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Interview

Zwei Jahre nach dem Hamas-Massaker
Was wird aus unserer Beziehung zu Israel, Herr Liminski?

7 min
NRW-Europaminister Nathanael Liminski im Juli 2023 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Enge Beziehungen zu Israel: NRW-Europaminister Nathanael Liminski im Juli 2023 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem.

Vor zwei Jahren beging die Hamas den größten Mord an Juden seit dem Holocaust – aber mittlerweile steht vor allem Israel im Zentrum öffentlicher Kritik. Begeht Israel einen Genozid? Sind EU-Sanktionen richtig? Bringt der US-Plan Fortschritte? Fragen an NRW-Europaminister Nathanael Liminski.

NRW hat eine besonders enge Beziehung zu Israel, unter anderem mit einem Landesbüro in Tel Aviv. Der internationale Druck auf Israel steigt wegen des Vorgehens der israelischen Armee im Gaza-Krieg. Was bedeutet das für diese besondere Beziehung von NRW zu Israel?

Nordrhein-Westfalen hält an seiner engen und besonderen Beziehung zu Israel fest. Wir tun das zum einen aus offenkundiger historischer Verantwortung nach der moralischen Katastrophe der Shoa. Der Weg der Annäherung bis hin zu diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wurde später vor allem aus und von Nordrhein-Westfalen geebnet, etwa durch Impulse aus der Kultur – gerade aus dem Kölner Raum – und aus dem Sport. Wir tun es zum anderen mit Blick auf die sensible Sicherheitslage für Israel und wir tun es, weil wir viele gemeinsame Themen für die Zukunft sehen. Das heißt nicht, dass wir alles teilen, was die Regierung Netanjahu entscheidet oder sagt. Ich halte es für legitim und derzeit geboten, zwischen Land und Leuten in Israel einerseits und der Regierung andererseits zu unterscheiden – und dort, wo wir nicht übereinstimmen, das auch klar zu benennen. Das gehört für mich zur Freundschaft dazu.

Eine UN-Kommission wirft Israel einen Genozid im Gazastreifen vor. Kann man da einfach sagen, wir machen weiter?

Genozid – das ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf. Ich rate zur Vorsicht in der Sprache: Ein Genozid setzt eine explizite Vernichtungsabsicht voraus. Die Intensität der Kriegsführung reicht dafür nicht als Beleg. Die Vorwürfe gegen Israel stützen sich auf in der Tat skandalöse Aussagen einzelner Minister. Sie sind nicht zu rechtfertigen, aber es ist fraglich, ob diese Minister die Politik des Landes tatsächlich prägen. Die Prüfung dieser Vorwürfe erfolgt zurecht durch die Bundesregierung, die über die nötigen Kapazitäten und Zugänge verfügt. Die Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen ist Bundessache. Deshalb sollten wir als Länder hierzu keine eigenen Bewertungen abgeben.

Die jüngste Eskalation geht auf den grauenhaften Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 zurück. Das wird in der politischen Debatte zu oft ausgeblendet oder nur wohlfeil nachgeschoben.
Nathanael Liminski

Das Landesbüro ist unter anderem für die Förderung wirtschaftlicher Beziehungen zuständig. In der EU gibt es Bestrebungen, Israel Handelsvergünstigungen zu streichen, um Druck aufzubauen, damit der Angriff auf Gaza-Stadt endet. Kann das Land dann weiter den wirtschaftlichen Austausch fördern?

Die Ankündigung von EU-Sanktionen gegen Israel war ein Fehler. Unsere Beziehungen zu Israel beruhen auf gemeinsamen Werten und Zusagen. Die jüngste Eskalation geht auf den grauenhaften Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 zurück. Das wird in der politischen Debatte zu oft ausgeblendet oder nur wohlfeil nachgeschoben. Man kann Israel wegen der Art der Kriegsführung kritisieren und muss es zuweilen auch. Aber Israel mit Sanktionen zu belegen und Hilfe zu entziehen, geht zu weit. Das passt nicht zu der Rhetorik, die die Existenz und Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. Die aktuelle Lage ist zweifellos ein Stresstest – den besteht man nur mit einem klaren Kompass, nicht mit einem schwankenden Kurs.

Kann man etwas dagegen tun, dass die Diskussion über den Gaza-Krieg die Erinnerung an den größten Massenmord an Juden seit 1945 so überlagert, wie Sie es schildern?

