Was braucht die Ukraine, um im Verteidigungskampf gegen Russland zu bestehen? Und wie ist die Perspektive für Verhandlungen mit den Angreifern? Fragen an Oleg Makeiev, den ukrainischen Botschafter in Deutschland.
Ukrainischer BotschafterWarum betrifft Russlands Angriffskrieg auch die Deutschen, Herr Makeiev?

Lob für die deutsche Führungsrolle: Der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev.
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Herr Botschafter, bei der Ernennung von Linda Mai, der Vorsitzenden des Blau-Gelben Kreuzes, zur Honorarkonsulin ihres Landes mit Sitz in Köln haben wir große Solidarität mit der Ukraine gesehen. Andererseits haben bei der Bundestagswahl mehr als ein Drittel der Menschen für Parteien gestimmt, die eine Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland ablehnen. Viele bezweifeln, dass uns in Deutschland dieser Krieg etwas angeht. Warum geht er uns an?
Es herrscht Krieg in Europa. Und es ist keine gute Strategie für die Zukunft und es verschafft auch keine Sicherheit, darauf zu setzen, dass dieser Krieg einen selbst und seine Liebsten nicht trifft, sondern nur die Nachbarn. Und wir sind Nachbarn. 1100 Kilometer von Köln entfernt gibt es jede Nacht Luftalarm, Raketen explodieren, Menschen werden von den Russen getötet. Das ist keine große Distanz.
Wie erklären Sie sich dann, dass die Unterstützung für die Ukraine geringer wird, je weiter man in Deutschland nach Osten, also näher an das Kriegsgebiet kommt?
Diese Einschätzung kann ich widerlegen. Ich habe nach vielen, vielen Reisen quer durch Deutschland festgestellt, dass die Menschen in Cottbus und Aachen die gleichen Werte haben. Sie mögen politisch unterschiedlich denken. Aber wer könnte sagen, Krieg sei normal? Wer würde Massentötungen befürworten? Auf der menschlichen Ebene ist die Unterstützung der Ukraine gleich stark geblieben. Dass leider undemokratische Parteien mehr Unterstützung bekommen, ist eine gefährliche Tendenz – das sage ich als Europäer, als Demokrat, auch als ukrainischer Botschafter. Wir müssen mehr tun, um die Wähler solcher Parteien für europäische und demokratische Werte zurückzugewinnen.
Wolodymyr Selenskyj hat gesagt, dass er bereit ist, sich mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin zu treffen, um den Krieg zu beenden. Daran ist Russland nicht interessiert.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat gerade erneut deutlich gemacht, dass es seinem Land nicht genügen würde, Territorien zu erobern, sondern dass die sogenannten Wurzeln des Konflikts angegangen werden müssten. Russland strebt die komplette Niederwerfung der Ukraine und das Ende des Nato-Schutzes für osteuropäische Staaten an und will nicht aufhören, bis das erreicht ist. Kann Ihr Land dem standhalten?
Russland hat allen Versuchen, Frieden zu erreichen, eine Absage erteilt. Auch den Initiativen von US-Präsident Donald Trump, die von vielen Europäern unterstützt wurden und auch von meinem Präsidenten. Wolodymyr Selenskyj hat gesagt, dass er bereit ist, sich mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin zu treffen, um den Krieg zu beenden. Daran ist Russland nicht interessiert. Und die Wurzeln des Konflikts? Die liegen in Moskau. Dieses Imperium kann nicht von seiner Vergangenheit und von sowjetischen Träumen lassen und in die Zukunft schauen, wie die Europäer es machen. Das zeigt Russland jeden Tag mit jedem neuen Angriff, mit jeder neuen Drohne, die nach Westen fliegt und leider, wie wir kürzlich gesehen haben, auch Polen trifft. Das ist ein sehr gefährliches Imperium, und dieser Angriff muss gestoppt werden.
Aber wie lange kann die Ukraine standhalten? In einer Umfrage eines ukrainischen Instituts sagten 61 Prozent, solange wir nötig. 39 Prozent meinten, sie könnten den Krieg nicht auf Dauer aushalten. Schaffen Sie das Durchhalten gegen eine Diktatur?
Es ist zu schaffen, und je mehr wir von unseren Partnern unterstützt werden, desto besser geht es. Wir müssen aber das Gesamtbild ändern. Es geht nicht einfach darum, wie lange wir russische Angriffe aushalten können. Wir wollen, dass die Russen aus unserem Land verschwinden und dass russische Drohnen Kyjiw, Lwiw, Dresden und Köln nicht erreichen. Russland muss gezwungen werden, aufzuhören. Nicht mit diplomatischen Formulierungen, sondern mit konkreten Taten.
Was brauchen Sie konkret?
Wir brauchen Waffen. Auch Waffen mit hoher Reichweite.
Derzeit müssen Sie solche Waffen selbst bauen. Selbst der deutsche Taurus hätte keine entsprechende Reichweite.
