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Thallium-ProzessHürther bricht sein Schweigen und löst Entsetzen und Fassungslosigkeit aus

Lesezeit 3 Minuten
Der Angeklagte kommt in den Raum.

Thallium-Prozess: Der 42-Jährige aus Hürth soll drei Frauen das Schwermetall Thallium verabreicht haben.

Am 25. Verhandlungstag vor dem Landgericht Köln hat der 42-Jährige eine 65-seitige Einlassung verlesen. „Das ist so was von absurd“, äußerte sich eine Anwältin.

Die Indizienlage schien eindeutig, die Beweisaufnahme unmittelbar vor dem Abschluss. Da sorgte der wegen zweifachen Mordes angeklagte Hürther Krankenpfleger am 25. Verhandlungstag (25. April) vor dem Kölner Landgericht mit der Verlesung einer 65-seitigen handschriftlichen Einlassung für ungläubiges Entsetzen und Fassungslosigkeit bei den Angehörigen der Opfer.

Mehr als zwei Stunden führte der Hürther darin seine Unschuldsthese vor. „Das ist so was von absurd, ich bin regelrecht geflasht“, entfuhr es einer Anwältin auf der Nebenklage-Seite.

Thallium-Mord: Angeklagter aus Hürth sieht sich als Opfer

Demnach ist er auch ein Opfer, Opfer der Verfolgungswut der Staatsanwaltschaft, denn nach seiner Aussage ist der Tod seiner Ehefrau die Folge eines selbstgewählten Suizids, die Großmutter und seine schwangere Ex-Freundin sollen Opfer eines schrecklichen Vergiftungsunfalls gewesen sein.

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Sag auch nichts den Ärzten!
Der angeklagte Krankenpfleger

Zur Erinnerung: In der Jackentasche des Krankenpflegers hatten die Ermittler im Hausflur eine Dose mit Thallium und einer Einmalspritze mit Kaliumchlorid gefunden, auf seinem Rechner eine Bestellung über 25 Gramm Thallium, formuliert auf dem Briefkopf des Arbeitgebers des Hürthers, einem Klinikum, geliefert wurde das Gift an seine Privatadresse.

Britta H., die verstorbene Ehefrau, habe die ewigen Schmerzen und Beeinträchtigungen durch eine Laktose- und Histaminunverträglichkeit nicht mehr aushalten können und ihn deshalb gebeten, ihr Thallium zu besorgen. Aus Angst vor „jahrelangem Leiden und frühzeitigem Siechtum als Pflegefall“ habe sie sich zum Selbstmord entschlossen.

Thallium-Prozess: Hürther soll Schriftstück verbrannt haben, das ihn hätte entlasten können

Dass man mit Rattengift aus dem Leben scheidet, „hatte sie aus einem Kriminalroman“. Sie habe ihn inständig angefleht: „Sag auch nichts den Ärzten“, ihren Willen zum Suizid dann auch noch in einem ausführlichen an ihn gerichteten Brief dargelegt und den Brief im Tresor hinterlegt.

Erst nach ihrem Tod habe er den Brief gelesen und das Schriftstück, das ihn eigentlich hätte entlasten können, am Grab der Ehefrau verbrannt. „Ich wollte ihr Geheimnis hüten“, begründete er sein langes Schweigen: „Ich wollte ihr Geheimnis mit ins Grab nehmen.“ Doch der JVA-Seelsorger, dem er sich anvertraute, habe ihn eines Besseren belehrt.

Auch für die Spritze in seiner Jackentasche hatte er eine Erklärung. Er habe als Hygienefachwirt Online-Schulungen für seine Mitarbeiter durchführen müssen. Mit der Spritze und der Chloridlösung habe er vor dem Rechner seine Thesen besser erklären und durchführen können.

Ex-Partnerin und deren Mutter sollen unbewusst Thallium eingeatmet haben

Im Fall der schwangeren Ex-Partnerin und deren Großmutter habe sich im Haus der Seniorin nach seinen Recherchen beim Ausräumen des Kellers „jede Menge Dosen mit Gefahrenkennzeichnung“ befunden. Bereits in früheren Ermittlungen hatte der Krankenpfleger den Verdacht geäußert, dass „in dem Haus sicher jede Menge Thallium in der Luft rumfliegt“.

Demnach sollen sich sowohl seine Ex-Partnerin als auch die Seniorin mit dem Gift unfreiwillig infiziert haben. Warum er sich selbst hingegen bester Gesundheit erfreut, obwohl er auch in dem Haus wohnte, darauf gab es keine Antwort.

Angeklagter aus Hürth: „Menschen im Sterbeprozess lagen mir besonders am Herzen“

Bevor er zu seiner groß angelegten Unschuldsthese anhob, hatte der Krankenpfleger noch einmal über seine „wohlbehütete Kindheit“ und eine mögliche Traumatisierung durch sexuelle Übergriffe eines Großvaters mütterlicherseits angedeutet. Seine Eltern hätten ihn damals darauf angesprochen: „Aber ich konnte mich an nichts erinnern.“

Fast schon salbungsvoll erinnerte der Angeklagte an die Zeit, warum er nach dem abgebrochenen Studium die Ausbildung zum Krankenpfleger gewählt hatte. Seinen Zivildienst hatte er in einem Krankenhaus und einem Kinderhospiz absolviert. „Menschen im Sterbeprozess lagen mir besonders am Herzen“, der Umgang mit Trauerarbeit habe ihm „sehr am Herzen gelegen“.

Das Gericht nahm die Ausführungen zur Kenntnis und beraumte weitere Termine an. Der Prozess wird nun voraussichtlich an sieben weiteren Verhandlungstagen bis Ende Juni fortgeführt.

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