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Interview

Kölner Abgeordnete Sanae Abdi
„Natürlich finde ich das nicht gut“

10 min
Sanae Abdi

Die Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Sanae Abdi.

Die Abgeordnete Sanae Abdi (SPD) aus Köln ist Obfrau im Ausschuss für Entwicklungspolitik und wirtschaftliche Zusammenarbeit des Bundestages. Im Interview mit der Rundschau äußert sie sich zu aktuellen politischen Weichenstellungen.

Sie sind gerade erst in den Bundestag wiedergewählt worden, Ihre Partei ist jetzt in Regierungsverantwortung. Macht es Ihnen denn Spaß in einer Koalition mit der Union?

Es sind jetzt gerade mal gut 70 Tage. Normalerweise schaut man nach den ersten 100 Tagen, wie sich eine Koalition bewährt. Von daher bin ich immer noch sehr zuversichtlich. Es ist natürlich immer schwierig, wenn Parteien zusammen regieren, die so unterschiedlich sind. Das ist eine Herausforderung, das haben wir schon beim Aushandeln des Koalitionsvertrags gemerkt. Aber gleichzeitig ist es die einzige nach dieser Bundestagswahl bestehende demokratische Mehrheit der Mitte. Ich finde, die Verantwortung wiegt dann mehr als Parteiinteressen, da muss man sich zusammenraufen. Das erwarte ich von uns. Das erwarte ich aber auch vom Koalitionspartner.

Es gibt im Moment viele wichtige Fragen bis hin zu Krieg und Frieden. Aber es gibt auch die Wahl von Bundesverfassungsrichtern, die seit Tagen die Schlagzeilen beherrscht?

Alles zum Thema Bundeswehr

Das ist auch ein wichtiges Thema und keine Lappalie. Es geht um die Besetzung des höchsten Gerichts unseres Landes. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Rechtsprechung auf Grundlage unserer Verfassung. Ich finde es schade, dass es gerade bei so einer wichtigen Wahl so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.

Glauben Sie denn, dass die schwarz-rote Koalition bei diesem Thema die Kurve noch kriegt?

Ja.

Auch mit Frau Brosius-Gersdorf als Kandidatin?

Absolut. Das wurde schließlich seit Wochen durchdacht und vorbereitet. Da erwarte ich von Spitzen einer Fraktion, dass sie sich das schon gut überlegt haben und sich dann nicht von äußeren Einflüssen so manipulieren lassen, dass alles über den Haufen geworfen wird. Wir sollten damit aufhören, auf einzelne Leute einzuhauen. Sie ist immerhin Mitherausgeberin unseres Grundgesetz-Kommentars. Von daher glaube ich schon, dass wir in ihre juristischen Fähigkeiten Zutrauen haben und den Vorschlag, wie er von Anfang an herausgearbeitet und von der Mehrheit des Richter-Wahlausschusses angenommen wurde, so beschließen sollten.

Nach der Tageszeitungs-Umfrage NRW-Check sieht es für Ihre Partei, die SPD, derzeit nicht gut aus?

Das stimmt, da schneiden wir gerade nicht so gut ab. Auch wenn man den bundesweiten Umfragewerten Glauben schenken kann, ist das für uns alles andere als zufriedenstellend. Im Gegenteil. Trotzdem glaube ich, dass wir noch viel vor uns haben. Wir sind ja gerade auch erst in diese Koalition gestartet. Politische Verantwortung zu übernehmen ist eine ziemlich ernste Angelegenheit, und wir sind halt leider auch in sehr ernsten Zeiten. Deswegen können wir uns damit gerade vielleicht nicht rühmen. Auf der anderen Seite haben wir in diesen Koalitionsvertrag auch gute Sachen hineinverhandelt, die einen langfristigen Effekt haben. Jetzt gilt es eben, diesen langfristigen Effekt greifbar für die Menschen zu machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir dann auch wieder bessere Ergebnisse einfahren. Und ich blicke auch beim NRW Check auf Köln bezogen sehr positiv auf die Kommunalwahl. Da bewegen wir uns ganz gut im Mittelfeld mit, und es sind noch alle Chancen nach oben offen.

Parteien am politischen Rand scheinen aber im Aufwind zu sein?

Dass Menschen bei Parteien am politischen Rand Antworten suchen, hängt zum einen damit zusammen, dass wir als klassische Volksparteien oder Parteien der Mitte nicht mehr das notwendige Vertrauen vermitteln können. Das ist ein großes Problem. Wir müssen ganz dringend und drastisch daran arbeiten, das zurückzugewinnen. Zum anderen scheinen Bürgerinnen und Bürger auf einfache Antworten eher zu hören. Einfache Antworten auf die Fragen unserer Zeit können aber nie richtig sein, weil sie zu verkürzt sind und am Ende nicht umfassend alles im Blick haben.