Seit drei Jahren arbeitet unsere Rüstungsindustrie auf Hochtouren, 24 Stunden am Tag im Drei-Schicht-Betrieb. Wir können sehr viel produzieren, 60 Prozent unserer Kapazitäten sind noch nicht voll ausgelastet. Wir brauchen aber die Finanzierung dafür. Und ich freue mich sehr, dass die Bundesregierung in diesem Jahr schon Long-Range-Drohnen für die Ukraine bezahlt hat. Und diese Drohnen haben ihre Ziele erreicht. Ich freue mich aber auch, dass Bundeskanzler Friedrich Merz diplomatisch eine Führungsrolle übernommen hat und vor den Gesprächen in Alaska die Gruppe der europäischen Länder koordiniert hat. Russland unter Druck setzen, russisches Vermögen zur Finanzierung der Hilfen für die Ukraine benutzen, neue Sanktionspakete beschließen – das hilft dabei, russische Angriffe auf die Ukraine, aber auch auf Nato und EU unmöglich zu machen. Deshalb ist es in unserem gemeinsamen Interesse.
Als Botschafter bin ich für die neun Milliarden sehr dankbar, und viele Deutsche sagen mir: Das ist keine Spende, sondern das ist die beste Investition in unsere eigene Sicherheit, die man sich denken kann.
In Deutschland hatten wir gerade eine Diskussion über den Bundeshaushalt. Der Finanzminister hat neun Milliarden jährlich für die Ukraine zugesagt, der Verteidigungsminister hielt eigentlich deutlich mehr Geld für erforderlich. Wie wird das bei Ihnen aufgenommen?
2022, ganz am Anfang hat Deutschland 500 Millionen für die Ukraine angekündigt. Später wurden daraus 2,7 Milliarden, dann vier, dann sieben. Jetzt sind wir bei neun Milliarden, und ich höre von unseren deutschen Partnern auch: Wenn mehr gebraucht wird, finden wir Möglichkeiten. Und es gibt ja weitere Länder, die Unterstützung über den neuen Nato-Mechanismus mitfinanzieren. Als Botschafter bin ich für die neun Milliarden sehr dankbar, und viele Deutsche sagen mir: Das ist keine Spende, sondern das ist die beste Investition in unsere eigene Sicherheit, die man sich denken kann. Denken Sie an die Drohnen, die nach Polen flogen. Wie viele für Polen bestimmte Drohnen wurden vorher über die Ukraine abgefangen? Die Russen werden weiter Nato-Länder provozieren.
Hierzulande meinen aber etliche Leute, Russland würde uns in Ruhe lassen, wenn wir der Ukraine nicht helfen. Die Drohnen über Polen seien die Konsequenz unseres Verhaltens.
Das stimmt nicht. Russland versteht nur die Sprache der Stärke. Das Land verhält sich wie ein Rüpel auf dem Schulhof. Wenn man den nicht stoppt, wird es weitergehen. Moskau will die Sowjetunion restaurieren und Kolonialismus betreiben. Das passt nicht ins 21. Jahrhundert.
Vorhin haben Sie gesagt: Die Russen müssen aus unserem Land verschwinden. Ist das realistisch?
Ich hasse das Wort realistisch, wenn es darum geht, Gerechtigkeit wiederherzustellen. Ist es realistisch, sich damit zufriedenzugeben, dass 20 Prozent unseres Territoriums unter Besatzung bleiben?
Aber Präsident Selenskyj hat sich zum Einfrieren der Fronlinien bereit erklärt.
Dabei geht es um eine Feuerpause oder Waffenruhe. Du kannst nicht verhandeln, wenn auf dich geschossen wird. Allerdings hatten wir seit 2014 schon jede Menge Feuerpausen mit Russland vereinbart, die sie nie gehalten haben. Wir sind zu Gesprächen bereit, aber der Inhalt dieser Gespräche muss offen sein. Wir dürfen den Autokraten dieser Welt nicht das Signal geben: Wer ein Land angreift, bekommt ein Fünftel davon geschenkt. Das wäre das falsche Signal an den Aggressor. Der russische Machthaber Putin ist ein international gesuchter Kriegsverbrecher. Deswegen kann ich das Wort Realismus nicht mehr hören. Es geht um Gerechtigkeit und Freiheit. Das verteidigen unsere Männer und Frauen an der Frontlinie. Und unsere Zivilbevölkerung ist seit elf Jahren russischen Angriffen ausgesetzt. Das muss aufhören.
Wie wichtig ist eine Organisation wie das Blau-Gelbe Kreuz?
Solche Initiativen sind das perfekte Zeichen dafür, dass die deutsche Gesellschaft diesen Krieg ernst nimmt und nicht nur aus Solidarität hilft, sondern auch aus eigenem Interesse. Das spüre ich. Und wenn so Menschen zusammenkommen, zum Beispiel bei der Bestellung von Frau Mai zur Honorarkonsulin im Kölner Rathaus, dann sind diese Menschen so etwas wie Katalysatoren. Es geht nicht nur um Spenden, sondern um Unterstützung für demokratische Politiker, die den Ernst der Lage erkannt haben. Ich bin Botschafter und habe mich nicht in die inneren Angelegenheiten Deutschland einzumischen, aber ich bin der letzten Bundesregierung für ihre Hilfe dankbar, ich bin der aktuellen Bundesregierung dankbar und allen demokratischen Parteien, die den Widerstand gegen Russland unterstützen. Und wenn umgekehrt Russland hier Parteien unterstützt und über diese Parteien indirekt Redezeit im Bundestag bekommt, ist das eine Riesengefahr für die Demokratie in Deutschland.