Parteitag der NRW-CDUMerz und Wüst - was sie eint, und was sie trennt

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Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unions-Fraktionsvorsitzender, Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Paul Ziemiak beim Landesparteitag der CDU Nordrhein-Westfalen in Hürth.

Friedrich Merz, CDU-Bundesvorsitzender und Unions-Fraktionsvorsitzender, Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Paul Ziemiak beim Landesparteitag der CDU Nordrhein-Westfalen in Hürth.

Die K-Fragen-Rivalen Merz und Wüst bemühten sich beim Parteitag in Hürth um Geschlossenheit – doch Unterschiede in der Kampfführung sind unübersehbar.

Der Einstieg in die Tagesordnung des Landesparteitags der NRW-CDU in Hürth ist am Samstagmorgen noch gar nicht geschafft, da spricht Friedrich Merz am Ende seiner als „Grußwort“ getarnten Grundsatzrede bereits das Unaussprechliche an.

„Wir sind ja im Juni eine kleine Kurve gefahren“, sagt der Bundesparteichef und blickt zu Hendrik Wüst hinab. Der Ministerpräsident und nordrhein-westfälische Landesvorsitzende sitzt in der ersten Reihe des „Euronova-Campus“ und lauscht gebannt. Versöhnlich löst Merz sofort die Spannung: „Das haben wir besprochen, das Thema ist erledigt.“

Merz hält eine kantige Grundsatzrede und arbeitet sich an den Grünen ab

Die „kleine Kurve“ des Sommers war nicht weniger als Wüsts Anschlag auf die Autorität des Parteichefs und „geborenen“ Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl 2025. Wüst hatte sich damals in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ vom allzu konservativen Kurs distanziert und stattdessen den „Herzschlag der Mitte“ eingefordert. Zudem spielte er in einem Interview aufreizend mit eigenen Kanzlerambitionen und sagte lapidar, er sei „aktuell“ in Düsseldorf gebunden. Merz hat sich furchtbar darüber geärgert und es vor der Öffentlichkeit nicht verborgen.

Alles vergeben und vergessen. Man arbeite „eng, freundschaftlich und ohne jeden Widerspruch zusammen“, betont Merz. Eher unfreiwillig lässt sich in Hürth dennoch eine Art Systemkonkurrenz beobachten. Merz hält eine kantige Parteitagsrede, in der er sich an der Ampel-Bundesregierung im Allgemeinen und den Grünen im Besonderen abarbeitet. Dummerweise koaliert Wüst mit jenen Grünen. Deren Landeschef Tim Achtermeyer hat unter den Ehrengästen im Saal Platz genommen. Merz stört das nicht. „Ein offenes Wort an die Grünen“, schnarrt er: „Sie müssen in der Einwanderungspolitik in die Bundesrepublik Deutschland Ihren Kurs ändern.“

Wir werden nur zustimmen, wenn es eine einigermaßen sichere Gewähr dafür gibt, dass im nächsten Jahr die Zahlen deutlich nach unten gegangen sind.
Friedrich Merz über den „Deutschlandpakt“

Die Union werde im Bundestag auf „Deutschlandpakt“-Avancen von SPD-Kanzler Olaf Scholz bei der Begrenzung der Zuwanderung nicht ohne Weiteres eingehen: „Wir werden nur zustimmen, wenn es eine einigermaßen sichere Gewähr dafür gibt, dass im nächsten Jahr die Zahlen deutlich nach unten gegangen sind.“ Dass Merz gleich bei der SPD in einer Großen Krisen-Koalition unterschlüpfen könnte, dementiert er eher halbherzig: „Wir sprechen nicht über irgendwelche Koalitionen.“

Klar wird aber, dass er die Grünen weiterhin als „Hauptgegner“ in der Bundesregierung ausmacht und sich um Wüsts Befindlichkeiten in NRW wenig schert. Robert Habeck nennt er „Klimaminister, im Nebenberuf Wirtschaftsminister“. Eindringlich warnt Merz: „Wenn die Bundesregierung weiter macht mit ihrer Klimapolitik, mit ihrer Energiepolitik, mit ihrer Wirtschaftspolitik, dann stehen wir in diesem Land vor den größten Wohlstandsverlusten, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten.“

