Düsseldorf – Wer 16 Jahre alt ist, soll nach dem Willen der neuen NRW-Regierung auch bei Landtagswahlen mitabstimmen dürfen. So steht es im Koalitionsvertrag – ein Erfolg für die Grünen, die seit Jahren vehement für ein früheres Wahlalter einstehen. Was spricht dafür, was dagegen?
Wie ist die Ausgangslage beim Thema Mindestwahlalter?
In den meisten Bundesländern dürfen 16-Jährige auf kommunaler Ebene wählen – in NRW wurde die Chance 1998 geschaffen. Bei Landtagswahlen haben 16-Jährige in Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein ein Stimmrecht. Wer für Stadtrat oder Landtag kandidieren will (passives Wahlrecht), muss volljährig sein. Auch auf Bundesebene will die Ampel-Koalition das Wahlalter senken. Eine Kommission befasst sich damit. CDU und AfD sind dagegen.
Zahl: 55,5
55,5 Prozent der Wahlberechtigten ab 18 gaben im Mai bei der Landtagswahl ihre Stimme ab. Damit lag der Wert fast zehn Prozentpunkte niedriger als 2017 (65,2 Prozent). Befürworter des Wahlrechts ab 16 sehen darin eine Chance, die Wahlbeteiligung wieder zu erhöhen und der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken.
Wie lief die Diskussion in Nordrhein-Westfalen bislang?
In NRW ist zuletzt 2020 ein SPD-Gesetzesentwurf zum Wählen ab 16 von den damaligen Regierungsfraktionen CDU und FDP sowie von der AfD abgeschmettert worden. Eine Enquete-Kommission des Landtags sprach sich ein Jahr später dennoch dafür aus.
Wie viele Wahlberechtigte wären von einer Änderung betroffen?
Bei der diesjährigen Landtagswahl gab es knapp 13 Millionen Wahlberechtigte. Wird das Wahlalter abgesenkt, betrifft das laut Innenministerium etwa 275000 deutsche Staatsangehörige, die im Jahr 2027 – bei der nächsten Landtagswahl – 16 oder 17 Jahre alt sind.
Geschichte
Auf Bundesebene wurde das Alter für das aktive Wahlrecht zuletzt 1970 herabgesetzt – von 21 auf 18 Jahre. Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion. Die Argumente der Befürworter waren ähnlich wie heute: Die Generation sei politisch interessiert und reif genug für eine Wahlentscheidung. Bei der Bundestagswahl 1972 durften 18- bis 20-Jährige schließlich erstmals mitwählen. Das passive Wahlrecht sank erst 1975 auf 18 Jahre – gleichzeitig mit der Volljährigkeit. (EB)
Welche Folgen hätte ein früheres Wahlalter für Parteien?
Junge Menschen wählen eher links. Aus der NRW-Juniorwahl, die anlässlich der Landtagswahl in diesem Mai stattfand, ist die SPD mit über 22 Prozent als Siegerin gegangen. Die Grünen kamen auf 18 Prozent. Frank Decker, Politologe der Universität Bonn, geht dennoch nicht davon aus, dass ein niedrigeres Wahlalter spürbare politische Effekte hat: „Die Gruppe der 16- und 17-Jährigen macht zwei Prozent der Wahlberechtigten aus. Da wird es keine Kräfteverschiebung geben.“ Robert Vehrkamp, Mitglied der Bundes-Wahlrechtskommission, erwartet indes, dass das Wählen ab 16 zu einem Modernisierungsschub der Parteien führen könnte.
Das sagt der Nachwuchs der großen Parteien
Johannes Winkel, Chef der Jungen Union NRW, gibt sich eher zurückhaltend. „Dass 16-Jährige über die politische Entwicklung eines ganzen Landes mitentscheiden sollen, aber man ihnen nicht zutraut, einen Mietvertrag zu unterzeichnen, ist schräg.“ Nötig sei eine gesellschaftliche Debatte darüber, wann junge Menschen welche Rechte und Pflichten erhalten. Nur das Wahlrecht herauszugreifen, nennt JU-Chef Winkel „eine populistische Position der Grünen“.
