„Wir müssen Boden gutmachen“SPD-Spitze Norbert Walter-Borjans im Interview

Lesezeit 5 Minuten
Walter-Borjans Esken dpa

Der neue SPD-Bundesvorsitz, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. (Archivbild)

  • Walter-Borjans spricht über Ziele, Herausforderungen und Möglichkeiten der Partei.
  • Gibt es es schon einen Termin für den Koalitionsausschuss?
  • Und wie steht er zu AKK, Scholz und Co.?

Berlin – 

Herr Walter-Borjans, brauchen Sie nach Kandidatenwahlkampf und Parteitag in Berlin schon Urlaub?

Was heißt hier schon? Ich bin seit Monaten im Dauereinsatz. Jetzt geht es erst einmal weiter an die Arbeit. Ich spüre den Reiz der Herausforderung. Aber zwischen Weihnachten und Neujahr sollten ein paar freie Tage drin sein. Das Umfrage-Institut Forsa sieht Sie bei elf Prozent. Da brauchen Sie über einen Kanzlerkandidaten nicht nachzudenken, oder? Das ist in der für alle neuen Situation doch kein Wunder. Im Übrigen gibt es neuere Umfragen als diese, die uns viel positiver sehen. Wir wollen jetzt das sozialdemokratische Profil schärfen, unabhängig von der Koalitionsfrage. Wenn klarer wird, wofür wir und wofür die anderen stehen, steigen auch wieder unsere Umfragewerte. Davon bin ich überzeugt. Die Reihenfolge ist so: Mehr Zustimmung durch Inhalte, nicht durch einen Kandidaten. Und ab welchem Wert denken Sie dann über einen Kanzler- statt Spitzenkandidaten nach? Das ist eine mathematische Frage. Mit Werten unter 20 Prozent können wir keine Regierungsmehrheit anführen. Darüber ist es durchaus sinnvoll, einen Kanzlerkandidaten aufzustellen. Aber da sind wir noch nicht. Etwa ein Drittel der Bevölkerung teilt konkrete sozialdemokratische Forderungen und Werte. Das Potential ist also groß und das treibt uns an. Kurzfristig muss unser Ziel mindestens die 20-Prozent-Marke sein. Die frühere Parteivorsitzende Andrea Nahles war trotz Abwesenheit sehr präsent auf dem Parteitag, etwa beim Beschluss des von ihr vorbereiteten Sozialstaatskonzepts. Können Sie auf solche Personen auf Dauer verzichten? Wir haben wiederholt betont, dass der Umgang mit Andrea Nahles nicht gut war. Vor allem ihr haben wir das Sozialstaatskonzept aber mit zu verdanken. Da hat sie großartige Arbeit geleistet. Da wäre sie auch weiter von großem Wert für die SPD. Aber auch Thorsten Schäfer-Gümbel, der maßgeblich an der Neuorientierung der Steuerpolitik mitgewirkt hat. Wir sollten auf ihren Sachverstand nicht verzichten. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Andrea Nahles sich erst einmal zurückgezogen hat: Ich hoffe aber, dass sie und Thorsten Schäfer-Gümbel wieder eine Rolle in der SPD einnehmen.  Beim Parteitag haben die Parteivizes Hubertus Heil und Kevin Kühnert aus unterschiedlichen Lagern fast identische Ergebnisse bekommen. Kommt jetzt ein Dauerduell? Ich nehme Hubertus Heil und Kevin Kühnert so wahr, dass sie ihre unterschiedlichen Positionen klar zum Ausdruck bringen können und gleichzeitig nicht über andere hinwegrollen. Beide sind kluge Vertreter eines weiten sozialdemokratischen Spektrums. Es wird also kein Dauerduell zwischen ihnen geben, sondern eine breit aufgestellte, aber in sich geschlossene SPD...