Wüst unterlässt alles Offensichtliche, was K-Debatte befeuern könnte

Dieser Ton hat in der NRW-CDU inzwischen Seltenheitswert – findet aber gemessen am Applaus weiterhin einen Resonanzboden in der Landespartei. Merz holt sich den Saal mit jeder Redeminute ein wenig mehr. Ohnehin wirkt der Parteichef im Vergleich zum Sommer seines Missvergnügens deutlich stabilisiert. Man habe eine „gute Bilanz“, liege in Umfragen erstmals wieder über 30 Prozent und könne auf vier gewonnene Landtagswahlen zurückblieben, sagt Merz selbstbewusst. Das schwierige Jahr 2024 mit Wahlen in Europa und drei ostdeutschen Bundesländern ist erst einmal weit weg. Die Ministerpräsidenten-Konferenz, in der Wüst den Ton angibt, nennt er „informelle Ebene“. Es wird klar: Hier spricht der Boss.

Wüst wäre aber nicht Wüst, wenn er nicht diszipliniert bei seinem Stil bleiben würde. Er unterlässt in Hürth alles Offensichtliche, was die Kanzlerkandidaten-Debatte befeuern könnten. Höflich holt er immer wieder Merz aufs Foto. Eher unterschwellig vermittelt sich dennoch, dass Wüst die CDU weniger konfrontativ positionieren will, mehr mittig und anschlussfähiger als der Parteivorsitzende.

„Das sind alles unserer Kinder“: Wüst adressiert Flüchtlingskrise

Es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis Wüst in seiner knapp 50-minütigen Parteitagsrede erstmals auf das Thema kommt, das er später als das „zentrale des Herbstes“ bezeichnen wird: die Migration. Er lobt Sozialminister Karl-Josef Laumann, der vor einigen Wochen „glasklar, mit Empathie, mit dem Herzschlag der Mitte“ über Flüchtlinge gesprochen habe. Wüst sagt „sogenannte Flüchtlingskrise“ und wirbt dafür, alle Kinder ohne Ansehen der Herkunft ihrer Eltern oder ihrer Hautfarbe anzunehmen: „Das sind alles unserer Kinder.“ Man solle stolz sein, Humanität zu zeigen wie „kein anderes Land auf der Welt“. Die AfD nennt Wüst erneut „Nazi-Partei“. Den Grünen versichert er kumpelig: „Ihr seid immer noch die Grünen und wir sind immer noch die Schwatten.“ Ansonsten liefert Wüst im Ton eines Rechenschaftsberichts allerlei bekannte Formeln, die kundige Beobachter schon mitsprechen können. Das Gemurmel im Saal wächst proportional zur Länge seiner Rede.

Am Ende steht trotzdem die Wiederwahl als CDU-Landeschef mit starken 96,7 Prozent. Nur 2021 vor der Landtagswahl war es noch leicht besser. Auch Wüsts neuer Generalsekretär Paul Ziemiak, der mit Headset über die Bühne tänzelt wie bei einer Motivationsveranstaltung für Vertriebler, erhält sehr passable 87,4 Prozent.

Die Partei wirkt zufrieden, der Ton des Parteitags ohnehin von Beginn an mit einer einstündigen Solidaritätsadresse an Israel gesetzt. „Nie wieder ist jetzt – ohne Wenn und Aber“, sagt Wüst und bereitet dem israelischen Botschafter Ron Prosor die Bühne. Der hält eine flammende Rede gegen jede Form von Täter-Opfer-Umkehr im Nahost-Konflikt. Die Debatte drehe sich gerade, warnt Prosor. „Wir werden trotzdem stehen“, versichert Wüst und überreicht ein Foto vom historischen Händedruck von Ben Gurion und Konrad Adenauer 1960 in New York. Weltpolitik in Hürth.


Neuer Vorstand

Als Wüsts Stellvertreter in den Landesvorstand wurden gewählt: Jan Heinisch (87,9 Prozent), Ina Scharrenbach (85,2), Daniel Sieveke (76), Sabine Verheyen (74,9) und Elisabeth Winkelmeier-Becker (63,9). Innenminister Herbert Reul war nicht mehr angetreten.

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