- Gut eine Woche vor dem Urnengang ist das Ergebnis den jüngsten Umfragen zufolge völlig offen. Mehrere Regierungskoalitionen in Düsseldorf erscheinen möglich. Eine politische Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Acht Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist der Ausgang völlig offen. Unterschiedliche Umfragen zeigen: Es wird sehr knapp. Hinter den Kulissen werden deshalb längst die Koalitionsoptionen abgeklopft. Wir geben einen Überblick über die Möglichkeiten.
Schwarz-Gelb
Wenn nicht noch ein demoskopisches Wunder passiert, dürfte die Regierungskoalition aus CDU und FDP eine kurze Episode bleiben. Obwohl beide Partner „echte Liebe“ beschworen und seit 2017 mit nur einer Stimme Mehrheit ihre Agenda professionell abarbeiteten, stand die Legislatur unter keinem guten Stern.
CDU knapp vorn
Laut einer Umfrage im Auftrag des ZDF zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 15. Mai liegt die CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst derzeit knapp vor der SPD mit Herausforderer Thomas Kutschaty. Das ZDF-„Politbarometer Extra“ ermittelte bei der Sonntagsfrage für die CDU einen Wert von 30 Prozent, 28 Prozent würden der SPD ihre Stimme geben. Für die Grünen wurde ein starker Zuwachs ermittelt, sie kämen auf 18 Prozent. FDP und AfD würden jeweils sieben Prozent erreichen. Mit 40 Prozent ist der Anteil derer, die nicht sicher sind, wen oder ob sie wählen wollen, sehr hoch.
Bei der Frage, wen sich die Wählerinnen und Wähler als Ministerpräsident wünschen, liegt Regierungschef Wüst, der im vergangenen Oktober das Amt von Armin Laschet (CDU) übernommen hatte, dem ZDF zufolge mit 39 Prozent vorn. Herausforderer Kutschaty holte im Vergleich zu früheren Umfragen auf und kommt auf 31 Prozent. (dpa)
Die schwarz-gelbe „Entfesselungspolitik“ stand schnell quer zum „Fridays for Future“-Zeitgeist. Die jäh gescheiterte Mission Kanzleramt von Armin Laschet und der umstrittene Corona-Lockerungskurs trübten die Stimmung weiter ein. Laschet-Nachfolger Hendrik Wüst ist für einen echten Amtsbonus zu kurz in der Staatskanzlei. Die FDP zahlt einen hohen Preis für große Unzufriedenheit mit der Schulpolitik. Nicht zuletzt fehlt den Liberalen Christian Lindner, das Gesicht der erfolgreichen NRW-Kampagne von 2017.
Wahrscheinlichkeit: gering
Schwarz-Grün
Für Kurzzeit-Ministerpräsident Wüst ist es die einzige realistische Machtoption. Für den Verbleib im Amt wird er Grünen-Chefin Mona Neubaur (fast) alles bieten müssen: fünf Ministerien, Ende der Windkraft-Abstandsregeln, Solardach-Pflicht, Aus für Umgehungsstraßen, Flächenverbrauchsverbot, Einschränkung des Rohstoff-Abbaus, Radwege, Blühstreifen. Schwarz-Grün-Sympathisantin Neubaur benötigt Argumente und einen möglichst klaren „Regierungsbildungsauftrag“ für Wüst, denn laut de n Umfragen wollen ihre Wähler ausdrücklich nicht Schwarz-Grün. Neubaurs Landesverband tickt deutlich linker als etwa ein Robert Habeck. Die Grüne Jugend will Schwarz-Grün sogar formal ausschließen. Die Mitgliederzahl der NRW-Grünen hat sich seit 2017 verdoppelt, und die meisten Neuen wollen das Weltklima retten – nicht einen CDU-Ministerpräsidenten vor der Abwahl.
Wahrscheinlichkeit: hoch
Rot-Grün
Wenn es rechnerisch für Rot-Grün reicht, führt an dieser Koalition kein Weg vorbei – selbst wenn die SPD von Spitzenkandidat Thomas Kutschaty hinter der CDU nur auf Platz zwei landen sollte. Die inhaltlichen Schnittmengen sind groß, die Milieus ähnlich, die Beziehungen in vielen Koalitions- und Oppositionsjahren gefestigt. Die Wähler der linken Mitte favorisieren allen Umfragen zufolge ohnehin dieses Bündnis. Mit NRW-Grünen auf Rekordniveau von 16 bis 18 Prozent wird sich die einst so selbstbewusste SPD aber umgucken, weil dann das Verhältnis von Koch und Kellner neu definiert werden müsste.
Wahrscheinlichkeit: mittel
Ampel
Falls es zu einem Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP reichen sollte, dürfte der Druck enorm groß werden, auch in Koalitionsgespräche einzusteigen. Die Ampel-Parteien im Bund können kein Interesse daran haben, dass die Fliehkräfte in Berlin weiter zunehmen – zumal sich in Habecks Heimatland Schleswig-Holstein Schwarz-Grün bereits anbahnt. NRW bringt im Bundesrat immerhin sechs Stimmen auf die Waage. Selbst wenn die CDU also als Nummer eins durchs Ziel gehen sollte, werden SPD-Spitzenkandidat Kutschaty und FDP-Chef Joachim Stamp versuchen, Grünen-Frontfrau Neubaur die schwarz-grünen Flausen auszutreiben. Einzige Ausnahme: Bei einem Katastrophen-Ergebnis um die sechs Prozent dürfte bei den Liberalen die Neigung wachsen, sich in der Opposition zu regenerieren.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wahrscheinlichkeit: hoch
Große Koalition
Rechnerisch geht eine Große Koalition in NRW immer, politisch diesmal wohl kaum. Das Verhältnis beider Landesparteien gilt als zerrüttet. Ministerpräsident Wüst tritt zwar verbindlich auf, doch seine Hintersassen holzen seit Wochen gegen SPD-Chef Kutschaty. Tiefpunkt: CDU-Landtagsfraktionschef Bodo Löttgen stellte mit einer offiziellen Anfrage in den Raum, Kutschaty könnte der russische Corona-Impfstoff „Sputnik V“ verabreicht worden sein. In den sozialen Netzwerken soll zudem mit Fake-Profilen eine Schmutzkampagne gegen den Herausforderer orchestriert werden, wovon sich die CDU später allerdings distanzierte. Die Groko-Allergie der NRW-SPD ist ohnehin ziemlich ausgeprägt, diesmal dürfte man die Selbstachtung kaum gegen ein paar Dienstwagen bei Wüst eintauschen.
Wahrscheinlichkeit: gleich null
Jamaika
Wenn die Grünen vor der Wahl stehen, mit CDU und FDP (Jamaika) oder mit SPD und FDP (Ampel) zu regieren, dürfte die Sache klar sein. Grünen-Spitzenkandidatin Neubaur wird ihr Rekordergebnis kaum dafür herschenken, als Reserverad für eine abgewählte schwarz-gelbe Koalition zu dienen. Das würde ihr Landesverband nicht mitmachen – zumal es noch gar nicht lange her ist, da wollten die Grünen nach Erfolgen bei Europa- und Kommunalwahlen die CDU als Nummer eins in NRW verdrängen.
Wahrscheinlichkeit: gering