Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesKommt die Atomkraft nun doch zurück?

Lesezeit 4 Minuten
Atomkraft Symbolbild

Ein Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke war für die Grünen lange undenkbar. 

  1. Der Krieg in der Ukraine rückt die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieimporten in den Fokus.
  2. Die Politik will nun Alternativen erschließen.
  3. Müssen Deutschlands letzte drei Atomkraftwerke nun länger als bis Jahresende am Netz bleiben?

Köln – Der Ukraine-Krieg hat die Debatte über die Laufzeit deutscher Atomkraftwerke wieder hochkochen lassen. Zwei der drei Betreiber sind plötzlich zu längeren Laufzeiten bereit. Für die Grünen wäre ein Atomkraft-Comeback ein dramatischer Kurswechsel. Aber der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck lässt die Option prüfen – nicht ohne Zustimmung von SPD-Kanzler Olaf Scholz.

Woher plötzlich die Debatte?

Wirtschafts- und Energieminister Habeck bestätigte am Sonntagabend, dass er die Option prüfen lasse, die drei letzten AKW länger am Netz zu lassen. Zwar gab er sich sehr skeptisch, will aber „keine Denktabus“. Dabei wird er Kanzler Scholz hinter sich wissen. Schon in der Bundestagsdebatte zuvor hatte CDU-Chef Friedrich Merz gefordert, die Atomkraft in den Blick zu nehmen, um einen Stopp russischer Gas-, Öl- und womöglich auch Steinkohlelieferungen zumindest teilweise zu kompensieren. Dass man Russlands Präsidenten Wladimir Putin für seinen brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine knallhart bestrafen will, darin sind sich Ampel und Union absolut einig. Vor einem Gas- und Öl-Embargo schreckt die Regierung nur deshalb zurück, weil sie um die Energieversorgung in Deutschland bangt.

Was sagen die drei Betreiber?

Noch am Samstag war von Eon, EnBW und RWE eine kategorische Absage gekommen. „Kein Thema“, „hat sich erledigt“, „kurzfristig gar nicht möglich“, meldeten die Konzernzentralen. Dann kam Scholz’ Regierungserklärung, und am Montag hieß es plötzlich: „Heute überschlagen sich die Ereignisse!“ Das Ergebnis: RWE bleibt beim Nein, aber Eon und EnBW sind von heute auf morgen umgeschwenkt: „Vor dem Hintergrund der kriegerischen Handlungen in Europa und der daraus resultierenden Risiken für die Versorgungssicherheit ist es nachvollziehbar, dass die aktuellen energiepolitischen Gegebenheiten auf den Prüfstand gestellt werden“, sagte ein Eon-Sprecher auf Nachfrage. Und weiter: „In dieser Ausnahmesituation sind wir als E.ON bereit, darüber zu sprechen, unter welchen technischen, organisatorischen und regulatorischen Randbedingungen eine verlängerte Nutzung des Kernkraftwerks Isar 2 möglich wäre, sofern dies seitens der Bundesregierung ausdrücklich gewünscht ist.“

Der entscheidende Satz in der EnBW-Stellungnahme: „Sofern es (wegen des Krieges) für die Versorgungssicherheit erforderlich ist, ist die EnBW selbstverständlich bereit, Maßnahmen technologieoffen zu prüfen und der Bundesregierung beratend zur Verfügung zu stehen.“

Von einem der beiden Betreibern ist zu hören, dass längere Laufzeiten wirklich möglich wären. „Sonst hätten wir unsere Anpassung nicht gemacht.“ Zwar müssten schleunigst neue Brennelemente bestellt werden, aber auch das könne klappen.

Was bringt die Verlängerung?

„Durch längere Laufzeiten könnte schon ein erheblicher Teil womöglich ausfallender Erdgaslieferungen kompensiert werden“, sagt Karen Pittel, Leiterin des ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Bremse für die Energiewende?

Kraftwerksbetreiber RWE will lieber mehr Braunkohle verfeuern als sein AKW am Netz zu lassen. Das ist fürs Klima verheerend und würde nicht ausreichen, um ein Stopp von russischen Lieferungen auszugleichen. ifo-Expertin Karen Pittel sagt: „Eine Weiternutzung von Atomstrom könnte bedeuten, dass weniger Stein- und Braunkohle verfeuert werden müssen. Auch kommen 45 Prozent der Steinkohle aus Russland und könnten ebenfalls wegbrechen.“

Bei den möglichen Laufzeitverlängerungen geht es ausschließlich um Versorgungssicherheit für eine befristeten Zeitpunkt, da sind sich Experten, Politik und Marktteilnehmer einig. Die explodierenden Stromkosten beschleunigen aber schon jetzt den Umstieg der Verbraucher auf Solardächer, Stromspeicher und Wärmepumen, daran würde sich auch durch mehr Atomstrom nichts ändern, heißt es von einem führenden Energieversorger. An mehr Tempo bei Ausbau der Erneuerbaren führt kein Weg vorbei. (tob)

Die Rechnung der Professorin: 2021 seien in Deutschland laut Gaswirtschaft 125 Terrawattstunden Erdgas für die Stromerzeugung verbraucht worden, um rund 52 Terrawatt Strom zu erzeugen. „Die verbliebenen drei Atomkraftwerke liefern ungefähr 30 Terrawattstunden Strom, also etwas mehr als die Hälfte.“ Es gibt aber auch Haken: Das Gas, dass die Industrie zur eigenen Stromproduktion nutzt, für immerhin 70 Terrawatt in 2021, kann nicht einfach durch Atomkraft ersetzt werden. Und Gaskraftwerke liefern kurzfristig Strom, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. AKW sind viel zu behäbig, um Dunkelflauten auszugleichen. Mit Atomstrom lassen sich auch keine Gasheizungen betreiben, allerdings Wärmepumpen und Elektroautos.

Wie realistisch ist die Umsetzung?

Habeck ist skeptisch, die grüne Umweltministerin Steffi Lemke ist voll dagegen. Allerdings waren auch deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine und 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr vor wenigen Tagen noch völlig unvorstellbar. Klar ist, dass es für die Weiternutzung der Atomkraft einen klaren politischen Willen und Auftrag an die Betreiber sowie einen Bundestagsbeschluss bräuchte. Die Union würde sich nicht verschließen, aber ein „Pro Atomkraft“-Schwenk der rot-gelb-grünen Ampel? „Die Regierung sollte sich unbedingt einige Wochen Zeit nehmen, um diese schwierige Frage zu beantworten“, sagt Energie-Expertin Pittel. Es gehe um nicht weniger als die Versorgungssicherheit. Und ob ausreichend Flüssiggas verfügbar sei und schnell genug nach Deutschland gebracht werden könnte, scheine auch nicht klar.