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Enthüller nahm Geheimnisse mit ins Grab

Lesezeit 4 Minuten

KÖLN. Manipulationen, Absprachen und Bestechungen waren und sind ein gesellschaftliches Phänomen. Ob es nun Parteispendenaffären oder Müllskandale - wie in jüngster Vergangenheit - sind, stets geht es um geschäftliche und private Vorteilsnahmen oder Bereicherungen. Der Sport macht da keine Ausnahme.

Diesbezüglich erlebte die Fußball-Bundesliga im Mai 1971 ihre schwärzesten Stunden: Im Kampf um den Klassenerhalt wurden Spiele manipuliert, rund zwei Millionen Mark an Schmier- und Schweigegeldern gezahlt. Die Korruptionsaffäre, ein Sumpf aus Schiebung und Be- stechung, erschüttert auf Jahre den deutschen Vereinsfußball und führte zu massiven Zuschauerrückgängen.

Enthüllt wurden die Vorgänge am 6. Juni 1971. An diesem Tag, einem Sonntag, wird Horst Gregorio Canellas 50 Jahre alt. Er ist Präsident von Kickers Offenbach. Tags zuvor ist sein Verein nach einer 2:4-Niederlage in Köln aus der Bundesliga abgestiegen. Deshalb ist die Stimmungslage unter seinen Gästen, zu denen auch eine Reihe von Journalisten und Funktionären des DFB gehören, gedämpft. Kurz vor Zwölf bittet Canellas die Anwesenden an einen Gartentisch, auf dem ein Tonband steht. „Ich dachte, es sei ein Geschenk“, erinnert sich später der damalige Bundestrainer Helmut Schön, der auch zu den Zeitzeugen in dem kleinen Ort Hausen bei Offenbach gehört. Tatsächlich hat sich Canellas das Gerät geliehen.

„Wir sind gestern durch Betrug abgestiegen. Ich werde das beweisen“, erklärt der Gemüsegroßhändler und drückt die Starttaste. Die Umstehenden schweigen und trauen ihren Ohren nicht. Das Tonbandgerät gibt Gespräche mit dem Kölner Nationaltorhüter Manfred Manglitz und den Hertha-Spielern Bernd Patzke und Tasso Wild wieder, die für Siege und Niederlagen ihrer Clubs Geld fordern.

Als Canellas das Band stoppt, erklärt er, alles zum Wohl des Vereins unternommen zu haben. Die Aufnahmen habe er gemacht, um von ihm vermutete Manipulationen beweisen zu können. Dabei habe er zum Schein Verhandlungen und Gespräche mit Spielern geführt. Den DFB habe er darüber informiert. Dort habe er sich auch erkundigt, ob er an Mannschaften, die gegen Mitkonkurrenten der Offenbacher gewinnen, Siegprämien zahlen dürfe. Das sei ihm bejaht worden.

Im Laufe des späteren Verfahrens durch den DFB-Kontrollausschuss unter dessen Vorsitzenden Hans Kindermann aber wird ihm auch daraus ein Strick gedreht.

Den Stein ins Rollen brachte Anfang Mai ein Anruf von Manfred Manglitz bei Horst Gregorio Canellas. Kölns Torhüter verlangte für sich 25 000 Mark, sonst werde er sich im Nachholspiel am 5. Mai gegen die stark abstiegsgefährdeten Rot-Weißen aus Essen „nicht besonders anstrengen“. Nach besagter Rücksprache mit dem DFB sagt Canellas dem Torwart die „Erfolgsprämie“ zu. Zwar muss Manglitz zweimal hinter sich greifen, doch der FC gewinnt mit 3:2. Tags drauf trifft sich Kickers-Geschäftsführer Willi Konrad mit der Manglitz’ Ehefrau Irma auf einer Autobahnraststätte bei Bonn und übergibt ihr die 25 000 Mark.

Gut zwei Wochen später verliert Köln daheim gegen den Tabellenletzten RW Oberhausen. Viermal holt Manglitz den Ball aus seinem Tor. Endstand: 2:4. Am letzten Spieltag ist Offenach in Köln zu Gast. Canellas hatte Manglitz tags zuvor 100 000 Mark für eine FC-Niederlage angeboten, am Morgen des Spieltags die Offerte aber als Bluff bezeichnet. Deshalb will Manglitz nicht spielen. Doch auch Ersatzmann Milutin Soskic will nicht ins Tor, nachdem er nach einer Verletzung zwei Jahre lang ohne Spielpraxis war. Schließlich überreden ihn Mitspieler, doch ins Tor zu gehen. Der FC gewinnt mit 4:2, Offenbach ist abgestiegen.

Manfred Manglitz wird in den späteren Verhandlungen und Verurteilungen vor dem DFB-Sportgericht als einer der Hauptsünder des Bundesligaskandals bezeichnet. Die 25 000-Mark-„Erfolgsprämie“ aus Offenbach wurde ihm nicht einmal zur Last gelegt. Stattdessen, dass er 12 000 Mark aus Oberhausen kassiert habe, an der 0:1-Niederlage in Bielefeld beteiligt gewesen zu sein und Verhandlungen mit den Bielefeldern über Schweigegeld geführt zu haben.

Der Torhüter muss 20 000 Mark Geldbuße zahlen und wird zu zweimal lebenslänglicher Spielsperre verurteilt, die aber - wie in vielen anderen Fällen auch - wenige Jahre später aufgehoben wird.

So wird das gegen Canellas gleichfalls auf Lebenszeit lautende Verbot, ein Vereinsamt im DFB zu führen, in aller Stille 1976 annuliert. Ein Jahr später ist Canellas an Bord der Lufthansa-Maschine „Landshut“, die von RAF-Sympathisanten nach Mogadischu entführt wird. „Der Skandal war schlimmer, viel schlimmer. Mogadischu hatte noch menschliche Züge“, meinte Canellas später.

Die letzte Akte im Bundesligaskandal wurde am 16. Dezember 1977 geschlossen. Der letzte von mehreren Schalker Spielern wurde vor dem Landgericht Essen wegen Meineids verurteilt. Doch war damit alles aufgeklärt?

Vor fast genau vier Jahren verstarb der Mann, der den Bundesligaskandal öffentlich gemacht hatte. Mit ins Grab nahm er ein weitaus größeres Wissen um die damalige Korruption. „Es wurde noch viel mehr geschoben. Längst ist nicht alles ans Tageslicht gekommen. Ich kenne noch mehr Beteiligte, aber ich bin zu müde, um alles noch einmal neu aufzurollen“, hat Horst Gregorio Canellas vor seinem Tod einmal gesagt . . .