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Blick in die ZukunftIm Rheinischen Revier regiert bald das Wasser

7 min

Visualisierung zur Renaturierung des Rheinischen Reviers

Eine ganze Region im Wandel: Der Erftverband präsentierte Meilensteine auf dem langen Weg zur Renaturierung der rheinischen Tagebauregion.

Streit über das Ende der Kohleverstromung und den Zeitpunkt zur Einstellung des Braunkohleabbaus. Massive Demonstrationen gegen den Betreiber RWE, Klima-Camps und Baumbesetzungen am Hambacher Forst. Das Rheinische Revier sorgte in den letzten Jahren für jede Menge Schlagzeilen. Mittlerweile richtet sich der Blick jedoch vor allem auf das Thema „Wasser“.

Standort: „:porta sophia“ bei Elsdorf am Rande der Tagebaugrube Hambach. „Genau an dieser Stelle wird die Transportleitung das Rheinwasser in das Tagebauloch führen, das wir hier sehen, und dieses nach und nach zu einem See werden lassen“, erläutert Gero Vinzelberg vom Betreiber des rheinischen Reviers, der RWE Power AG. „Nach und nach“ bedeutet in diesem Fall tatsächlich jedoch bis zu 40 Jahre. Start der Befüllung in die größte Grube im Revier, dem Tagebau Hambach, soll 2030 sein – genauso wie bei der kleinsten der Abbaugruben, dem Tagebau Inden. Rund sechs Jahre später soll dann die Befüllung des weiter nördlich gelegenen Tagebaus Garzweiler folgen, die ebenfalls Jahrzehnte dauern wird.

So könnte das Einlaufbauwerk für das Rheinwasser in den Tagebau Hambach bei Elsdorf aussehen.

So könnte das Einlaufbauwerk für das Rheinwasser in den Tagebau Hambach bei Elsdorf aussehen.

Die Folge: Nicht der weitere Abbau von Braunkohle und der damit verbundene immense Eingriff in die Landschaft zwischen Rur und Rhein stehen dann mehr im Zentrum der Revier-Planungen, sondern das Thema „Wasser“. Verantwortlich für die enorm aufwendige Befüllung der Abbaugruben sowie die Bewahrung der Trinkwassernutzungs- und Wasserschutzgebiete ist der Tagebau-Betreiber, die RWE Power. Mit eingebunden in die Planungen dieser langfristigen und anspruchsvollen Aufgaben ist unter anderen der Erftverband mit Sitz in Bergheim – eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sich um Wasserbewirtschaftung in der Region kümmert. Der Verband hatte Anfang der Woche – zusammen mit der Zukunftsagentur Rheinisches Revier – eingeladen, um seine Rolle in dem Jahrzehnte dauernden Renaturierungsprozess an mehreren neuralgischen Standorten im Revier zu erläutern.

Das Ziel der drei Seen

„Ziel ist es, im Revier und in den angrenzenden Regionen bis Ende dieses Jahrhunderts wieder ein natürliches, sich selbst erhaltendes Wassersystem zu bekommen“, stellt Dietmar Jansen, Vorstandsmitglied im Erftverband heraus. In Zusammenarbeit mit dem Landesumweltministerium und dem Revier-Betreiber sei die Aufgabe des Verbandes, den ganzen Prozess bis zur Erreichung des formulierten Ziels wissenschaftlich zu begleiten, sprich an den kritischen Orten zu forschen und darüber laufend zu berichten.