Sie sind Obfrau für Entwicklungspolitik in der SPD-Bundestagfraktion. Bundesministerin Reem Alabali Radovan, die Ihrer Partei angehört, hat gesagt, Entwicklungshilfe müsse gezielter, effizienter und innovativer sein. Das hört sich sehr plakativ und verkürzt an. Was erwartet uns da?

Wir waren uns in den Koalitionsverhandlungen einig, dass es eine Reform der deutschen Entwicklungszusammenarbeit braucht. Wir wissen, dass sich Donald Trump mit USAID aus der Entwicklungsfinanzierung in vielen Bereichen rausgezogen hat. Erste Studien sagen, dass das zur Folge haben wird, dass 14 Millionen zusätzliche Tote zu erwarten sind. Das sind wirklich dramatische Folgen, die Menschen auch zur Flucht bewegen werden. Das darf jetzt nicht dazu führen, dass wir uns jetzt auch noch weiter zurückziehen, sondern ich glaube, dass es dazu führen muss, dass wir, wie die Ministerin sagt, eben gezielter Entwicklungszusammenarbeit machen müssen.

Was heißt das konkret?

Wir können nicht mehr viele Sachen gleichzeitig machen, sondern müssen uns konzentrieren auf bestimmte Bereiche, die jetzt besonders notwendig sind und dort helfen, wo es am dringendsten gebraucht wird – aber auch, wo es in unserem Interesse ist. Das muss beides miteinander zusammengehen. Wo Trump sich herauszieht, verliert er auch den Zugang zu Rohstoffen. China und Russland springen sehr schnell in diese Lücken. Dagegen kann nur helfen, langfristige Partnerschaften aufzubauen. Darin waren wir als Deutsche immer sehr gut. Wir sind sehr hoch angesehen im globalen Süden, und ich glaube, dass wir an diese Partnerschaften anknüpfen müssen. Denn da, wo Menschen flüchten, trifft es uns als Europäer besonders schnell, und wir müssen dann mit den Konsequenzen klarkommen. Da sind wir gefragt, unsere Verantwortung in der Welt auch wahrzunehmen.

Böse zugespitzt könnte man jetzt sagen, wer keine Rohstoffe hat, hat Pech gehabt?

Das ist tatsächlich überspitzt, aber es ist nicht ganz falsch. Ich glaube aber, dass beides zusammengehen kann.

Trotzdem wird der Etat für Entwicklungspolitik gekürzt?

Ja, er wird am meisten von allen anderen Etats gekürzt. Das halte ich auch für absolut falsch. Und ich hoffe, dass wir dem im Rahmen der Verhandlungen jetzt entgegenwirken können. Ich glaube auch, dass wir einen Hebel dafür haben, das zu tun. Wir haben in der Koalition die Formulierung von völkerrechtswidrig angegriffenen Staaten vereinbart. Das bewerten wir derzeit nur für militärische Maßnahmen. Ich finde aber auch, dass wir die zivilen Maßnahmen mit einbeziehen müssen, beispielsweise bei der Ukraine. Wir müssen die Ukraine dabei unterstützen, ihre Stromtrassen wieder aufzubauen. Solche zivilen Komponenten müssen wir mitdenken, sonst bringen leider die Waffen zur Verteidigung nichts, weil dafür auch Strom gebraucht wird. Aber klar, die Einschnitte werden auch zur Folge haben, dass wir uns aus gewissen Ländern herausnehmen, dass die Ärmsten der Ärmsten darunter leiden.

Das kann Ihnen als Entwicklungspolitikerin nicht gefallen?

Natürlich finde ich das nicht gut und würde mir das anders wünschen. Aber das sind leider die Entwicklungen, die wir derzeit haben: Es ist dieser Legitimationsdruck, den man mit der Entwicklungspolitik immer wieder vor sich hat. Wir müssen mehr denn je dieses Narrativ erklären, warum man das Geld nicht hier vor Ort ausgibt, sondern woanders. Ich kann das erklären und mache das leidenschaftlich. Wir haben als SPD in den Koalitionsverhandlungen vor allem darum gekämpft, dass es das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter gibt, also dass es diesen Politikbereich überhaupt eigenständig weiter geben kann. Das war ein großer Kampf, und wir mussten, wie das in jedem Koalitionsvertrag ist, dafür Kompromisse eingehen und Abstriche machen bei der Finanzierung. Wir werden das jetzt so machen. Das werden wir nicht sofort merken. Aber in ein paar Jahren werden wir das merken und bitter bereuen.

Wie werden wir das mittelfristig merken?

Es werden sich mehr Menschen auf die Flucht begeben. Und wir werden merken, dass möglicherweise neue Epidemien ausbrechen. Wir sehen gerade, dass auf dem afrikanischen Kontinent Aids wieder im Anmarsch ist. Eine Krankheit, von der wir dachten, sie wäre überwunden.

Sie haben an anderer Stelle die Steigerung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung kritisiert, weil das Geld an anderer Stelle fehlen werde?

Genau. Wir müssen die Bundeswehr gut ausstatten, damit sie zur Landesverteidigung fähig ist. Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sind aktuell aber 220 Milliarden Euro, die tatsächlich dann woanders nicht ausgegeben werden können. Es wäre falsch, das gegeneinander auszuspielen. Zum Glück - und das war einer der größten Erfolge in diesen Koalitionsverhandlungen – haben wir das Sondervermögen für Infrastruktur. Ansonsten wäre genau das passiert, was ich befürchte: Dass das Geld woanders gekürzt werden müsse. Das war ja quasi der Grund für den Bruch der Ampelkoalition. Es muss wirklich gleichzeitig auch in Brücken, Straßen und Schulen investiert werden. Ich würde mir wünschen, dass das Geld noch mehr in den Kommunen ankommt, weil das auch eine vertrauensbildende Maßnahme ist. Wenn wir über Vertrauen in Politik sprechen, geht das nicht durch eine Richterwahl verloren, sondern weil das einzige Schwimmbad in einer Stadt schließt oder Spielplätze nicht benutzt werden können. Oder dass wir ständig im Stau stehen, dass die Bahnen nicht fahren - das sind wirklich die Alltagsprobleme, die dafür sorgen, dass Menschen kein Vertrauen haben, dass der Staat funktioniert.

Das Rheinland profitiert aber auch von den Investitionen in die Verteidigung. Jüngst wurde mit der Continuing Airworthiness Management Organisation der Bundeswehr eine neue Dienststelle für Köln angekündigt?

Dafür habe ich mich immer eingesetzt. Auch beim Thema Flugbereitschaft bestand bei den betroffenen Familien, von denen jemand bei der Bundeswehr beschäftigt ist, lange Zeit eine Ungewissheit darüber, wie es jetzt weitergeht. Wir haben immer gesagt, es muss einen Sozialplan geben, wenn die Flugbereitschaft nach Berlin wechselt. Und es muss neue Investitionen hier vor Ort geben, sodass ein Wechsel in einen anderen Bereich möglich ist und Umzüge vermieden werden.

Sie gehen also davon aus, dass weitere Institutionen der Bundeswehr in den Kölner Raum kommen werden?

Ich glaube, dass der Standort hier in den nächsten Jahren auch weiterhin gestärkt wird. Dafür setzen wir uns parteiübergreifend als regionale Abgeordnete ein. Für die Region ist es auch wichtig, dass das Bundesministerium für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn bleibt. Dafür haben wir in den Koalitionsverhandlungen gekämpft. Es ist eines der letzten Ministerien, die ihren Hauptsitz in Bonn haben. Zugleich sind daran rund 150 Organisationen zwischen Köln und Bonn aus der Entwicklungszusammenarbeit angegliedert. Das sind sehr große Arbeitgeber. Wir stehen als Sozialdemokraten an jedem Werkstor bei Ford, was natürlich wichtig ist. Aber genauso wichtig sind auch die Institutionen, die quasi aufgrund sozialdemokratischer Politik irgendwann gegründet wurden und für die wir uns genauso einsetzen. Ich bin absolut überzeugt davon, dass wir das Rheinland als Standort sowohl für die Bundeswehr als auch für Ministerien weiter stärken müssen.

Wie sieht es aber mit dem Sozialbereich aus, der der SPD traditionell eigentlich besonders am Herzen liegt?

Ich glaube schon, dass wir im Großen und Ganzen einen funktionierenden Sozialstaat haben, vielleicht sogar den besten, den es weltweit gibt. Aber auch der ist nicht perfekt. Da muss manches reformiert werden. Bei Rente gibt es zum Beispiel noch keine klare Antwort. Die habe ich auch nicht. Wir arbeiten aber daran, eine Lösung zu finden, die die Rente auf ihrem jetzigen Niveau stabilisiert. Das ist auch eine Sicherheitsfrage, die die Menschen beantwortet wissen wollen. Was Restriktionen beispielsweise beim Bürgergeld angeht, wie sie Friedrich Merz ins Gespräch gebracht hat: Davon bin ich kein Fan.

Das erinnert an ein Trauma mancher in der SPD: Kommt nach Hartz IV jetzt Klingbeil I?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, Lars Klingbeil sieht das genauso wie ich. Und auch unser Fraktionsvorsitzender Matthias Miersch hat klar gesagt, dass es das mit uns nicht geben wird. In einer Stadt wie Köln geht es meist auch nicht um Menschen, die Bürgergeld bekommen, weil sie nichts machen, sondern die arbeiten und bekommen dafür so wenig, dass sie auf Zuzahlungen zu ihrer Miete angewiesen sind: Auch, weil in Köln die Mietpreise so hoch sind. Sonst sorgt das dafür, dass die Menschen, die wir in der Stadt brauchen, weil sie hier für uns arbeiten, nach außen gedrängt werden und ins Umland ziehen müssen, weil sie sich eben die Wohnung hier gar nicht mehr leisten können. Wir müssen ins Bauen investieren!