Ja, das kann man. Erstens müssen wir immer wieder in Erinnerung rufen, wer Urheber dieser Eskalation ist: die Hamas. Zweitens müssen wir islamistischen Extremismus – dort und hier – deutlich benennen. Drittens müssen wir betonen, dass eine Zweistaatenlösung nur mit einer neuen, friedensorientierten palästinensischen Führung denkbar ist, nicht mit der Hamas. Und viertens müssen wir hierzulande viel stärker daran erinnern, dass viele arabische Staaten das genauso sehen. Die Hamas wollte mit ihrem Terror die diplomatische Annäherung zwischen Israel und einigen arabischen Staaten beenden. Sie hat das Gegenteil erreicht: Ehemalige Feinde Israels haben Israel gegen Iran verteidigt und die Verbrechen der Hamas klar verurteilt. Der Krieg könnte in dem Moment enden, wenn die Hamas die Geiseln freilässt. Dann aber muss auch Israel auf sein Wort verpflichtet werden. Der amerikanische Präsident tut das – und das mit Recht.

Unter den Geiseln sind auch deutsche Staatsbürger …

Ich bin erstaunt, wie sehr das Wissen um die sieben verbliebenen deutschen Geiseln in der deutschen Öffentlichkeit verblasst. Natürlich verändert sich für die Bundesregierung die Lage, wenn Deutsche betroffen sind. Aber ich sage auch: Das Schicksal der Geiseln aus Israel würde mir persönlich genauso nahegehen, wenn keine deutschen Staatsbürger darunter wären.

Auch in Israel selbst wird die Regierung scharf kritisiert. Das zeigt die Stärke dieser Demokratie.
Nathanael Liminski

Wo sehen Sie die Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus?

Kritik an der israelischen Regierung ist legitim und darf von dort auch nicht pauschal als Antisemitismus gebrandmarkt werden. Auch in Israel selbst wird die Regierung scharf kritisiert. Das zeigt die Stärke dieser Demokratie. Die Grenze der legitimen Kritik hin zu Antisemitismus ist für mich jedoch an drei Punkten überschritten. Erstens, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Zweitens, wenn Israels Verhalten mit NS-Verbrechen gleichgesetzt wird. Und drittens, wenn Jüdinnen und Juden kollektiv und weltweit in Mithaftung genommen werden. Der Menschenrechtler Natan Scharanski hat die „drei Ds“ geprägt, um den Unterschied zwischen Israel-Kritik und Antisemitismus zu markieren: Dämonisierung, Doppelstandards, Delegitimierung. Das ist auch eine gute Orientierung.

Sie stehen in engem Kontakt zu vielen jüdischen Gemeinden. Was bewirken dort Vorgänge wie der Anschlag in Manchester, der Abbruch des Radrennens Vuelta in Spanien nach antiisraelischen Protesten, die Ausladung eines israelischen Dirigenten in Gent oder die von Michel Friedman im mecklenburgischen Klütz?

Diese Beispiele zeigen, wie aus Gedanken zuerst Worte und dann Taten werden – und Juden oft die ersten Opfer von Extremisten aller Art sind. Engagierte jüdische Gemeindevertreter, die persönlich für die Aussöhnung mit Deutschland eingetreten sind und einstehen, sagen mir inzwischen, dass sie nicht mehr sicher sind, ob sie ihren Enkeln, Nichten oder Neffen einen Aufenthalt in Deutschland noch empfehlen können. Das ist erschreckend. Wir dürfen uns daran niemals gewöhnen. Politik muss klar bekennen: Jüdinnen und Juden sind Teil Deutschlands. Wir lehnen jeglichen pauschalen Boykott jüdischer Menschen ab. Das darf kein Schönwetterbekenntnis sein, sondern muss sich in der Stunde der Not bewähren. Wir tun als Landesregierung alles dafür, dass nicht nur die Sicherheit der jüdischen Gemeinden gewährleistet ist, sondern auch die Sichtbarkeit jüdischen Lebens im öffentlichen Leben. Ich finde es unerträglich, wenn jüdische Menschen ihre religiöse Identität verbergen müssen. Jeder kann etwas tun: Einmal mehr zum Telefonhörer greifen, einen Besuch mehr, ein Zeichen mehr, dass wir die stille Ausgrenzung nicht zulassen.

Liminski an der ewigen Flamme von Yad Vashem.

Liminski an der ewigen Flamme von Yad Vashem.

Sie bemühen sich darum, ein deutsches Zentrum von Yad Vashem nach NRW, vielleicht nach Köln zu holen. Wie ist der Stand der Dinge?

