Ein Schattenmann drängt ans LichtWie sich NRW-Europaminister Nathanael Liminski neu erfindet

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29.03.2023, Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf: Hendrik Wüst (CDU, r), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Nathanael Liminski (CDU), Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien, sitzen im Plenum des Landtags. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nathanael Liminski (l.) im NRW-Landtag mit Ministerpräsident Hendrik Wüst.

Früher galt er als stiller Maschinist der Macht in der NRW-Regierungszentrale.  Jetzt ist Nathanael Liminski nicht nur Staatskanzleichef, sondern auch Europaminister.

Ein Kulissenwechsel kann tückisch sein. „Nicht vor dem Greenscreen!“, warnt Aleksander Szlachetko den Besucher aus Düsseldorf. Szlachetko ist Direktor des polnischen E-Sports-Unternehmens ESL Gaming und hat gerade eine halbe Stunde lang den nordrhein-westfälischen Europaminister Nathanael Liminski durch seine futuristischen Studios am Rande von Kattowitz geführt. Jetzt will der CDU-Mann noch ein Foto vor einer Wand aus grünen Stoffbahnen machen.

Der Hintergrund dient normalerweise als digitale Projektionsfläche für Videoproduktionen. Ein   „Greenscreen“ lässt sich mit moderner Technik in jede beliebige Szenerie verwandeln. Wenn sich Liminski hier ablichten lässt, kann er später im Netz leicht zum Opfer von Fake-Fotos werden. Doch das Risiko, plötzlich in eine andere Welt gebeamt zu werden, schreckt ihn offenbar nicht. Liminski ist gerade ohnehin dabei, sich neu zu erfinden.

Mehr Einfluss als Liminski hat in Düsseldorf niemand

Der immer noch erst 37-Jährige galt lange als Wunderkind der deutschen Politik. Einser-Abitur, Historiker mit Studium an der Pariser Sorbonne, junger Redenschreiber beim früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, gefördert vom Langzeit-Minister Thomas de Maiziere, thesenstarker Chefredakteur der Mitgliederzeitung der Jungen Union. Seit 2014 war Liminski Chefstratege und Intimus von Ex-Ministerpräsident Armin Laschet.

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„Momo“, wie er seit Kindertagen gerufen wird, wirkte jedoch stets im Verborgenen. Als Staatssekretär war er ein Maschinist der Macht, der so gut wie nie Interviews gab und die Landesregierung mit stiller Arbeitswut von hinten führte. Das ist vorbei. Nach der Landtagswahl im vergangenen Mai wurde Liminski vom neuen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) zum Minister für Europa, Medien und Bundesangelegenheiten berufen und blieb zugleich Chef der Staatskanzlei. Mehr Einfluss hat in Düsseldorf niemand. Seither ist die Politikerwerdung eines Ministerialbeamten zu beobachten, von der man nicht so richtig weiß, wo sie enden wird. Klar ist nur: Der Schattenmann drängt ans Licht.

Liminski ging auf in der Rolle als Herr der Akten

Liminski reist zu Wochenbeginn für zwei Tage nach Polen und übt sich erstmals unter Medienbegleitung in einer Disziplin, die lange nicht seine war: Leutseligkeit. Anders als Ministerpräsident Wüst, der sich bei seiner ersten größeren Auslandsreise nach Israel 2022 im schwarzen Maybach durchs gelobte Land chauffieren ließ, zwängt sich Liminski demonstrativ in den Delegationsbus, lässt sich bis zwei Uhr nachts von Journalisten befragen und fliegt Holzklasse. Er trägt seinen Koffer selbst und navigiert sich souverän mit ordentlichem Englisch durchs Programm. Wenn seine persönliche Referentin ihn vor einem Termin auf das orthodoxe Osterfest hinweist, flüstert er:  „Ich weiß, ich habe die Vorbereitung gelesen.“

Liminski war nie eine öffentliche Figur und musste sich keiner Abstimmung stellen. Er ging auf in der Rolle als Herr der Akten und Chef des Apparats. Erst bei der Landtagswahl unternahm Liminski erste politische Gehversuche: Die Vorauswahl um einen freien und „sicheren“ Wahlkreis seiner Heimatregion in Sankt Augustin verlor gegen einen Lokalmatador von der Freiwilligen Feuerwehr.

Plant er bereits für die Zeit, wenn es Wüst doch in den Bund ziehen könnte?

Bei der daraufhin eilig eingefädelten Kandidatur im hippen Köln-Ehrenfeld sah er gegen Grüne und SPD kein Land. Trotzdem stieg er hinterher in der Partei zum Chef des wichtigen CDU-Bezirks Mittelrhein auf. Mit den beiden versierten Staatssekretären Bernd Schulte und Mark Speich und dem neuen Pressechef Axel Bäumer wirkt das „Team Liminski“  als eigenes Kraftzentrum im Kabinett Wüst. Plant da einer bereits für die Zeit, wenn es den Ministerpräsidenten dereinst doch in den Bund ziehen könnte?

Liminski wirkte zwar immer schon eher wie die Version Klassenbester, der die Tischnachbarn abschreiben lässt. Unheimlich blieb er vielen dennoch. Er wuchs mit neun Geschwistern in der Familie des verstorbenen konservativen Publizisten Jürgen Liminski auf, für den er schon im Kindesalter als eine Art Privatsekretär fungierte. Der Vater war Mitglied im erzkatholischen Bund „Opus Dei“.

SPD-Spot diffamierte Liminski als „erzkatholischen Laschet-Vertrauten“

Liminski Junior tingelte 2005 als Mitbegründer der papsttreuen „Generation Benedikt“ durch die Talkshows und stritt für die katholische Sexualmoral. Ein SPD-Spot diffamierte ihn deshalb im Bundestagswahlkampf 2021 als „erzkatholischen Laschet-Vertrauten“, der gegen Sex vor der Ehe sei. Obwohl zu diesem Zeitpunkt längst bekannt war, dass Liminski das erste seiner inzwischen vier Kinder vor der Hochzeit gezeugt hat. Auch eine abschätzige Äußerung zu Homosexuellen hängt ihm bis heute nach.

Als Minister versucht  Liminski  nun, all diese Bilder mit neuen zu überschreiben. Er lässt sich auf Schritt und Tritt von einem Fotografen begleiten und veröffentlicht scheinbar zufällige Szenen in den sozialen Medien. Kostümiert beim Karneval, vor Regenbogenfahne, im Bundesrat,  im Vatikan. In Polen spürt man zuweilen, dass er die Menschenfischerei noch übt. Als Liminski ukrainische Flüchtlingsmädchen in einer UNICEF-Einrichtung in Kattowitz besucht, sagt er: „Ich bin sehr glücklich, Kinder hier zu sehen, weil ich meine eigenen Kinder gerade nicht sehen kann.“

In der Konservierungswerkstatt der KZ-Gedenkstätte Auschwitz entfährt ihm vor jungen Männern, die am Labortisch vorsichtig 80 Jahre alte Emaillebecher der Ermordeten reinigen: „Ich war selber mal Modellbauer in meiner Jugend.“ Dass Liminski der interessanteste Perspektivspieler der NRW-CDU neben Wüst ist, steht gleichwohl außer Frage. Er ruft in Auschwitz vor einer Schulklasse aus dem Münsterland in Erinnerung, was man leicht vergisst: „Ich sehe etwas älter aus, als ich bin.“

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