„Ein Wald ganz ohne Minen“Was sich eine junge Frau aus Butscha in Bergisch Gladbach wünscht

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Drei Menschen mit einem Hund wandern auf einem breiten Weg durch den Wald bei Bergisch Gladbach.

Einmal wieder in einem Wald ohne Mienen: Alina Saraniuk (M.) mit Nicole und Frank Haag im Lerbacher Wald.

Warum ein Spaziergang durch einen Wald ohne Minen für einen Menschen aus Butscha kaum fassbar ist und trotzdem eine Sorge immer mitgeht.

Vogelgezwitscher statt Luftalarm, Kinderlachen aus dem Freibad statt ratternder Militärfahrzeuge auf der Straße – Alina Saraniuk atmet durch: „Ein Wald ganz ohne Minen“, sagt sie und lächelt. Die Wanderung durch den Lerbacher Wald hat sich die 27-Jährige aus dem ukrainischen Butscha so sehr gewünscht für ihren Besuch beim Bergisch Gladbacher Stadtfest. „Bei uns darf man nicht im Wald spazieren gehen – überall liegen noch Minen“, sagt sie und tätschelt den Kopf von Leo, dem Hund von Feuerwehr-Krisenmanagerin Nicole Haag und ihrem Mann Frank, der Vorsitzender des Vereins zur Förderung der jungen Städtepartnerschaft mit Butscha ist.

Vieles hat sich verändert, seitdem Ihr im Mai mit dem Hilfskonvoi bei uns wart.
Alina Saraniuk, Mitarbeiterin des Bürgermeisters von Butscha (Ukraine)

„Vieles hat sich verändert, seitdem Ihr im Mai mit dem Hilfskonvoi bei uns wart“, sagt Alina Saraniuk: „Jeden Tag und jede Nacht gibt es jetzt Luftalarm. Und wir haben große Sorge, dass die Russen wieder kommen können: von Belarus, die Grenze ist ja nur 80 Kilometer von uns entfernt.“

Die 27-Jährige bleibt stehen, schaut den Waldweg hinauf. Das letzte Mal, als die russischen Truppen im Februar 2022 auf Kiew marschierten, erschossen sie in Butscha Zivilisten auf offener Straße, verübten Gräuel, deren Bilder um die Welt gingen und Butscha traurige Bekanntheit verliehen.

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„Normalität“ ist wieder schwerer geworden im ukrainischen Butscha

„Mehr als 500 Menschen der 1200, die in der Region ums Leben kamen, waren aus Butscha“, erzählt die junge Frau, die nicht nur das Büro für internationale Beziehungen der Stadt Butscha leitet, sondern auch rechte Hand von Butschas Bürgermeister Anatolii Fedoruk ist. Vor allem in den sozialen Netzwerken, die in der Ukraine auch von öffentlichen Stellen bespielt werden wie kaum woanders.

Drei Mnschen stehen mit einem Hund auf einem Waldweg.

Gelöste Stimmung beim Spaziergang durch die grüne Mitte von Bergisch Gladbach: Nicole und Frank Haag mit Alina Saraniuk (M.).

Alina Saraniuk schaut auf ihr Handy. Schon wieder fünf Nachrichten von ihrem Chef. Gleich muss sie noch ein Video von der Preisverleihung eines Tanzwettbewerbs posten. Dann schreibt sie dazu, was Anatolii Fedoruk „sagt“. Er ist darum bemüht, dass das Leben in Butscha so „normal“ weitergeht wie eben möglich. Doch Normalität ist wieder schwerer geworden: Vorige Woche gab es neue Vorschriften. „Wir dürfen jetzt keine Veranstaltungen mehr machen, wegen der Menschenansammlungen.“ Im Mai war noch der Butscha-Marathon wiederbelebt worden. Nun kaum noch vorstellbar.

Verbandsmaterial für verwundete Soldaten steht ganz oben auf der Liste

„Bevor ich nach Bergisch Gladbach gekommen bin, haben wir einen jungen Mann aus Butscha beerdigt,“ erzählt Alina Saraniuk mit leiser Stimme. „Er ist an der Grenze nach Belarus erschossen worden, so nah von unserer Stadt, zwei Kinder hatte er. Der Krieg ist immer da, jeden Tag, auch wenn wir nicht an der Front sind, im Moment nicht.“

Die Gedanken allerdings kreisen ständig um die, die die Ukraine weiter im Osten verteidigen. Verbandsmaterial steht ganz oben auf der Wunschliste der Vertreter von Bergisch Gladbachs Partnerstadt. „Es geht im Krieg gegen den Angriff von Putin auf die Ukraine auch um Europa“, sagt Alina Saraniuk mit fester Stimme.

Nachricht vom Bruder auf dem Handy: Es geht ihm gut

Dann schaut sie wieder auf ihr Handy. Ihr Bruder hat ihr eine Nachricht nach dem jüngsten Alarm geschickt – ein Glück: Ihm und seiner Familie geht es gut. Ihre Mutter Ludmilla hat Alina Saraniuk mit nach Bergisch Gladbach gebracht: vier Tage raus aus dem Kriegsland.

Ihr selbst wurde dafür der Job gekündigt, als städtische Angestellte hätte sie nicht ausreisen dürfen. Wenn sie am Dienstag mit dem Flugzeug nach Polen und dann weiter mit der Bahn zum kleinen Bahnhof vor Kiew, der aus Sicherheitsgründen zurzeit als einziger angefahren wird, zurückgekehrt ist, wird ihr Chef sie wieder einstellen.

