„Der liebe Gott hat mich vergessen"Erftstädterin blickt zurück auf 100 bewegte Jahre

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Ihren 100. Geburtstag feiert Hildegard Gielow. 

Ihren 100. Geburtstag feiert Hildegard Gielow. 

Erftstadt-Liblar – Sie erlebte den Untergang der Weimarer Republik, einen Weltkrieg, die Flucht aus dem Osten und einen Neuanfang im Rheinland: Hildegard Gielow feiert am heutigen Montag ihren 100. Geburtstag. Für die Zukunft wünscht sie sich vor allem, „klar im Kopf zu bleiben“.

Munter plaudert die quirlige Altersjubilarin drauf los: „Man muss die Höhen und Tiefen des Lebens meistern, wie sie kommen, und die Zeit genießen.“ Sie vermisse ihren Mann, Familienangehörige und Freunde, die sie im Laufe der Jahre verloren hat. „Manchmal scherze ich am Telefon, mich hat der liebe Gott vergessen“, sagt sie. „Geistig fühle ich mich fit, aber das Laufen fällt mir sehr schwer, und ich sehe nicht mehr gut.“

Enkel kümmerte sich um die Geburtstagsparty in Erftstadt

Sie freut sich über Unterstützung von der Familie. So hat sich Enkel Frank um die Geburtstagsvorbereitungen gekümmert. „Er hat alles geplant, so dass ich entspannt mit meinen Gästen feiern kann.“ Angesagt haben sich ehemaligen Arbeitskollegen aus dem Rathaus und auch Bürgermeisterin Carolin Weitzel.

In ihrem Haus an der Kolibristraße lebt Hildegard Gielow seit Jahrzehnten. Sie genießt ihren Garten mit vielen Blumen. „Ich mag Rosen und Margeriten, ich habe den grünen Daumen“, sagt sie lachend. „Bis in meine 80er-Jahre hinein habe ich auch vieles im Garten noch selbst gemacht.“

Im Urlaub auf Gran Canaria entstand das Foto mit dem Schimpansen. 

Im Urlaub auf Gran Canaria entstand das Foto mit dem Schimpansen. 

Ihre Wurzeln liegen im Thüringer Wald. In der kleinen Stadt Friedrichroda wurde sie als Hildegard Anschütz geboren, wuchs dort auf und machte eine Ausbildung in der Verwaltung. Sie war sportlich, begeisterte sich für das Turmspringen und war eine sehr gute Skifahrerin. „Ja, das hat mir sehr viel Spaß gemacht und mich fit gehalten.“

In Friedrichroda lernte sie ihren Mann kennen, einen Berliner. Mit ihm ging sie in die große Stadt. „Aber die Kriegstage hier waren so schrecklich, dass ich wieder in die Heimat zurückgekehrt bin“, erzählt sie. Inzwischen gehörten eine Tochter und ein Sohn zur Familie. 1949 kam ihr Mann aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück und „wollte auf keinen Fall im Osten bleiben“, weiß sie noch genau.

Thüringerin zog es ins Rheinland nach Erftstadt

Sie schafften es schließlich, in ein Flüchtlingslager nach Lübeck zu kommen. Von dort aus hatte die Thüringerin Kontakt zu einer Freundin aus der Heimat, die inzwischen in Kierdorf lebte. So zogen auch die Gielows nach Erftstadt. Das Paar baute sich dort ein Haus, zog drei Kindern groß. Nun gehören fünf Enkel und sechs Urenkel zur Familie.

Hildegard Gielow fing in der Stadtverwaltung an, ihr Mann bei RWE in Hürth-Knapsack. Später wechselte er als Ingenieur zu einer Essener Firma, die weltweit Isolierarbeiten übernahm. So war er auf Baustellen rund um den Globus im Einsatz, darunter in Afrika, Venezuela und in New York. „Ich habe ihn dort besucht“, erzählt die Seniorin. „Das waren spannende Zeiten.“

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Anfang der 80er-Jahre fuhr das Paar noch einmal zu Verwandten in die damalige DDR. Nach der Rückkehr erkrankte ihr Mann, er starb 1981. Hildegard Gielow war auf sich gestellt. „Ich hatte gelernt, im Leben Entscheidungen zu treffen. Damit konnte ich umgehen“, erinnert sie sich. „So schaue ich auf viele bewegte Jahre zurück.“

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