Vor allem nachts überwältigt viele Menschen auch im Kreis Euskirchen die Einsamkeit. Bei der Telefonseelsorge finden sie immer ein offenes Ohr.
TelefonseelsorgeEinsamkeit ist auch im Kreis Euskirchen das größte Problem

Wenn nachts ist die Einsamkeit am schlimmsten ist, bleibt oft nur der Anruf bei der Telefonseelsorge. (Symbolbild)
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Schweigen. Minutenlanges Schweigen. „Das muss man aushalten können“, sagt Dagmar Fox. Aushalten, dass ein Mensch anruft, um über seine Nöte zu sprechen, aber dann kein Wort rausbringt. Oder aushalten, dass der Mensch am anderen Ende der Leitung einfach nur weint. Dagmar Fox ist Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge Bonn-Rhein-Sieg, die für Teile des Kreises Euskirchen zuständig ist.
Die Diplom-Heilpädagogin führt dort nicht nur die Geschäfte, sondern nimmt auch Gespräche der Hilfesuchenden an. Wie viele von ihnen aus Euskirchen und den Nachbarstädten kommen, kann sie nicht sagen: „Wir fragen keine biografischen Daten ab.“
Manche Anrufer nennen weder Name noch Wohnort
Viele Anrufer wollten anonym bleiben und sagten auch nicht, wo sie wohnten. So bleibt die Frage unbeantwortet, ob die Menschen aus der Eifel andere Probleme haben als beispielsweise die aus Bonn. „Das große Thema ist Einsamkeit“, sagt Dagmar Fox. Und auch, wenn man die vielleicht eher mit ländlichen Strukturen verbinde, sei die Isolation in der Stadt manchmal ausgeprägter. Die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie hätten das Problem weiter verschärft – „aber es ist sowieso ein Dauerthema“.
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Dagmar Fox kennt die Nöte der Menschen.
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Die Flutkatastrophe im Juli 2021 Jahren habe keine Flut von Anrufen ausgelöst, berichtet Dagmar Fox. Die Auswirkungen waren anderer Art: Die Räume der Telefonseelsorge Ahrweiler waren überschwemmt, auch einige der Mitarbeitenden waren betroffen. Deshalb wurden Anrufe aus dem Nachbarkreis nach Bonn umgeleitet. „Es waren viele Notfallseelsorger vor Ort“, erklärt die Fachfrau, warum nicht allzu viele der Betroffenen angerufen hätten.
Weltpolitische Bedrohung bringt das Fass zum Überlaufen
Für viele, die sich an die Telefonseelsorge gewandt hätten, seien die schlimmen Bilder aus den Flutgebieten eher ein weiteres Thema gewesen, das zu ihren sonstigen Sorgen und Problemen hinzugekommen sei. Ähnliches beobachte sie derzeit bei Kriegsgeschehen in der Welt. Einerseits riefen ältere Menschen an, die in ihrer Kindheit oder Jugend traumatische Erfahrungen gemacht hätten, andererseits Menschen, für die aktuelle weltpolitische Bedrohungen das Fass zum Überlaufen bringen. Es sind Ehrenamtler, die die Anrufe entgegennehmen. Die würden über ein Jahr geschult und auch später intensiv begleitet.
Es ist superwichtig, sich auf andere Lebenswelten einstellen zu können
„Bei der Supervision sind unsere Gruppen gut gefüllt“, sagt Dagmar Fox – und gibt damit einen Hinweis darauf, dass das Ehrenamt durchaus belastend ist. „Unser Schwerpunkt ist das Zuhören“, stellt sie klar: „Wir erteilen keine Ratschläge.“ Berührbar zu sein und mitzufühlen, aber sich nicht in das Leid hineinziehen zu lassen, das sei die Herausforderung. „Es ist superwichtig, sich auf andere Lebenswelten einstellen zu können“, sagt Dagmar Fox. Diese fremden Welten dürfe der Seelsorger nicht bewerten.
Gerade, wer eher zupackend und lebenserfahren sei, müsse sich zurücknehmen. „Das Leid würdigen“ nennt sie das. Und fasst ihre lange Erfahrungen so zusammen: „In den meisten Fällen kann man nichts tun, also keine Veränderung erwirken.“ Und dann geht es wieder ums Aushalten: Aushalten, dass man nie erfährt, wie es mit dem Anrufer oder der Anruferin weitergegangen ist. Die Telefonseelsorge geht mit der Zeit. Mittlerweile kann man mit den Helfern dort auch chatten oder per E-Mail in den Austausch kommen.
Homeoffice für die ehrenamtlichen Kräfte gibt es allerdings nicht. Das ist gerade den großen psychischen Herausforderungen und Belastungen der Tätigkeit geschuldet. Die Probleme, die sich die Frauen und Männer anhören, sollen im geschützten Raum der Telefonseelsorge bleiben und nicht in deren Zuhause einziehen.
Trotz aller Belastungen wirbt Dagmar Fox für dieses Ehrenamt, für das man keiner Kirche anzugehören brauche, aber bereit sein müsse, die Seelsorge mitzutragen. Weil es wichtig sei. Und erfüllend. Sie hat hohen Respekt vor denen, die nachts am Telefon sitzen, die Schweigen und Weinen aushalten: „Es ist unglaublich, was diese Menschen auf sich nehmen.“
Kontakt ist auch per Chat oder Mail möglich
Seit 50 Jahren gibt es die Telefonseelsorge Aachen-Eifel, die ebenfalls für Teile des Kreise Euskirchen zuständig ist. In dieser Zeit hätten rund 500 Ehrenamtliche mehr als 500.000 Gespräche geführt, heißt es in einer Mitteilung dazu. Im vergangenen Jahr waren es 10.357 gewesen, dazu kamen 1368 Chats und 2364 Mails. Insgesamt hatten die 89 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Telefonseelsorge Aachen-Eifel 14.089 Seelsorgekontakte; bundesweit waren es 1,2 Millionen.
In der ersten Ausbildungsgruppe, die am 15. November 1975 ihren Dienst aufnahm, waren 27 Ehrenamtliche, davon sieben Männer. Nach drei Jahren waren es dann schon mehr als 80 Ehrenamtliche. Bis 1997 wurde die Telefonseelsorge Aachen-Eifel mit der Vorwahl 0241 angewählt. Eine kostenlose Nummer gibt es seit 1997. Seitdem ist die Telefonseelsorge bundesweit vernetzt und unter den Nummern 08 00/1 11 01 11 und 08 00/1 11 02 22 erreichbar.

