Interview mit FC-Sportchef„Sind zuletzt an unserer mangelnden Reife gescheitert“

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FC-Sportchef Christian Keller

FC-Sportchef Christian Keller

Christian Keller (43) vollzieht einen fliegenden Wechsel. Kaum hat der Sport-Geschäftsführer des 1. FC Köln sein Gespräch mit Trainer Steffen Baumgart beendet, steht er Martin Sauerborn für ein Interview zur Lage des Fußball-Bundesligisten zur Verfügung.

Herr Keller, bevor Sie nach Austin gekommen sind, waren Sie zwei Tage zum Thema Internationalisierung in New York. Wie sind die Gespräche mit den Vertretern von DFL und MLS gelaufen?

Wir haben etwas über die Internationalisierungsziele anderer Organisationen gelernt und können unsere Ziele daran spiegeln. Es gab einen sehr guten Termin mit den Verantwortlichen für internationale Vermarktung von Borussia Dortmund und gute Gespräche etwa mit den Chefs von Lufthansa und Miele, die das USA-Geschäft ihres Unternehmens leiten.

Wie funktioniert Internationalisierung?

Es geht nicht etwa primär darum, Partner als Sponsoren in ausländischen Märkten zu gewinnen, sondern darum Marktbekanntheit und Aufmerksamkeit in den ausländischen Zielmärkten zu erlangen, um auf diese Weise für im Ausland beheimatete Unternehmen, die den deutschen Markt durchdringen wollen, als Partner interessant zu werden. Daneben ist es ein wichtiges Ziel, die internationalen Vermarktungsaktivitäten der DFL zu unterstützen, um die mediale Auslandsvermarktung der Bundesliga ertragreicher zu machen. Also die Bundesliga präsenter machen, damit die Fußballfans in einem ausländischen Zielmarkt sich die Bundesliga im TV anschauen. Drittes wesentliches Ziel ist, ein Land als Scouting-Markt zu sehen.

Welche Möglichkeiten bieten sich für den 1. FC Köln?

Es ist keine neue Erkenntnis, dass ein Club regelmäßig international spielen muss, um wirkungsvoll einen internationalen Markt durchdringen zu können – und zwar nicht Conference-, sondern Champions League.

So eine Reise ist grundsätzlich ein teurer Spaß. Kann sich der FC so etwas überhaupt leisten?

Die Reisekosten sind durch einen DFL-Fördertopf sowie Ticket- und Sponsoring-Einnahmen aus unserem Spiel gegen den VfB Stuttgart größtenteils abgedeckt.

Sie sind seit 1. April Geschäftsführer Sport. Der FC steckt mit 17 Punkten aus 15 Spielen im Abstiegskampf. Wie fällt Ihr Zwischenfazit dieser Saison aus?

Ich bin mit der Leistung und Entwicklung der Mannschaft unter den gegebenen Rahmenbedingungen sehr einverstanden, mit der Punkteausbeute nicht. Wir könnten sechs bis acht Punkte mehr haben. Dass es nicht geklappt hat, liegt daran, dass wir zuletzt an unserer mangelnden Reife gescheitert sind. Sicher gab es auch Ausfälle von wichtigen Spielern wie Dejan Ljubicic und Mark Uth und eine hohe Belastung, aber bis auf das 0:2 in Freiburg waren wir konkurrenzfähig. Uns hat zuletzt in beiden Strafräumen die Konsequenz gefehlt, um in der Offensive aus unseren zahlreichen Chancen mehr Tore zu erzielen sowie in der Defensive über 90 Minuten fokussiert zu verteidigen und individuelle Aussetzer zu vermeiden..

War das bei Ihrer Kaderzusammenstellung im Sommer eingepreist?

Diese Entwicklung war mir komplett bewusst, weil wir aufgrund unserer finanziellen Situation Spieler mit Potenzial und ohne große Bundesligaerfahrung holen mussten, also keine fertigen Spieler verpflichten konnten. Für alle Neuzugänge galt, dass sie Zeit brauchen.

Wie viel Zeit?

Alle Sieben haben bis hierhin Schritte nach vorne gemacht, der eine mehr, der andere weniger. Jeder hat noch Luft nach oben, das kann aber auch gar nicht anders sein.

Ein Hauptmanko liegt in der Offensive, wo Steffen Tigges und Sargis Adamyan hinter den Erwartungen geblieben sind. Wie sehen Sie diese beiden Spieler?

Steffen Tigges fehlt noch etwas zu einem fertigen Bundesligaspieler, aber wenn er weiter so arbeitet, wird er irgendwann in der Lage sein, konstant so gute Leistungen wie gegen Wolfsburg und Augsburg abzuliefern. Sein größtes Entwicklungsfeld ist, dass er sich mehr in der Box aufhalten muss. Dort liegt seine Qualität. Er muss seinen hohen Bewegungsdrang in die Richtung kanalisieren, in der er gefährlich sein kann.

Und Adamyan?

Sargis kann ein gutes Bundesliganiveau auf den Platz bringen. Das hat er aber nur in Ansätzen gezeigt. Da erwarten wir und er selbst mehr. Am Anfang hatte er Trainingsrückstand. Als er den aufgeholt hatte, gab es im gesamttaktischen Verständnis ein paar Adaptionsschwierigkeiten. Bei unserer Art Fußball zu spielen, muss er als eher intuitiver Spieler das Muster besser annehmen. Darüber denkt er noch zu viel nach. Ich lege mich aber fest: Sargis wird noch rechtfertigen, warum er da ist.

Die Öffentlichkeit fordert einen neuen Stürmer in der Winterpause. Sehen Sie auch die Notwendigkeit?

Ich setze ein Fragezeichen hinter einen Wintertransfer. Ein weiterer Stürmer würde uns zwar sicher gut tun, aber das Wintertransferfenster ist oft nicht allzu ergiebig. Nach Tony Modestes Wechsel hätten wir schon im Sommer noch einen Stürmer geholt, wenn es möglich gewesen wäre.

Es gab aber keinen?

Doch es gab einen, mit dem wir uns auch einig waren. Er hat es sich dann überraschend kurzfristig anders überlegt hat, was nicht an der Finanzierbarkeit lag. Unabhängig davon können wir mit dem aktuellen Kader unser Saisonziel erreichen, wenn er geschlossen beisammen ist. Saisonziel ist und bleibt dabei, so schnell wie möglich 40 Punkte zu holen. Wenn sich im Winter die Chance bietet, einen Stürmer zu verpflichten, den wir nächsten Sommer ohnehin holen wollen, werden wir es tun. Momentan haben wir aber noch keinen.

Und einen Spieler leihen?

Ich bin kein Freund von Leihen im Wintertransferfenster. Er müsste direkt helfen und das ist bei halbjährigen Leihen im Winter selten der Fall. Da reicht ein Blick auf die FC-Transferhistorie im Winter. Die meisten Spieler brauchen Zeit.

Kommt Trainer Steffen Baumgart nicht und fordert einen neuen Stürmer?

Nein, er kennt ja den Gesamtkontext, in dem wir uns bewegen und glaubt an seine Mannschaft. Die wesentlichen Dinge sehen wir gleich.

Gibt es andere Positionen, auf denen Sie Bedarf sehen?

Ich habe ja gesagt, dass wir in beiden Strafräumen Baustellen haben. Wenn alle in der Kette ihr bestes Niveau spielen würden, hätten wir keine Probleme, tun sie aber nicht. Spätestens im Sommer wird es in der Defensive Verstärkungen geben.

Auch, weil Jonas Hector eventuell seine Karriere beendet?

Jonas ist meiner Meinung nach aktuell der beste Linksverteidiger in Deutschland. Ich habe mich mehrfach mit ihm ausgetauscht und die Stoßrichtungen sind klar. Wir hätten gerne, dass er mindestens eine Saison weiterspielt und er überlegt noch.

Sie müssen planen. Bis wann brauchen Sie seine Entscheidung?

Ich bin gegen Deadlines. Selbst wenn wir lange warten würden und vorsorglich Ersatz geholt hätten, finden wir immer einen Platz für Jonas.

Am Ende der Saison laufen einige Spielverträge aus. Wie weit sind Sie diesbezüglich in Ihren Planungen?

Die Spieler sollen früh wissen, wie der Club sie sieht. Die WM-Pause bietet Gelegenheit mit allen zu sprechen, deren Verträge enden.

Müssen sich die Spieler, mit denen Sie verlängern wollen, auf neue Konditionen einstellen?

Wir brauchen eine weitere Reduktion im Gesamthaushalt, um strukturell nicht mehr defizitär zu sein. Der Plan ist, das Gehaltsgefüge homogener zu gestalten. Es gibt aber auch noch Spieler mit Altverträgen bis 2024.

Können Sie sich vorstellen, dass Timo Horn trotz seines neuen Status als Nummer zwei im Tor verlängert?

Ich kann mir vieles vorstellen, rede aber außer mit Timo nicht darüber. Er geht mit seiner neuen Position exzellent um und wird  in der Kabine seiner Rolle als Führungsspieler gerecht.

Was ist mit Ellyes Skhiri, um den sich ja immer Gerüchte ranken, dass er den FC verlassen könnte?

Ellyes ist ein Leistungsträger und ein Musterprofi mit internationalem Format. Danach strebt er mit fast 28 und macht auch keinen Hehl daraus. Er würde seine Ambitionen aber auch gerne mit dem FC realisieren.

Würde der FC einen Abgang von Hector uns Skhiri nächsten Sommer verkraften können?

So eine Qualität könnten wir nicht so einfach wieder einkaufen. Das müssten wir im Kollektiv auffangen. Grundsätzlich ist aber Jeder zu ersetzen, sonst würde sich die Erde ja nicht mehr weiterdrehen. Der FC hängt nicht an einzelnen Personalien, das fängt oben bei der Geschäftsführung an. Das muss jeder wissen, dann nimmt sich auch keiner zu wichtig.

Auf der Geschäftsstelle haben Sie gemeinsam mit Ihrem Geschäftsführer-Kollegen Philipp Türoff Veränderungen auf den Weg gebracht. Wie läuft dieser wichtige Prozess?

Wir wollen den Club finanzwirtschaftlich gesunden, organisatorisch leistungsfähiger machen und perspektivisch die Infrastruktur verbessern. Wir konnten erste Schritte realisieren, es müssen weitere folgen.

Hatten Sie eine ungefähre Ahnung davon, was Sie erwartet?

Ich hatte aufgrund der Gespräche mit den Gremien eine Vorstellung von den groben Rahmenbedingungen. Die Ausprägungen hätte ich mir so im Detail aber nicht vorgestellt. Das ist aber letztlich auch egal. Entscheidend ist, dass wir nach vorne etwas in Bewegung setzen, nachhaltig und personenunabhängig.

Auf der Geschäftsstelle am Geißbockheim soll es kräftig rumoren.

Wir haben Änderungen angestoßen, die nicht jedem gefallen. Wir wollen auf allen Ebenen Mitarbeiter so einsetzen, dass sie ihr Potenzial entfalten können. Das ist unabdingbar, davon lassen wir uns nicht abbringen. Dass der FC seiner Größe und Strahlkraft über Jahrzehnte nicht gerecht geworden ist, hat Ursachen und die gehen wir an. Man muss es dabei auch mal aushalten, dass nicht alle zufrieden sind und Widerstände kommen. Es geht um Kulturveränderung und da ist im Geißbockheim ein dickes Brett zu bohren.

Im Nachwuchsleistungszentrum gab es bereits einschneidende Veränderungen. Sie haben die Doppelspitze abgeschafft. Warum?

Ich bin der festen Überzeugung, dass am Schluss einer das Sagen haben muss. Wir hatten Abteilungen mit mehreren Köpfen wie das NLZ. Das wollten wir nicht mehr. Bei der Neubesetzung haben wir zunächst nach innen geschaut und mit Lukas Berg unsere Wunschlösung gefunden. Lukas hat die erforderliche Kompetenz, um das NLZ als unsere größte und hochrelevante Abteilung zu leiten. Nachwuchs ist Zukunft, vor allem für uns als Entwicklungsclub. Dabei nimmt auch die Bedeutung von Carsten Schiel in seiner neuen Funktion als Koordinator Pädagogik & Psychologie für alle drei sportlichen Bereiche zu, obwohl er fortan nicht mehr einer von zwei NLZ-Leitern ist. Wir müssen auf weiche Wettbewerbsfaktoren setzen, um uns Vorteile zu verschaffen. Dazu gehört unter anderem eine leistungsfähige Struktur.

Welche dieser Faktoren gibt es noch beim FC?

Dass wir in einzelnen Bereichen ein enormes Zusammengehörigkeits- und Zugehörigkeitsgefühl haben. Alles was zusammenhält, ist nicht kaputt zu kriegen. Wir müssen es schaffen, dass dies für die gesamte Organisation gilt. Ich mag das Allürenhafte im Profifußball nicht. Und beim FC ist das klassische Vereinsleben noch nicht verloren gegangen. Das gilt es zu stärken. Darüber hinaus gibt es noch weitere weiche Faktoren wie unter anderem ein klarer konzeptioneller roter Faden, der alles Denken und Handeln leitet.

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