Der nächst Hilfskonvoi nach Butscha ist für November geplant

Sie selbst hat keine Angst nach Kiew zu fahren. „Ich bin oft da“, sagt sie. Dort sei mehr los als im kleinen Butscha. Überhaupt versucht sie, auch nach anderthalb Jahren ausgeweitetem Angriffskrieg der russischen Armee so viel Normalität wie möglich zu leben. Sie versteht jeden, der bei Luftalarm in den nächsten Bunker geht. Zu Hause tut sie das nicht. „Ich wohne im dritten Stock eines Hochhauses – wenn sie auf Häuser schießen, dann immer oben“, sagt sie und lächelt.

Drei Menschen vor einem Gastronomie-Schild mit der Aufschrift „Naturfreundehaus Hardt.“

Die Einkehr am Naturfreundehaus Hardt ist erreicht.

Die Einkehr am Naturfreundehaus Hardt ist erreicht. Was sie essen mag? Eine Curry-Wurst. Nach der Rast kommt der kleinen Wandergruppe Spitzenkoch Joachim Wissler im Wald entgegen. Sein Zwei-Sterne-Restaurant am Bensberger Schloss kennt Alina Saraniuk noch nicht, dafür aber bestens die Geschäfte in der Gladbacher Stadtmitte. Ihrer Mutter reichts auch schon, schöne Sachen anzuprobieren, ein Foto zu machen und den Freundinnen daheim zu schicken. „Vieles gibt es bei uns nicht mehr, seitdem der 2014 von den Russen angefangene Krieg im letzten Jahr so eskaliert ist“, sagt Alina Saraniuk.

Freude über die Suche nach einem Platz, der nach Butscha benannt wird

Als sie am Abend bei der Einweihung einer neuen Tafel am Platz der Partnerstädte ist, freut sie sich, als Bergisch Gladbachs Bürgermeister Frank Stein auch den angereisten Vertretern der Partnerstädte aus Polen und England erläutert, dass man nun auch einen Platz in der Stadt suche, der nach Butscha benannt werden könne. Längst sind Frank Stein und die anderen Aktiven vom Bergisch Gladbacher Partnerschaftsverein mehr als Unterstützer und Partner.

Zwei Frauen und ein Mann stehen auf einem Platz und sprechen miteinander.

Im Gespräch mit Bürgermeister Frank Stein bei der Tafelenthüllung am Platz der Partnerstädte: Alina Saraniuk mit Mutter Ludmilla.

„Neun Jahre lang habe ich im Studium in Wien gelebt, aber richtige Freundschaften sind nicht geworden“, sagt die 27-Jährige. „Jetzt lebe ich wieder in Butscha – und habe Freunde in Bergisch Gladbach.“ Dabei hat die Leiterin des Büros für die internationalen Beziehungen Butschas schon viele Staatsgäste und Delegationen von Städten die Hilfe anboten, gesehen: „Viele sind gekommen, aber ihr kommt wieder und wieder. Das ist großartig.“


Um welche Hilfen die Menschen in der Partnerstadt Butscha bitten

Groß ist die Freude der Bürgermeistervertreterin aus Butscha bei der Stippvisite zum Gladbacher Stadtfest auch Fahrer der vergangenen Bergisch Gladbacher Hilfskonvois in die ukrainische Partnerstadt zu treffen– auch wenn das, was Alina Saraniuk auf der Wunschliste aus Butscha mitbringt, alles andere als Entspannung verheißt: Ein Bus, Kastenwagen und Geländefahrzeuge mit offener Ladefläche (Pickups), um Verletzte aus den vordersten Frontlinien zu holen, stehen ganz oben. Dazu Rettungswagen – und Tourniquets, ein spezielles Abbindesystem, um Blutungen bei Schwerverletzten zu stillen.

Menschen sitzen mit Getränken an einem Tisch im Wirtshaus Am Bock

Beim spontanen Treffen mit Gladbacher Hilfskonvoifahrern wird der nächste Hilfstransport im November besprochen.

Schon kurz nach der Ankunft von Alina Saraniuk am Donnerstag liefen die Netzwerke der bisherigen Unterstützer, Fahrerinnen und Fahrer der Hilfskonvois an, um die Hilfsgüter zu organisieren. Anfang November soll wie berichtet der nächste Hilfskonvoi von Bergisch Gladbach aus in Richtung Butscha starten.

Noch allerdings fehlt es dafür auch an Spenden, um beispielsweise den Treibstoff für den Konvoi zu bezahlen. Der Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach – Butscha sei daher dringend auch auf weitere Finanzspenden angewiesen, sagt deren Schatzmeister Albert Heider. Informationen dazu und zur an diesem Dienstagabend stattfindenden weiteren Auflage von „Malen für Butscha“ sind auf der Internetseite des Partnerschaftsvereins zu finden. www.butscha.gl

Sechs Menschen stehen am Stand des Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft Bergisch Gladbach – Butscha auf dem Bergisch Gladbacher Stadtfest.

Auf dem Stadtfest informierte Alina Saraniuk mit Aktiven des Städtepartnerschaftsvereins auf der „Städtepartnerschaftsmeile“.

Neben den Hilfsgütern hat der Konvoi noch eine große Bedeutung für die Menschen in Butscha – das zeigte nicht nur der jüngste Hilfstransport Anfang Mai, sondern das betonte Alina Saraniuk auch am Samstag in Gladbach: „Dass ihr zu uns kommt, zeigt, dass ihr an uns denkt und bei uns seid – das macht Hoffnung.“ (wg)

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