LandtagsfraktionExperte: Doppelspitzen in der NRW-SPD ist gegen Wüst riskant

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SPD-Landesvorsitzender Thomas Kutschaty geht nach einem Statement im Johannes-Rau-Haus vom Podium.

Sollten künftig bis zu vier eher unbekannte Sozialdemokraten sich gegen Regierungschef Wüst profilieren müssen, sieht Politik-Professor Marschall Risiken.

Die nordrhein-westfälische SPD ist in der Krise. Sie erwägt, ihr Führungsvakuum in der Partei und Fraktion mit Doppelspitzen zu füllen.

Doppelspitzen in der Landtagsfraktion und Landespartei der angeschlagenen nordrhein-westfälischen SPD sind aus Sicht des Politikwissenschaftlers Stefan Marschall riskante Optionen.

Die NRW-SPD sollte ihr Führungsvakuum nach dem Rückzug des bisherigen Oppositionsführers Thomas Kutschaty mit einer Persönlichkeit füllen, die über Prominenz und Profil verfüge, sagte der Politik-Professor der Heinrich Heine-Universität der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf. „Politik wird sehr stark über Personen transportiert.“

Hendrik Wüst kann Amtsbonus ausnutzen

Wenn es hingegen „diffuse Spitzen“ mit drei oder vier Personen gebe, werde es für die NRW-SPD schwierig, gegenüber dem amtierenden Ministerpräsidenten und CDU-Landeschef Hendrik Wüst verlorenen Boden wettzumachen, mahnte der Experte für politische Kommunikation.

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Zumal Wüst bis zur Landtagswahl 2027 viel Zeit habe, seinen Amtsbonus auszubauen und als Regierungschef und derzeitiger Vizevorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz große bundespolitische Themen zu besetzen - wie etwa die Folgen des Ukraine-Krieges, der Energiepreis-Krise oder des Klimawandels.

Für die meisten Menschen stehen landespolitische Themen immer noch im Hintergrund und werden stark von bundespolitischen Themen überlagert.
Stefan Marschall, Politikwissenschaftler

„Für die meisten Menschen stehen landespolitische Themen immer noch im Hintergrund und werden stark von bundespolitischen Themen überlagert“, stellte Marschall fest. Der Interimsvorsitzende der NRW-SPD, Hamms Oberbürgermeister Marc Herter, hatte kürzlich betont, die Partei müsse Themen aufgreifen, über die am Abendbrottisch gesprochen werde. „Ich sehe nicht, wie die NRW-SPD die Hoheit über die Abendbrottische gewinnen kann - falls es die überhaupt noch so gibt“, wandte der Politikwissenschaftler ein.

Sowohl in der Landespartei als auch in der Landtagsfraktion werden derzeit Doppelspitzen als Nachfolge-Lösungen für Kutschaty erwogen. Für diesen Freitag ist in Düsseldorf eine gemeinsame Sitzung des Präsidiums der Landespartei und des geschäftsführenden Vorstands der Landtagsfraktion zur Neuaufstellung geplant.

Wie es aus Teilnehmerkreisen hieß, soll dabei ein „Fahrplan“ für die nächsten Schritte beraten werden, Personalentscheidungen würden nicht getroffen. Die Öffentlichkeit soll demnach nicht über Ergebnisse der internen Sitzung informiert werden.

Für Doppelspitze als Option wäre Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig

Die Landtagsfraktion wird voraussichtlich am Dienstag über eine Änderung ihrer Geschäftsordnung beraten, die eine Doppelspitze als zusätzliche Option ermöglichen soll. Für einen entsprechenden Beschluss wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 56 SPD-Abgeordneten notwendig. Auch dann blieben aber beide Möglichkeiten - Einzelführung oder Doppelspitze - offen.

Kutschaty war am 23. März infolge einer strittigen Personalie als Vorsitzender der NRW-SPD zurückgetreten. Kurz darauf hatte er angekündigt, auch den Vorsitz der Landtagsfraktion niederzulegen, sobald eine neue Spitze gewählt sei. Das soll voraussichtlich noch im Mai passieren.

„Auf der Fraktionsebene gibt es für die Opposition am ehesten die Chance, sichtbar zu werden“, sagte Marschall. Gefragt sei „eine Person, die in der Lage ist, die Landesregierung herauszufordern“.

Berücksichtigung prominenter Sozialdemokraten wird empfohlen

Für die Führung der Landespartei - oder gar schon vorausblickend auf eine Spitzenkandidatur für 2027 - wäre auch ein Blick auf prominente Sozialdemokraten in der Bundespolitik naheliegend, argumentierte der Politologe. Der spätere Spitzenkandidat müsse schließlich nicht aus der neu gewählten Führungsmannschaft kommen.

Die Entscheidung für eine andere Person habe sich auch in der Bundes-SPD bewährt, die 2021 Olaf Scholz zu ihrem Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt habe, obwohl die Mitglieder zuvor mit Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken für eine andere Parteiführung votiert hatten.

NRW-SPD plant am Landesparteitag  neue Führung zu wählen

Die NRW-SPD will auf einem Landesparteitag am 26. August eine neue Führung wählen und sich zuvor am 6. Mai mit ihren Funktionsträgern aus Kommunen, Landtag und Bundestag beraten. Bislang hat niemand seinen Hut für eine der Führungspositionen in den Ring geworfen, Gehandelt werden aber viele Namen, darunter auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze aus Münster und die Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering aus dem Wahlkreis Herne-Bochum.

„Man kann nicht pauschal sagen, dass es nicht geht, eine Landespartei aus Berlin zu führen - gerade wenn es mangelnde Prominenz auf Landesebene gibt“, unterstrich Marschall. Das Modell sei mit dem früheren Bundesumweltminister und Spitzenkandidaten der NRW-CDU, Norbert Röttgen sowie dem Bundestagsabgeordneten und Ex-Landeschef der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, nicht per se gescheitert.

SPD-NRW wird schwächer

Laut repräsentativer Umfrage vom März käme die SPD bei einer NRW-Landtagswahl derzeit nur noch auf 20 Prozent. Die CDU könnte hingegen auf 38 Prozent zulegen. Bei der NRW-Wahl im Mai 2022 kam die CDU auf 35,7 Prozent, während die SPD mit 26,7 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis einfuhr.

„Nordrhein-Westfalen ist nicht mehr das Land der SPD - das ist längst vorbei“, bilanzierte Marschall. „Es gibt aber noch einen gewissen Mythos rund um die NRW-SPD.“

Auch, wenn die frühere „Herzkammer der Sozialdemokratie“ immer kleiner werde und ihre traditionellen Wähler-Milieus sich längst aufgelöst hätten, könne die Schwäche des zwar schrumpfenden, mit rund 91.000 Genossen aber immer noch stärksten SPD-Landesverbands der Bundespartei nicht egal sein. „Die Schwäche der NRW-SPD spiegelt sich in der gesamten SPD wider: Da wackelt ein Stuhlbein.“ (dpa)

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