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Schwere KopfverletzungWeilerswists Stürmer Patrick Hinsch arbeitet sich ins Leben zurück

8 min
Patrick Hinsch hält einen Ball in den Händen. Seine Freundin Daria Scala hat sich eingehakt, sein Trainer Frederik Ziburske legt ihm die Hand auf die Schulter. Im Hintergrund trainert der SSV Weilerswist.

Auf dem Weg der Besserung, aber noch nicht der Alte: Patrick Hinsch mit Freundin Daria Scala und dem Trainer des SSV Weilerswist, Frederik Ziburske.

Vor vier Monaten erlitt Patrick Hinsch vom SSV Weilerswist in einem Fußballspiel schwerste Kopfverletzungen. Er berichtet, wie es ihm geht.

Der Geruch von Würstchen, ein Rasenmäher in der Umkleide und sein verlorenes Armband: Das sind die einzigen Erinnerungen, die Patrick Hinsch an das Kreisliga-A-Fußballspiel des SSV Weilerswist gegen die SG Hellenthal vom 23. März dieses Jahres hat. Und auch danach fehlen ihm etwa zwei Monate. Nur vereinzelte Momente ploppen auf – wohl auch deshalb, weil andere darüber reden. „In der Reha war ich nur körperlich anwesend“, sagt der 25-Jährige.

Vielleicht ist es ganz gut, dass er sich nicht an das erinnert, was ihm in der 37. Minute des 18. Spieltags widerfahren ist. Mit dem Kopf legte er sich einen Ball vor, eilte der Kugel hinterher, drang in den Strafraum ein. Der Hellenthaler Torwart warf sich ihm entgegen. Mit den Köpfen prallen beide Spieler zusammen. Die Wucht muss heftig gewesen sein. „Patrick lag bestimmt ein oder zwei Meter außerhalb des Strafraums“, erinnert sich sein Trainer Frederik Ziburske. „Es war sofort jedem bewusst, dass Patrick nicht weiterspielen kann“, ergänzt er.

Bei Patrick Hinsch bestand Lebensgefahr

Doch es war weit mehr als ein bloßer Zusammenstoß, wie er jede Woche bei Kopfballduellen im Fußball vorkommt. „Er lag da, hat geröchelt, Blut lief ihm aus dem Mund“, beschreibt es Ziburske. Zwei ausgebildete Ersthelfer – der Co-Trainer der SG Hellenthal und ein Reporter dieser Zeitung – kümmerten sich sofort um ihn, sorgten dafür, dass die Atemwege frei blieben. Als nach „gefühlt einer Ewigkeit“, so Ziburske, der Rettungswagen ankam, wurde sofort ein Hubschrauber angefordert. Hinsch kam in eine Uniklinik.

Die Diagnose war niederschmetternd: Bruch der Kieferhöhlenwand, des Jochbeins und des Nasenbeins sowie ein paar abgebrochene Zähne. Am schlimmsten war aber das schwere Schädelhirntrauma. Der Fußballer schwebte in Lebensgefahr. Hinsch wurde in ein Koma versetzt. Der Ausgang war ungewiss. „Wir wussten nicht: Wacht er überhaupt noch einmal auf? Wird er ein Härtefall, der im Rollstuhl sitzt?“, berichtet sein Trainer.

Dem Hellenthaler Torwart macht der Stürmer keine Vorwürfe

Die zweimonatige Rehamaßnahme ist abgeschlossen. Die meisten Operationen hat der junge Mann hinter sich. Die Zähne sind gemacht. Im Herbst folgt die Nase. Äußerlich ist kaum etwas zu erkennen. Aber er bekommt kaum Luft, muss durch den Mund atmen. „Nach der OP habe ich eine Nase wie Michael Jackson“, sagt Hinsch lachend.

Was nicht vergessen werden darf: Auch sein Gegenspieler, der Hellenthaler Torwart, verletzte sich, zog sich eine Gehirnerschütterung zu. „Er hat mir geschrieben, dass es keine Absicht war“, sagt Patrick Hinsch. Vorwürfe macht er ihm nicht. „Ich muss mich um mich kümmern und nicht die Schuld bei jemand anderem suchen.“ Außerdem sei ihm immer bewusst gewesen, dass beim Fußballspielen etwas passieren kann. Damit aufhören will er auch nicht. „Man fährt ja auch weiter Auto.“ Das darf er mittlerweile sogar wieder.

