Nach Überfall in EuskirchenAngeklagter und Opfer geben sich vor Gericht die Hand

Lesezeit 3 Minuten
Das Bild zeigt das Landgericht Bonn von außen.

Vor dem Landgericht in Bonn findet der Prozess nach dem Überfall auf eine Tankstelle in Euskirchen statt.

Nach dem Überfall auf eine Tankstelle in Euskirchen steht ein 25-Jähriger vor Gericht. Die Kassiererin erhält 500 Euro als Schmerzensgeld.

Der Bonner Rechtsanwalt Thomas Ohm trägt seit 40 Jahren die schwarze Robe – und in diesen vier Jahrzehnten hat er eine Erfahrung gemacht: „Es gibt nichts Lebensfremderes als einen Überfall auf eine Tankstelle.“ Warum? Vergleichsweise geringe Beute, dafür aber hohe Haftstrafe. Aktuell verteidigt Ohm vor der 7. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts einen jungen Mann, der diese Regel offenbar nicht kannte.

Der heute 25-Jährige ist angeklagt, am 15. Oktober 2022 mit einem Freund eine Tankstelle in Euskirchen überfallen und 500 Euro erbeutet zu haben. Der Komplize wurde deswegen bereits im April 2023 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, die er in Rheinbach absitzt. Dem zweiten Mann wird vorgeworfen, bei dieser Tat Schmiere gestanden zu haben.

Der Überfall in Euskirchen ist durch Videos dokumentiert

Das gab der Mann am Mittwoch vor Gericht zu und berichtete – mit Ohms kräftiger Formulierungshilfe – folgende Geschichte: Der drogenabhängige Kumpel sei in jenen Oktobertagen wegen einer anderen Straftat obdachlos aus dem Knast entlassen worden und habe ein Bett bei dem 25-Jährigen gefunden. Der Ex-Häftling habe enormen Suchtdruck, doch kein Geld gehabt. Da sei er auf die „völlig bescheuerte Idee“ (Ohm) gekommen, die Tankstelle zu überfallen. Der Freund sollte als „Rückraumsicherung“ mitgehen.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Bonn

Der Fortgang wird durch Videos aus der Überwachungsanlage der Tankstelle belegt. Man sieht, wie sich die Männer gegen 10.30 Uhr nähern. Ein Mann geht einige Meter voraus, schaut sich auf der Zufahrt kurz um, ob der Kollege folgt, betritt den Verkaufsraum und bleibt am Kühlschrank stehen. Die Kassiererin bedient gerade eine Kundin. In diesem Augenblick kommt der Räuber ins Bild: Er hat die Kapuze seiner Jacke ins Gesicht gezogen und trägt eine Corona-Schutzmaske. In der Hand hält er ein Taschenmesser mit aufgeklappter Klinge.

Beim Prozess in Bonn spielen sich ungewöhnliche Szenen ab

Die Kassiererin (45) hört das Wort „Überfall!“, sieht die Waffe und versucht, die Kassenschublade zu öffnen. Das kann sie aber nicht, weil der Buchungsvorgang für den Einkauf der Kundin noch nicht beendet ist. Die Frau hat zum Bezahlen bereits einen 50-Euro-Schein auf den Tresen gelegt und den Raum kurz verlassen, um etwas aus ihrem Auto zu holen. Der Räuber drängt die Angestellte schreiend zur Eile, geht dann hinter die Kasse, die endlich geöffnet ist, rafft 450 Euro aus der Lade, schnappt sich noch den Fünfziger der Kundin und verschwindet.

Der andere Mann hat diese knapp zwei Minuten des Überfalls von seinem Posten am Kühlschrank aus beobachtet, teilweise mit erhobenen Händen. Als der Täter fort ist, läuft er raus, spricht vor der Tür die Frau, der gerade 50 Euro gestohlen worden waren, an: „Das war ein Überfall. Rufen Sie die Polizei.“

Wenig später fahren zwei Beamtinnen vor, sprechen mit dem vermeintlichen Zeugen und bitten ihn, später auf die Wache zu kommen und seinen Ausweis zu zeigen. Der 25-Jährige trifft sich aber mit dem Räuber. Der hat den Großteil der Beute inzwischen in Kokain umgesetzt und mit dem Rest des Geldes ein Hotelzimmer in der Euskirchener Innenstadt gemietet, in dem die beiden Männer die Drogen konsumieren. Wenig später werden beide festgenommen.

Vor Gericht überreicht Verteidiger Ohm der Kassiererin 500 Euro Schmerzensgeld, der Angeklagte bittet sie um Entschuldigung und streckt ihr die Hand hin. Die Frau schlägt ein und sagt: „War scheiße, was Ihr gemacht habt!“ Da kommen dem 25-Jährigen die Tränen.

Der Prozess vor dem Landgericht wird fortgesetzt.

Rundschau abonnieren