Ein Hauptproblem der vertraglich und gesetzlich verankerten Renaturierungsmaßnahmen im Tagebaurevier wird bei den Erläuterungen der Experten jedoch immer wieder deutlich: Alle wissenschaftlich erstellten Prognosen, Szenarien und Modelle für die Zukunft des Reviers umfassen Zeiträume von mehr als einer Generation. Denn nicht nur die Befüllung der Tagebaugruben mit Rhein- und später auch Grundwasser, auch die fortlaufenden Versickerungsmaßnahmen (sog. Infiltrierungen) von Rheinwasser in die Grundwasserschichten nördlich des Tagebau-Reviers werden die bereits genannten 30, 40 Jahre und mehr andauern. In einer Jahreszahl ausgedrückt, hoffen die Experten, dass bis 2100 ein natürliches Ökosystem im Revier wiederhergestellt sein wird, wenn die Rahmenbedingungen so weiterlaufen, von denen man heute ausgehen könne.

Natürlich gibt es Leute, die abwinken, wenn sie diese Zeitspannen hören, und sagen: Das wird eh nie was.
Dietmar Jansen, Vorstandsmitglied im Erftverband

Viele der heutigen Bürger werden das somit nicht mehr erleben. Ein vom Erftverband gegründetes Kommunikationsprojekt mit Namen „Komm.Rhein.Revier.“ soll bei den Anwohnern rund um das Tagebau-Revier mehr Interesse für das Großprojekt und die geplanten Ziele wecken. „Natürlich gibt es Leute, die abwinken, wenn sie diese Zeitspannen hören, und sagen: Das wird eh nie was“, so Jansen weiter. Die Erfahrung bei den bisherigen Veranstaltungen seien jedoch durchaus ermutigend. „Wenn die Leute erfahren, dass es ab 2030 Kaskaden am Punkt der Rheinwassereinleitung zu sehen geben wird, dann gibt es auch mehr interessierte Nachfragen dazu. Denn das ist dann nicht mehr so fern“, berichtet Jansen.

Ebenso das Interesse wecken soll die Aussicht, dass sich am Anfang der Befüllung der dann mehr als 350 Meter tiefen Hambach-Grube der Wasserspiegel auch recht zügig anheben werde, weil das Loch unten trichterförmig steil nach unten abfällt, erläutert Boris Linden von der Neuland Hambach GmbH, die von den sechs Anrainerkommunen 2020 ins Leben gerufen wurde, um die Zukunft des Reviers mitzugestalten.

Am Ende – geplant ist bis 2070 – soll aus dem Tagebau Hambach ein Naherholungssee entstehen mit einer circa 35,5 Quadratkilometer großen Wasserfläche. Neben vielen Bade- und Wassersportmöglichkeiten sollen Freizeithafenanlagen und Naturschutzflächen geschaffen werden (siehe Bild und Kasten). Für die Tagebaugebiete Inden und Garzweiler sind vergleichbare Ziele geplant. Doch das ist Zukunftsmusik.

Pumpstation und Wasserleitung

Wie wird das Wasser vom Rhein in die Tagebaugruben gelangen? Die Pläne dazu liegen vor, die Baugenehmigungen dazu stehen jedoch noch aus, werden aber nach Aussage des Betreibers RWE Power Ende des Jahres erwartet. Bei Dormagen-Rheinfelden entstehe zudem bis spätestens 2030 eine 45 Meter breite und oberirdisch 40 Meter lange Pumpstation mit 18 Pumpen, die das Rheinwasser nach Garzweiler und Hambach befördern sollen und dabei einen Höhenunterschied von rund 60 Metern überwinden müssen. Die Leitungen, die das Rheinwasser zu den großen Tagebaugruben Hambach und Garzweiler befördern werden, haben ebenfalls beachtliche Ausmaße: Drei 2,20 Meter dicke Wasserleitungen werden über knapp 22 Kilometer auf einer 60 bis 70 Meter breiten Trasse bis zur Verteilerstation Allrath geführt. Die Leitung von da zur Tagebaugrube Hambach ist laut Planung rund 19 Kilometer lang; die zur Grube Garzweiler ist deutlich kürzer und wird etwa vier Kilometer lang sein.

Pumpstation des Wasserwerks Uevekoven am Rande des Tagebaus: Die dortigen regelmäßigen Wasseranalysen legen dar, welchen Einfluss das in den Boden infiltrierte Tagebau-Grundwasser hat.

Pumpstation des Wasserwerks Uevekoven am Rande des Tagebaus: Die dortigen regelmäßigen Wasseranalysen legen dar, welchen Einfluss das in den Boden infiltrierte Tagebau-Grundwasser hat.

Die Einleitung des Rheinwassers in die Hambacher Tagebaugrube soll gemäß dem Sieger-Entwurf der „Neuland Hambach GmbH“ von Mitte Februar dieses Jahres mit dem Start ab 2030 anschaulich und für Besucher spektakulär in einer Kaskaden-Konstruktion bewerkstelligt werden (siehe Bild oben). Von dem dann neu errichteten Aussichtspunkt „:porta sophia“ sollen die Besucher von oben auf die Anlage blicken können – so die Planungen der Neuland Hambach GmbH.

Wasserschutz und -qualität

Nördlich grenzt das Revier an die Feucht- und Wasserschutzgebiete Schwalm-Nette. Sogenannte Infiltrierungsanlagen sorgen dafür, dass der Grundwasserspiegel in dieser Region durch die massiven Eingriffe des Tagebaus in den natürlichen Wasserhaushalt nicht absinkt und zum Beispiel wichtige Feuchtgebiete zerstört werden. „Die RWE pumpt daher rund um die Uhr das Sümpfungsgrundwasser aus der Tagebaugrube Garzweiler in ein Leitungsnetz, das stetig Wasser in sogenannte Infiltrierungsanlagen speist. Hier versickert das Wasser in die Grundwasserschichten und stabilisiert so die ausreichende Versorgung der Feucht- und Wasserschutzgebiete“, erläutert Stefan Simon vom Erftverband. Anhand einer Karte zeigt der Grundwasserexperte, dass im Norden der Garzweilergrube der sogenannte „Schwalm-Riegel“ errichtet wurde, der allein 85 dieser Anlagen umfasst (siehe auch Infokasten).

Für die Wasserqualität hat diese künstliche Einführung des Grubenwassers auch positive Eigenschaften, wie zum Beispiel die Analysen im Wasserwerk Uevekoven zeigen: Da das Sümpfungswasser aus den tiefen Schichten der Grube zum Beispiel wenig Nitrat enthält, sind seit dem intensiven Einsatz der Infiltrationsanlagen seit Beginn der 2000er Jahre in dem landwirtschaftlich geprägten Einzugsbereichs dieses Wasserwerks die schädlichen Nitratkonzentrationen deutlich nach unten gegangen.

Ein besonderes Augenmerk seitens des Erftverbandes gilt den geschützten Feuchtgebieten in der Region wie in Holtmühle bei Wegberg. Denn allein ein Absinken des dortigen Grundwasserspiegels von wenigen Zentimetern macht sich in der Bodenbeschaffenheit und der örtlichen Pflanzenwelt schnell bemerkbar. „In sumpfigen Böden wachsen nur angepasste Pflanzen wie Erlenbäume oder die Sumpfdotterblume. Wenn die Böden trockener werden, übernehmen schnell andere Pflanzen den Raum“, so Renate Jaritz, die im Erftverband für die Prüfung der Folgen des Tagebaus Garzweiler zuständig ist. Daher werden die künstlichen Infiltrierungen auch nach dem Ende des Tagebaus in rund fünf Jahren weitergehen, um dieses sensible Ökosystem zu bewahren. Allerdings wird dann gereinigtes Rheinwasser für die noch über Jahrzehnte andauernde Einspeisung der Anlagen eingesetzt, bis die Natur am Ende des Jahrhunderts das Ökosystem wieder alleine regeln kann.

Und wenn die drei großen Seen dann erst einmal da sind, können auch die Bewohner des Reviers aufatmen und das Wasser wieder seinen natürlichen Gang gehen. Wann das sein wird? Spätestens 2100.