Die Kopf-Fuß-Koodination lässt noch zu wünschen übrig

Keine drei Monate nach dem Vorfall steht Patrick Hinsch wieder bei einem Pflichtspiel auf dem Platz. Am letzten Spieltag der Saison wird er gegen Zülpich II in der zweiten Minute der Nachspielzeit eingewechselt. Auch ein symbolischer Akt. Signalisiert wird, dass er noch zum Team gehört, er ist auch im Kreisliga-A-Kader für die kommende Saison aufgelistet. „Wir wollten Patrick mit der Einwechselung auch zeigen: Jetzt musst du den nächsten Step machen. Wir werden dich nicht schonen, dich ans Limit bringen“, sagt sein Trainer. Gleichzeitig war das Spiel auch ein Augenöffner: „Wir konnten ihm auch zeigen, was er noch nicht kann.“

Hinsch bemerkt, dass er Situationen auf dem Platz zwar erkennt. Es dauert aber, bis das Gehirn Befehle an die Beine weitergibt. „Es gab eine Szene, da dachte ich mir: Jetzt muss ich loslaufen. Aber ich lief nicht los. Und dann war der Ball schon weg“, erinnert er sich. Sogar ein Foul machte er in seinem Kurzeinsatz, erzählt sein Trainer lachend. Einen Gegenspieler lief er um, weil der plötzlich stehen blieb. „Normalerweise wäre ich ausgewichen“, weiß Hinsch. Die Kopf-Fuß-Koordination funktioniert noch nicht, daran arbeitet er.

Vier Monate nach dem Vorfall läuft Patrick Hinsch noch nicht rund

Der Stürmer ist einer, der austeilen, aber auch einstecken kann. „Für Patrick galt: Wenn er laufen kann, dann kann man ihn bringen. Er war hart, aber nie unfair“, beschreibt ihn sein Trainer. Sein Spieler gibt zu: „Ich führe selbst gerne harte Zweikämpfe.“ Allerdings nie mit dem Ziel, andere zu verletzen – oder sich selbst. „Ich war noch nie länger als zwei Wochen verletzt.“

Patrick Hinsch erzielt gegen Lommersum ein Tor. Mit einem ausgestreckten Fuß kommt er an den Ball, der Torwart ist schon geschlagen.

So kennt man ihn: Patrick Hinsch als Torschütze. In neun Spieler traf er viermal für Weilerswist.

Die Mannschaften der JSG Erft und der TuS Mechernich halten ein Plakat hoch, auf dem "A11es Gute, #ComebackStronger" steht.

Solidarität aus der Kreisliga: Die JSG Erft 01 und die TuS Mechernich schickten Genesungswünsche per Plakat.

Auch vier Monate nach dem Vorfall läuft Patrick Hinsch buchstäblich noch nicht ganz rund. Die Haltung ist ein wenig gebückt. Die rechte Körperhälfte habe er lange nur eingeschränkt benutzen können, vielleicht sei das der Grund für seine Haltung. Physiotherapie soll helfen.

Der Fußballer hat das Gefühl, wie auf Wattebällchen zu laufen

Er schlafe nicht tief, wache manchmal auf, sei morgens nicht erholt. Das zerrt an den Nerven. Die Zündschnur sei kürzer, er habe weniger Geduld mit seinen Mitmenschen. Das ist auch seiner Freundin aufgefallen. Eine Erklärung hat sie ebenfalls: „Nach dem Unfall kam sehr viel auf Patrick zu.“ Daria Scala stand beim Spiel in Hellenthal nicht an der Seitenlinie. „Ich habe von dem ganzen Drama am Telefon erfahren“, erzählt sie. Sie war immer an seiner Seite, schlief im Krankenhaus auf einem Notbett in seinem Zimmer. Jeden Tag habe er kleine Fortschritte gemacht. „Es stellte sich auch raus, dass Patrick gerne Eis isst“, sagt sein Trainer lachend. „Und McDonald's“, ergänzt der Stürmer. Die sieben Kilo, die er verloren hatte, müssen ja wieder drauf.

Ein paarmal hat der Stürmer schon wieder mittrainiert. „Aber ich laufe wie auf Wattebällchen“, berichtet er. Bei hoher Belastung hat er Gleichgewichtsprobleme. Auch die Konzentration leidet. „Auf der Arbeit frage ich mich manchmal schon, was ich da gerade mache.“

Ein Militärpfarrer war Ansprechpartner für die Weilerswister Fußballer

Und manchmal gibt es auch Rückschläge. „Vor zwei Wochen wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt“, berichtet er. Sein rechter Daumen zitterte plötzlich. Es bestand der Verdacht auf Epilepsie. Ein Fehlalarm. Bei einer Untersuchung wurde der Verdacht ausgeräumt. Es handelt sich wohl um eine posttraumatische Belastungsstörung.