Alles zum Thema Olaf Scholz

...die jetzt auf die Union treffen wird. Was machen Sie eigentlich, wenn CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer Ihre Forderungen abschmettert und Sie am Ende der Gespräche mit leeren Händen dastehen? Frau Kramp-Karrenbauer hat sich selbst auf die Revisionsklausel berufen. Daran werden wir sie messen. Ich habe ganz klar zum Ausdruck gebracht, dass wir massiv investieren müssen. Das sagen auch Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften und Wirtschaftsinstitute. Annegret Kramp-Karrenbauers Argument, vorhandene Mittel würden gar nicht abfließen, deshalb brauche es keine neuen, halte ich für falsch. Denn Unternehmen und der Staat schaffen nur dann mehr Stellen für Planer, Ingenieure und anderes derzeit fehlendes Personal, wenn die Investitionen dauerhaft hoch bleiben - zur Not dann eben auch aus Krediten finanziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass CDU und CSU sich lange hinter dem Fetisch der schwarzen Null verbarrikadieren. Gibt es schon einen Termin für den Koalitionsausschuss? Nein. Ich erwarte aber, dass wir uns noch vor Weihnachten zusammensetzen. Erstmal zum Kennenlernen und dann im Format eines Koalitionsausschusses. Wir sind in Kontakt mit der Kanzlerin und der Führung der CDU. Angela Merkel hat uns beiden gratuliert.

Die finanzpolitischen Ansichten von Olaf Scholz liegen gar nicht so weit auseinander. Er hält nicht krampfhaft an der schwarzen Null fest und ich fordere nicht die Abschaffung um ihrer selbst Willen. Es geht um kalkulierbare Investitionen. Ich bin sicher, dass wir gut zusammenarbeiten werden. Werden Sie in den Konflikt von CDU-Wirtschaftsminister Altmaier und SPD-Umweltministerin Schulze über Windkraftabstände und den Kohleausstieg eingreifen? Bei Herrn Altmaier hört man verschiedene Töne. Auf der einen Seite ist er für Investitionsfonds. Er sagt ganz klar, dass der Markt nicht alle Probleme lösen kann.  Auf der anderen Seite ist er eingebunden in eine ziemlich enge Sicht, was der Staat tun darf. Wir werden Svenja Schulze den Rücken stärken und nicht den vielfältigen Partikularinteressen nachgeben. Die dürfen keine Entschuldigung dafür sein, dass wir nicht weiterkommen. Sehen Sie da die Kanzlerin an Ihrer Seite? Frau Merkel hat in ihrer Haushaltsrede drei Punkte genannt, die mich optimistisch stimmen.  Sie hat ganz klar gesagt, dass wir beim Klimaschutz stärker als bisher vorankommen müssen. Der zweite Punkt betrifft das Thema des Auseinanderdriftens der Gesellschaft und der Regionen.  Das ändert sich aber nicht, wenn CDU und CSU die Vermögensteuer total ablehnen oder unter allen Umständen auf der schwarzen Null beharren. Zum Dritten hat sie die Transformation der Automobilindustrie in Richtung E-Mobilität erwähnt. Wenn sie alle drei Punkte ernst nimmt, sehe ich deutlichen Spielraum für Verhandlungen. In manchen dieser Punkte ist die Kanzlerin ihrer Partei voraus. Ich sehe auch bei den CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet und Daniel Günther Anknüpfungspunkte für uns Sozialdemokraten, sie haben schon Bewegung in unsere Richtung etwa beim CO2-Preis oder den Windkraftabständen signalisiert. Wo sind die roten Linien der Verhandlungen?

Die wichtigsten Themen sind Klimaschutz und die Frage der Investitionen sowie der Mindestlohn von zwölf Euro. Da müssen wir Boden gutmachen. Schließlich dürfen niedrige Löhne nicht dazu führen, dass Arbeitnehmern Altersarmut droht. Das sind Punkte, in denen wir Verbesserungen erreichen müssen, wenn wir in der großen Koalition weiterarbeiten sollen. Es gibt also keine klaren roten Linien? Wer vor Verhandlungen rote Linien öffentlich ausplaudert, hat keine kluge Verhandlungsstrategie.

Rundschau abonnieren