Jörn Tüffers zu dem sonderbaren Missverständnis zwischen Gillet und Decruppe – oder war's am Ende doch keins?
WochenkommentarAlles nur geträumt?

Hans Decruppe tritt als Landratskandidat bei der Kommunalwahl an.
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War es am Ende alles nur ein Missverständnis? Weil der eine etwas verstanden haben will, was der andere gar nicht gesagt haben will – zumindest nicht so? Oder aber hat der eine den anderen doch richtig verstanden und der andere versucht jetzt, irgendwie sein Gesicht zu wahren? Der Zwist zwischen dem einen, Hans Decruppe, und dem anderen, Elmar Gillet, wirft diese Fragen auf – und noch ein paar andere mehr. Zur Erinnerung: Decruppe hatte in einem Facebook-Post seiner Freude darüber Ausdruck verliehen, dass er als Landratskandidat und seine Partei, das BSW, bei der Kreistagswahl und in einigen Städten bei der Kommunalwahl antreten dürfen.
Das las Gillet, seines Zeichens leicht beschädigter Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag – er war kürzlich erst im zweiten Anlauf erneut für einen Sitz im Kreistag aufgestellt worden. Und sah sich zu einem Kommentar veranlasst. Er schrieb: „Alice und Sahra – An welchen Pakt von 23.9.1939 erinnert mich das?“ Decruppe jedenfalls – und nicht nur er – glaubte sich an zwei früherer Vertreter extrem rechter und linker Ideologien erinnert zu fühlen: an Hitler und Stalin. Er nannte Gillets Äußerung „schlicht kriminell“ und forderte ihn auf, von seinem Kreistagsmandat zurückzutreten.

Elmar Gillet, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag.
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Stalin und Hitler hatten 1939 einen Pakt geschlossen, in dem sie sich zusicherten, sich nicht gegenseitig anzugreifen. Hitler nutzte dies umgehend zum Einmarsch in Polen. Stalin ließ ihn gewähren. Das Ganze geschah in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1939. Nun aber fühlte sich der erfahrene Grünen-Politiker nicht an den 23.8.1939, sondern den 23.9.1939 erinnert – was Decruppe, der als Vertreter einer äußerst linken Partei nichts mehr bekämpft als Vertreter äußerst rechter Parteien, offenbar übersehen hatte – und nicht nur er. An der Grünen-Basis beispielsweise wurden bereits erste Rücktrittsforderungen laut.
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Aber zurück: Ein anderer Pakt sei ihm bei dem Gedanken an Weidel und Wagenknecht und einer möglichen Zusammenarbeit zwischen AfD und BSW in den Sinn gekommen, ließ der Wesselinger rund eine Woche nach seinem Eintrag erklären. Er selbst sei zu beschäftigt, um sich zu äußern. Also ließ er eine Kölner Marketingagentur für sich sprechen. Am 23.9.1939 starb ja Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse. Mit ihm habe Gillet sich während seines Studiums ausgiebig beschäftigt. Freud schied nach einer Überdosis Morphium, um die er seinen Arzt gebeten hatte, aus dem Leben. Die Verbindung zwischen Weidel und Wagenknecht auf der einen und Freud auf der anderen Seite erschließt sich womöglich nicht auf den ersten Blick.
Aber auch da kann Gillets Sprecher helfen: „Dieser historische Bezug wurde von Herrn Gillet als symbolischer Kommentar genutzt: Sollte sich das BSW auf eine Zusammenarbeit mit der AfD – insbesondere in Thüringen – einlassen, käme dies einem politisch selbstgewählten Niedergang gleich.“ Wie es mitunter mit Vergleichen ist – ein bisschen schief wirkt dieser nun schon. Freud spricht er die Berechtigung zu, sein Leben mithilfe seines Arztes zu beenden.
Das ist offenbar positiv besetzt. Gilt das denn auch für Weidel und Wagenknecht? Und wer von ihnen ist Freud und wer der Mediziner? Und warum sorgt sich Gillet um den „politisch selbstgewählten Niedergang“ des BSW, der als Freitod bei Freud okay ist? Um diese Fragen zu beantworten, muss man sich vermutlich deutlich intensiver mit Sigmund Freud und seiner Lehre beschäftigen. Wer noch etwas als Urlaubslektüre sucht: „Die Traumdeutung“.