbene Sammlerpaar „wäre sehr stolz, das heute zu sehen“. Auch sieht sie in festgestellten Fehlzuschreibungen „keinen Schaden, sondern einen Gewinn. Wobei ich erleichtert bin, dass die Mehrzahl der Werke authentisch ist“.

Der Vergleich offenbart die Fälschung

Die unechten Kandidaten werden besonders augenfällig entlarvt, wenn sie mit zweifelsfreien Leihgaben konfrontiert sind. Aus der spanischen Sammlung Thyssen-Bornemisza reiste etwa Ljubow Popowas „Malerische Architektonik“ an den Rhein. Daneben verblasst das gleichnamige Kölner Bild buchstäblich: pauschalere Pinselführung, geringere Farbfinesse – wohl kein Werk von Popowa, sondern eine Kopie.

Vizedirektorin Rita Kersting und Restauratorin Petra Mandt organisierten die Ausstellung mit internationaler Unterstützung: vor allem von Maria Kokkori, Kunsthistorikerin und- -technologin am Art Institute of Chicago, sowie Jilleen Nadolny, Art Analysis & Research London, sowie Restaurierungszentren in Düsseldorf und an der TH Köln.

Die Forschung verlief dreistufig: zuerst Ermittlung der Provenienzen, die bei der unter Stalin verpönten, im Westen begehrten und oft durch den Eisernen Vorhang geschmuggelten Kunst heikel ist. Zudem kunsthistorische Stilkritik und technologische Expertise von Durchleuchtung (UV-, Infrarotlicht und Röntgen) bis zu Pigment- oder Faseranalyse von Pinsel und Bildträger.

Eine Schule des detektivischen Sehens.

Oft scheitern Bilder in mehreren Disziplinen. „Landschaft“ stammt angeblich von Olga Rosanowa. Doch nun hängt deren echtes Werk „Mann auf der Straße“ als Leihgabe von Thyssen-Bornemisza daneben. Dessen zentrales Titelmotiv fehlt im Kölner Bild, das ansonsten aber eine um 180 Grad gedrehte Variante ist. Da der Bildträger überdies Polyesterfasern und das auch erst später eingeführte Pigment Titanweiß aufweist, kann die Datierung um 1913 nicht stimmen.

Wie verdeutlicht man all dies dem Besucher? In drei Räumen sind unter den 24 präsentierten Bilden des eigenen Hauses die Indizien drapiert: Kataloge, Infrarotbilder, die Unterzeichnungen erhellen, Fotos sowie ein klares Fazit. Eine Schule des detektivischen Sehens.

Wobei auch erklärt wird, dass beim angeblich von Alexandra Exter stammenden Ölgemälde „Kostümentwurf ,Herodes‘“ neben Titanweiß das erst noch später verfügbare Phtalocyaninblau gegen die Echtheit spricht. Und das malerische Werk von Nina Kogan sei, so zitiert der Katalog Experten, womöglich komplett erfunden. Das Museum bleibt indes auch bei Fehlzuschreibungen vorsichtig und verwendet den Fälschungsbegriff (außer im Titel) nicht, weil man keine Betrugsabsicht unterstellen wolle. „Wir können Ihnen keinen russischen Beltracchi bieten“, scherzt Petra Mandt.

50 Gemälde werden noch untersucht

Doch Stilkritik und Kunsttechnologie liefern auch Echtheitsbelege: Bei Ljubow Popowas Relief „Porträt einer Frau“ taucht man tief in die Komplexität des Malvorgangs ein, während zusätzlich eine Postkarte der Künstlerin von 1915 eine Vorstudie des Werks zeigt. Da stimmt alles, wie auch im dritten Raum, der nur nachgewiesene Originale des Künstlerpaars Michail Larionow und Natalia Gontscharowa zeigt. Wobei das Röntgenbild aufdeckt, dass Larionow unter seinem abstrakten „Rayonismus“ ein unvollendetes Porträt, wahrscheinlich von seiner Frau, gemalt hat.

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Unter den restlichen knapp 50 noch zu untersuchenden Gemälden vermutet Kersting mehr nachweisbare Originale, da man zuerst die Verdachtsfälle bearbeitet habe. „Auch die fraglichen Bilder sind uns als Referenz wertvoll“, meint Museumsdirektor Yilmaz Dziewior, „und bleiben in unserer Datenbank sichtbar.“

Bis 3.1. 2021, Di-So 10-18 Uhr, jeden 1. Do 10-22 Uhr. Katalog im Museum 25 Euro Heinrich-Böll-Platz. Am 6./7.11. findet ein Symposium statt. www.museum-ludwig.de

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