Endlich bewegt sich etwas. Nordrhein-Westfalen hat früh seine Bereitschaft erklärt, eine erste internationale Repräsentanz von Yad Vashem zu beheimaten. Ich habe Dani Dayan, dem Präsidenten von Yad Vashem, vor zwei Jahren vor Ort in Jerusalem ein entsprechendes Schreiben überreicht. Seitdem gab es vielfältige Gespräche, auch mit der Bundesregierung. Ich habe in den Koalitionsverhandlungen angeregt, das Thema auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung explizit zu verankern. Wir haben jetzt die gute Nachricht erhalten, dass Nordrhein-Westfalen neben Bayern und Sachsen in der engeren Auswahl ist. Nun folgen vertiefte Gespräche und ein Besuch einer Delegation. Ein idealer Standort in NRW wäre Köln – die Stadt, in der vor über 1700 Jahren erstmals jüdisches Leben nördlich der Alpen beurkundet wurde. Eine weltoffene Stadt im Herzen Europas, gut erreichbar. Zudem erreicht man von hier aus Menschen aller gesellschaftlichen Gruppen, was für diese Bildungsstätte wichtig ist – etwa auch junge Menschen mit Migrationshintergrund, in deren Familien der Holocaust eher zur Sache der Geschichte vor ihnen erklärt wird. Unsere Bewerbung aus Nordrhein-Westfalen wird getragen von einem überparteilichen Konsens. Zudem bauen wir auf unsere bestehende Kooperationsvereinbarung mit Yad Vashem auf, die erste eines Landes mit der Gedenkstätte. Schon heute bilden wir Lehrer, Polizisten und Staatsanwälte in Yad Vashem aus. Wir haben nach intensiven Gesprächen eine Fortschreibung und Vertiefung vereinbart. Noch in diesem Monat werde ich nach Israel reisen und mit der Vereinbarung im Gepäck Dani Dayan vor Ort in Yad Vashem zum Austausch treffen.

Wir haben bereits im letzten Jahr angeboten, schwerverletzten Kindern aus dem Gazastreifen in NRW zu helfen … Gescheitert ist es an der Hamas-Verwaltung, die verlangte, dass Erwachsene mitreisen und sie selbst die Kinder auswählt.

Kann NRW etwas für die Menschen im Gazastreifen tun? Beispiel: Aufnahme verletzter und kranker Kinder.

Wir haben bereits im letzten Jahr angeboten, schwerverletzten Kindern aus dem Gazastreifen in NRW zu helfen. Gemeinsam mit Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und dem Friedensdorf Oberhausen war alles vorbereitet – vom Transport bis zur Versorgung. Gescheitert ist es an der Hamas-Verwaltung, die verlangte, dass Erwachsene mitreisen und sie selbst die Kinder auswählt. Das konnten das Friedensdorf und wir nicht verantworten. Ich hatte mich darum bemüht, auch um zu zeigen: Solidarität mit Israel und mitmenschliche Hilfe für die Opfer im Gazastreifen widersprechen sich nicht. Auch Städte in NRW haben mittlerweile ihre Unterstützung erklärt. Aber solange die Voraussetzungen nicht gegeben sind, müssen wir Hilfe vor Ort organisieren.

Können Sie sich vorstellen, dass es eines Tages auch ein NRW-Landesbüro in Ramallah geben wird?

Unser Landesbüro in Tel Aviv ist Ausdruck unserer besonderen einzigartigen Beziehung zu Israel. Es steht für Zusammenarbeit in Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Jugend. In keinem anderen Land haben wir ein solches Büro, obwohl Nordrhein-Westfalen weltweit enge und intensive Beziehungen pflegt. Auch in Ramallah und den Palästinensergebieten ist Nordrhein-Westfalen mit Projekten auf kommunaler Ebene präsent. Ich sehe allerdings aktuell keinen verlässlichen und vertrauenswürdigen Partner für solch eine Zusammenarbeit. Und Gleichmacherei wäre hier fehl am Platz: Die Beziehung zu Israel ist so einzigartig, wie es die Katastrophe der Shoa war.

Bei der Frage nach den seriösen Partnern stellt sich gleich die nächste: Welche Substanz hat der Staat Palästina, den viele Länder anerkennen?

Ich sehe diese Diskussion mit großer Skepsis. Die Anerkennung eines Staates Palästina löst kein einziges Problem vor Ort. Sie ist oft Symbolpolitik auf dem Rücken der Menschen. Man muss fragen: Welcher Staat soll da anerkannt werden – mit welcher Regierung, mit welcher Legitimation? Vor dem Hintergrund bin ich froh, dass die Bundesregierung dem internationalen Druck nicht nachgibt.

Hilft der US-Gaza-Plan mehr?

Ja. Bei aller Kritik an Stil und Motiven dieses US-Präsidenten: Trumps Friedensplan ist konkreter und hilfreicher als die Effekthascherei mancher EU-Regierungschefs. Es ist gut, dass er sein politisches Gewicht einbringt. Dadurch gibt es wieder Grund zur Hoffnung auf eine Freilassung der Geiseln und ein Ende der Gewalt. Ich hoffe, die Verantwortlichen vor Ort kennen jetzt ihre Verantwortung – auf Seiten der Hamas ebenso wie auf Seiten Israels.

Zur Person: Nathanael Liminski (CDU) ist Minister für Internationales, Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien des Landes NRW und Chef der Staatskanzlei. Er ist zudem Vorsitzender der CDU Mittelrhein und der Bonner CDU.