Das zeigt: Ein solcher Vorfall macht etwas mit einem. Und das nicht nur mit dem Betroffenen selbst oder seinen Angehörigen. Auch mit einer Fußballmannschaft. „Ein, zwei Spieler hatten Schlafstörungen“, berichtet Ziburske. Er ist Soldat in Rheinbach und holte Hilfe bei einem Militärpfarrer, der auch Psychologe ist. Auf dem Fußballplatz traf man sich regelmäßig – aber nicht um zu kicken, sondern um zu reden. „Alle waren da, auch der Vorstand und die Betreuer“, so Ziburske. Der Pfarrer bot auch Einzelgespräche an. „Einige Spieler haben das genutzt.“ Es gebe welche, die noch nicht über den Vorfall hinweggekommen seien.

Trainer Frederik Ziburske erreichten 400 bis 500 Anfragen

Beim ersten Meisterschaftsspiel in Kirchheim gegen die SG FlaKi fehlten eine Handvoll Leute, weil sie sich nicht in der Lage sahen, Fußball zu spielen. Zwei bis drei standen nur für den Notfall zur Verfügung. Auffallend für Ziburske: „Betroffen waren eher die gestandenen Spieler.“ Angesichts dieser Auswirkungen appelliert der Trainer an Amateurfußballer, Verletzungen durch überhartes Einsteigen nicht billigend in Kauf zu nehmen. „Spieler und Schiedsrichter müssen angesichts einiger grenzwertiger Situationen sensibilisiert werden.“

Patrick Hinschs Familie und seine Freundin haben den Schwerverletzten größtenteils abgeschirmt und verwiesen an den Trainer. „Ich habe bestimmt 400 bis 500 Anfragen erhalten. Die Anteilnahme war riesig“, sagt Ziburske. Kommende Gegner wie der SV Frauenberg oder die SG Flamersheim/Kirchheim hatten sofort angeboten, Spiele zu verschieben. Diese Solidarität im Fußballsport motivierte den Verletzten auf dem Weg zurück.

Die Bundeswehr als Arbeitgeber unterstützt, wo sie kann

Im Gespräch fällt immer wieder das Wort Glück. „Der Heilungsprozess ist glücklich verlaufen. Ich habe eine gute Prognose, vielleicht bleibt es nicht für immer“, sagt der 25-Jährige. Die Ärzte hätten gesagt, das sei aus medizinischer Sicht außergewöhnlich, ergänzt sein Trainer. Und er habe Glück mit seinem Arbeitgeber, ist sich Hinsch sicher.

Der 25-Jährige befindet sich in der Wiedereingliederungsphase bei der Bundeswehr. Hinsch ist Unteroffizier in der Gersdorff-Kaserne in Euskirchen, hat die Feldwebel-Laufbahn eingeschlagen. Den Beginn seiner Vermessungstechnikerausbildung im Zentrum für Geoinformationswesen musste er auf nächsten Mai verschieben.

Er ist dankbar, was die Bundeswehr alles für ihn tut, dass sie keinen Druck ausübt. Und ihn bei seiner Genesung unterstützt, wo sie kann. So ermöglichte sie ihm eine durchgehende zweimonatige Rehamaßnahme ohne bürokratische Hürden oder Pausen. „Und die Bundeswehr ist gut ausgebildet bei Posttraumatischen Belastungsstörungen“, ergänzt Ziburske, der ja nicht nur Trainer, sondern im weitesten Sinne auch Kamerad ist.

Mit innerer Stärke und großem Willen arbeitet sich Patrick Hinsch zurück

Dass er irgendwann wieder voll arbeitsfähig werde, stehe an oberster Stelle. Erst danach folgten „so Unwichtigkeiten wie der Fußball“, erklärt sein Trainer. Aktuell ist das eh kein Thema: „An eine Teilnahme am Spielbetrieb ist nicht zu denken, auch die zweite Mannschaft kommt noch zu früh. Ziel ist es, ihn in der Rückrunde wieder einzubauen.“ Dazu müssten erst die Wattebällchen verschwinden, so Hinsch.

Er wird weiter an sich arbeiten. „Er hat eine innere Stärke und einen großen Willen“, sagt seine Freundin. Nur die Geduld ist nicht sehr ausgeprägt: „Er rennt lieber zweimal gegen einen Türrahmen, als einmal nach Hilfe zu fragen“, berichtet Frederik Ziburske. Vom ursprünglichen Plan, den er nach dem Aufwachen verfolgt hatte, musste sich Hinsch ohnehin verabschieden. „Erst hat er mich gefragt, ob wir gegen Hellenthal noch einen Punkt geholt haben. Dann hat er mir gesagt: Gib mir noch eine Woche, dann bin ich wieder da.“