Konstantin Achinger, Juso-Vorsitzender in NRW, begrüßt die Pläne dagegen: „Junge Menschen haben ein großes politisches Interesse, aber sie finden ihre Antworten häufig nicht bei den Parteien“, sagt er und verweist auf die Fridays-for-Future-Bewegung. Das Wahlrecht mit 16 sei gut, weil Parteien dann besser erklären müssten, wofür sie stehen. „Auch für die SPD ist das sicher kein Selbstläufer.“ Achinger geht die geplante Änderung nicht weit genug: Mittelfristig müsse man sicher auch über das passive Wahlrecht für 16-Jährige sprechen. Denn wenn dauerhaft eine ganze Wählergruppe nicht im Parlament vertreten sei, werde das Fragen aufwerfen. (stew)
Würde die Wahlbeteiligung dadurch voraussichtlich steigen?
Langfristig schon, meint Politologe Decker: Anders als viele junge Menschen über 18 Jahren seien 16- und 17-Jährige gut und gezielt über Schule und Berufsschule zu erreichen. So könnten sie auf die Ausübung ihres Wahlrechts vorbereitet werden. Studien zeigten: Wer beim ersten Mal wählt, geht auch künftig eher hin. Bernd Grzeszick sieht das anders: Der Landesverfassungsrichter verweist auf Untersuchungen aus Österreich, wo auf Bundesebene das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt worden ist. „Die Wahlbeteiligung bei jungen Menschen ist trotzdem unterdurchschnittlich geblieben und sie steigt in den nächsten Altersgruppen auch nicht deutlich an“, sagt Grzeszick. Auch gingen Kinder aus bessergestellten Haushalten eher wählen.
Sind Jugendliche mit 16 Jahren schon politisch interessiert?
Vehrkamp hält schon die Frage nach dem politischen Interesse im Zusammenhang mit dem Wahlrecht für irrelevant. „Einem 50-Jährigen, der keine Zeitung liest und nicht weiß, wie der Kanzlerkandidat heißt, würde man sein Wahlrecht auch nicht aberkennen“, sagt er. „Politische Beteiligung ist ein Menschenrecht und das Wahlrecht ist ihr Herzstück. Wer das jemandem verwehrt, braucht gute Gründe, nicht umgekehrt.“
Gibt es rechtliche Hürden für die Regierungspläne?
Tatsächlich gibt es einen Alters-Flickenteppich bei der Frage, ab wann man in Deutschland was darf: Religionsmündig ist man mit 14, volljährig mit 18, das Jugendstrafrecht gilt zum Teil bis zum 21. Lebensjahr. Als Mitglied der Bundes-Wahlrechtskommission sieht Grzeszick darin aber keinen Hinderungsgrund. „Der Gesetzgeber hat einen gewissen Spielraum, um das Wahlalter festzulegen. Es muss nicht an die Volljährigkeit gekoppelt sein“, sagt der Rechtsexperte.
Wird die Absenkung des Wahlalters kommen?
Um das Wahlalter in der Landesverfassung zu ändern, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag. Da auch SPD und FDP dafür sind, dürfte das klappen. Vehrkamp erwartet, dass davon eine bundesweite Signalwirkung ausgeht: „Wenn das Wahlalter in NRW mit den Stimmen der CDU abgesenkt wird, sollte die Union auch im Bund ihre Blockadehaltung aufgeben. Alles andere wäre nur schwer begründbar.“ Dass 16-Jährige auch den Bundestag bald mitwählen können, würde wahrscheinlicher.
Was meinen Sie? Ist die Zeit reif für ein niedrigeres Wahlalter auf Landesebene? Bitte schreiben Sie uns an Dialog@kr-redaktion.de oder Kölnische Rundschau, Leserbriefe, Postfach 102145, 50461 Köln.