Ex-Torwart glaubt an Titelgewinn„In diesem Jahr ist bei Bayer Leverkusen alles anders“

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 Torwart Rüdiger Vollborn Bayer 04 Leverkusen jubelt nach dem entscheidenden Elfmeter zum UEFA Cup Sieg, Zuniga Espanyol Barcelona dreht enttäuscht ab

Torwart Rüdiger Vollborn Bayer 04 Leverkusen jubelt nach dem entscheidenden Elfmeter zum UEFA Cup Sieg, Zuniga Espanyol Barcelona dreht enttäuscht ab

Bayer 04 Leverkusen hat in seiner Club-Historie zwei Titel gewonnen und Rüdiger Vollborn war beide Male dabei. Alexander Wolf hat mit dem ehemaligen Torwart gesprochen.

Herr Vollborn, ich erreiche Sie nicht etwa bei der Archivarbeit für Bayer 04, sondern nach einer Knie-OP im Krankenhaus. Wie geht es Ihnen?

Den Umständen entsprechend gut. Nachdem ich zu lange ohne Knorpel, nur Knochen auf Knochen, gelaufen bin habe ich mich endlich getraut. Im Dezember habe ich schon das linke Knie machen lassen und das ist sehr gut verlaufen. Jetzt war im März das rechte dran und dann bin ich bis zum Lebensende durch und kann normal mit meiner Frau in der Stadt einkaufen gehen, ohne mich alle fünf Meter hinsetzen zu müssen.

Bedeutet, Sie hüten das Krankenbett und fallen als Glücksbringer für die Werkself live vor Ort aus?

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Ja, noch ist das gut gegangen. (lacht) Aber ich lag ja auch im Dezember im Krankenhaus und bin deswegen relativ zuversichtlich, dass es funktioniert. Sonst bin ich bei den Heimspielen eigentlich immer vor Ort.

Gibt es Kontakt zur Mannschaft, wenn Sie in der BayArena sind?

Nein, ich bin einfach Fan und habe sonst keine besonderen Berührungspunkte mehr. Wenn ich den Lukas Hradecky sehe, dann sagen wir uns „Guten Tag„ und mit Jonathan Tah ist es dasselbe. Die beiden sind schon sehr lange hier, die kennen mich natürlich. Ich denke aber, dass der Großteil der Mannschaft gar nicht so genau weiß, wer ich bin. Die gucken nicht so oft ins Archiv wie ich. Und das ist auch gut so – die sollen besser nach vorne schauen.

Dabei hätten Sie als zweifacher Titelträger mit Bayer 04 sicher den ein oder anderen Tipp parat?

Nein, da gibt es keinen regen Austausch. Ich wäre auch bescheuert, wenn ich runter in die Kabine liefe und denen erzählte so und so holt man Titel. Das ist eine ziemlich seltsame Vorstellung und auch überhaupt nicht nötig. Ich habe noch nie einer Mannschaft so blind vertraut wie dieser aktuellen.

Das spürt auch der letzte Zuschauer auf dem hintersten Platz im Stadion, dass da unten eine Einheit steht.
Rüdiger Vollborn, über den Zusammenhalt von 1988

Dabei waren Sie selbst Teil des Teams, das vor 36 Jahren ein 0:3 im Finalrückspiel gegen Espanyol Barcelona wettmachen und auch dank Ihnen im Elfmeterschießen zum Europapokal-Sieger werden konnte. Was hat diese Leverkusener Mannschaft ausgezeichnet?

Die Verbundenheit, die Einheit. Das ist genau das gleiche wie jetzt auch. Wenn eine Mannschaft Erfolg hat, wird das zwar immer erzählt. Nur habe ich das Gefühl, dass der Zusammenhalt und die Verbundenheit in der aktuellen Mannschaft schon da waren, bevor überhaupt das erste Mal gegen den Ball getreten wurde. Das spürt auch der letzte Zuschauer auf dem hintersten Platz im Stadion, dass da unten eine Einheit steht, von der Nummer eins bis zum Zeugwart. Das ist alles eins, und das hat Xabi Alonso geschaffen. Bei uns war das „88 auch so ähnlich, allerdings war die Bundesliga-Saison furchtbar. (Platz 8 in der Endabrechnung; Anm. d. Red.). Wir haben uns extrem auf die internationalen Spiele konzentriert und uns da wirklich zusammengerauft und hochgezogen.

Dieser Spagat ist der aktuellen Werkself mit 38 ungeschlagenen Pflichtspielen in drei Wettbewerben bislang perfekt gelungen.

Das ist eine Kunst und das weiß ich aus eigener Erfahrung. Man redet immer davon, dass man sich auf das nächste Spiel fokussiert und die anderen Spiele danach ausblendet. Ich für meinen Teil habe mich aber trotzdem zu viel mit diesem Drumherum beschäftigt. Auch wenn wir durchaus mal Erster waren, konnten wir so nie den richtigen Zugang zu diesem Meistertitel bekommen. Das muss man lernen und das hat der Trainer ihnen jetzt beigebracht.

Im Finale musste ich nicht einen einzigen Ball halten.
Rüdiger Vollborn, über das Pokalfinale 1993 gegen die Hertha-Amateure

Der DFB-Pokal aus dem Jahr 1993 steht trotzdem in Ihrer Trophäen-Sammlung. