Auf 39 Prozent in der Sonntagsfrage ist die AfD jüngst in Sachsen-Anhalt gekommen. Gerhard Feige, katholischer Bischof der Landeshauptstadt Magdeburg, über die Hintergründe und die Auseinandersetzung mit der Rechtsaußen-Partei.
Magdeburger Bischof Feige„AfD versucht Positionen christlich zu verbrämen“

Gerhard Feige, Jahrgang 1951, ist seit 2005 Bischof von Magdeburg. Zudem leitet er die Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz.
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Herr Bischof, deutschlandweit kommt die AfD auf Umfragewerte um die 25 Prozent, in Sachsen-Anhalt waren es zuletzt 39 und in anderen östlichen Bundesländern ähnlich viel. Woran liegt das?
Zunächst gibt es historisch bedingt gewisse Prägungen durch die autoritäre und kollektivistische DDR-Diktatur, die das ganze Leben geregelt hat. Das führt zu übersteigerten Erwartungen an den Staat, die er gar nicht erfüllen kann. Zwar wollten fast alle ein besseres Leben, aber nicht unbedingt eine freiheitliche Demokratie, denn Selbstgestaltung ist mühevoll und anstrengend. Das ist die Vorgeschichte. Dann kam die Wende: dramatische Transformationserfahrungen und die andauernde Ungleichheit in vielen Bereichen. Der Soziologe Gert Pickel meint, dass es dabei nicht unbedingt um die eigene ökonomische Lage geht, sondern um das Gefühl einer kollektiven Benachteiligung Ostdeutschlands. Motto: Mir geht es eigentlich gut, aber uns geht es schlecht. Dazu kommen weitere Gründe: Finanzkrise, Corona, der Ukraine-Krieg, Migration …
Aber in den östlichen Bundesländern leben doch nur wenige Migranten!
Es war für ehemalige DDR-Bürger aber ungewohnt, überhaupt mit Ausländern zu tun zu haben, außer bei Urlaubsreisen in osteuropäische Staaten. Man hat gewaltige Verwerfungen hinter sich und deshalb Angst vor neuen. Viele Leute gehen von einem allgemeinen Versagen der Politik aus, kritisieren Parteiengezeter – und dann müssen Sie an die Verrohung der Gesellschaft durch Propagandakampagnen und soziale Medien denken. Unsagbares wird auf einmal sagbar. Dazu kommt Geschichtsvergessenheit. Es ist aber auch ein internationaler Trend. Da bildet sich eine Sammlungsbewegung rechtskonservativer und nationalistischer, extremistischer und rassistischer Gruppierungen. Vorher traten diese Gruppen vereinzelt auf, jetzt vernetzt sich alles. Zusammenfassend: Es gibt spezifisch ostdeutsche Gründe, aber auch solche, die überall gelten. Deshalb haben mich auch diese Landkarten nach der Bundestagswahl geärgert, die mit dem blauen Osten und dem schwarzen Westen. 70 Prozent der AfD-Wähler kamen aus dem Westen. Abgesehen von Co-Chef Tino Chrupalla haben die meisten führenden AfD-Politiker eine westdeutsche Sozialisation, auch ostdeutsche Landespolitiker wie Björn Höcke und Hans-Thomas Tillschneider.
Über 80 Prozent der Bevölkerung in den östlichen Ländern gehören keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft an. Da dürften christliche Haltungen, Prinzipien und Werte keine so entscheidende Rolle spielen.
Hat der höhere Zustrom zur AfD im Osten etwas mit der geringeren Kirchenbindung zu tun?
Über 80 Prozent der Bevölkerung in den östlichen Ländern gehören keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft an. Da dürften christliche Haltungen, Prinzipien und Werte keine so entscheidende Rolle spielen. Es gibt sicher einen gewissen Grundanstand, aber solche typisch christlichen Tugenden wie Barmherzigkeit und Nächstenliebe werden immer weniger verstanden.
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Andererseits ergab die Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen zur Bundestagswahl, dass auch 18 Prozent der katholischen Wählerinnen und Wähler für die AfD gestimmt haben. Die AfD gibt sich in der Abtreibungsfrage als Verteidigerin christlicher Werte. Wie begegnen Sie dem?
Ich kann die statistischen Angaben nur zur Kenntnis nehmen. Gewiss gibt es auch unter Christen AfD-Wähler, aber ich kann das aus meinen eigenen Erfahrungen nicht so generell bestätigen. Der Versuch der AfD, ihre Positionen christlich zu verbrämen, ist heuchlerisch. Die gleiche Beatrix von Storch, die immer wieder beim Marsch für das Leben gegen Abtreibung in vorderster Linie mitläuft, hat 2015 gefordert, gegebenenfalls auf Flüchtlinge zu schießen. Für mich ist Lebensschutz unteilbar, von der Empfängnis bis zum Tod, also auch für die große Spanne dazwischen. Süffisant hält die AfD den Kirchen vor, nicht leidenschaftlich genug gegen Abtreibung einzutreten. Ihr geht es aber nicht um die gottgegebene Würde eines jeden Menschen von Anfang an, was ja auch für Flüchtlinge gelten würde, sondern um eine vermeintlich nötige Regeneration des deutschen Volkes. Abgesehen davon wird die AfD mit dem Thema Abtreibung im Osten kaum offensiv in Wahlkämpfe ziehen, denn Abtreibung wird hier seit DDR-Zeiten als moderne Errungenschaft und selbstverständliches Recht angesehen. Mit dem Thema würde die AfD hier ihr blaues Wunder erleben.
Es gibt allerdings, das hat das Potsdamer Treffen gezeigt, eine gewisse Szene traditionalistischer Katholiken, die auch politisch rechtsaußen stehen. Begegnen Sie solchen Leuten?
In unseren Breiten kann ich es nur von einigen, zumeist westlicher Herkunft, vermuten. Manche sind inzwischen auch aus der Kirche ausgetreten. Gelegentlich habe ich aus diesen Kreisen mal Post bekommen. Aber sonst bin ich mir keiner Berührungspunkte bewusst.
Wer spalten und durch Säen von Zwietracht an die Macht kommen will, wird jede Gelegenheit nutzen, um seine Demagogie auszubreiten.
Wie sprechen Sie mit solchen Leuten? Würden Sie sich mit ihnen auf ein Podium setzen?
In der Anfangszeit dieser Partei war es noch möglich, Kontakte wahrzunehmen. So hatte ich einmal mit dem jetzigen AfD-Spitzenkandidaten der AfD in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, auf dessen Wunsch hin ein Gespräch. Es liegt aber schon Jahre zurück. Insgesamt haben sich solche Versuche als kontraproduktiv erwiesen. Wer spalten und durch Säen von Zwietracht an die Macht kommen will, wird jede Gelegenheit nutzen, um seine Demagogie auszubreiten. Der wird nicht auf Argumente hören.
Der schon erwähnte Herr Tillschneider hat den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, als vom Teufel geschickt bezeichnet. Erleben Sie so etwas auch?
Das hat Methode. Tillschneider hat auch mich schon angegriffen, Vertreter der katholischen Kirche als vom Bösen besessen bezeichnet und die AfD zum Drachentöter im Weltkampf zwischen den Mächten des Lebens und des Todes ausgerufen. Wörtlich, in einer Landtagsrede, die er mit den Worten schloss: Gott ist mit uns. Gott ist mit der AfD! Welchen germanischen Stammesgötzen er damit gemeint hat, ist mir unklar. Solche Auftritte sind reine Show, sie werden gemacht, um Kurzvideos davon herzustellen und zu verbreiten. Andere AfD-Politiker rufen zu Kirchenaustritten auf oder sagen, Pfaffen sollten beten und keine Politik machen. Man tritt also massiv kirchenfeindlich auf. Kirchennahe Persönlichkeiten sehe ich bei der hiesigen AfD nicht.
Wenn die direkte Auseinandersetzung kontraproduktiv ist, wie können Sie dann Ihre Argumente platzieren?
Ich erlebe, was ich aus DDR-Zeiten kenne: Viele behalten ihre Meinung für sich. Wenn ich Gemeinden besuche, wird zumeist nicht über die AfD gesprochen, es sei denn, ich schneide das Thema an. Dann erhalte ich in der Regel Zustimmung zu meiner Sichtweise. Wer anders denkt, äußert sich eher durch eine bissige Mail an mich. Bei den Wahlen zu kirchlichen Gremien im vergangenen Jahr haben wir von den Kandidaten eine Verpflichtungserklärung verlangt, bestimmte ausgrenzende Meinungen nicht zu vertreten. Einige haben deswegen auf ihre Kandidatur verzichtet. Das heißt aber nicht, dass sie für die AfD waren. Manche wollten nur nicht so etwas wie eine Überprüfung ihrer Gesinnung.
Ich komme aus Köln, und bei uns gab es lange die Überzeugung, dass die AfD hier keine großen Chancen habe. Dann kamen bei der NRW-Kommunalwahl landesweit 14,5 Prozent heraus, in Köln immerhin 9,1 Prozent. Rollt da etwas auf den Westen zu?
Zunächst mal denke ich an Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wo im nächsten Jahr im September Landtagswahlen sind. Das ist der nächste große Test. Aber auch bundesweit sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass unsere Demokratie stabil und sicher und die AfD nur ein Ost-Phänomen sei. Politik und Zivilgesellschaft müssen sich noch wirksamer den ungelösten Problemen stellen, Aufklärungsarbeit leisten und zu einem menschenfreundlichen Miteinander beitragen.
Wir sprachen vorhin über die geringe Kirchenbindung im Osten. Sind ostdeutsche Bistümer und Landeskirchen Modellstationen dafür, was in 30 Jahren auf die Kirchen in ganz Deutschland zukommt?
Religionssoziologen erwarten, dass bestimmte Entwicklungen weitergehen, auch im Ausland, selbst in Polen oder den USA: Säkularisierung, Pluralisierung, Individualisierung, Globalisierung und Digitalisierung. Sie führen zur Entfremdung von bisherigen religiösen Überzeugungen und Praktiken. Das wird sich regional bedingt unterschiedlich auswirken, aber ja, es wird auch in ehemals volkskirchlich geprägten Gebieten gewaltige Abbrüche geben. Was wir konstruktiv einbringen können, sind Erfahrungen, wie man als Kirche auch mit äußerst geringen personellen und finanziellen Möglichkeiten schöpferisch und lebendig sein kann. Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob Menschen tatsächlich glauben und sich ihrer Sendung nicht nur für innerkirchliche Gruppen, sondern auch oder sogar noch mehr für die Gesellschaft und Welt, in der sie leben, bewusst sind: Wofür sind wir als Kirche eigentlich da? Wie können wir in die Gesellschaft hineinwirken und mit Partnern zusammenarbeiten? Im Vorfeld der Landtagswahlen wollen wir versuchen, zum Verständnis von Demokratie beizutragen und für mitmenschliche Haltungen einzutreten. Wir ziehen also bewusst nicht gegen die AfD ins Feld, sondern setzen uns für ein würdevolles Miteinander und fürs Gemeinwohl ein.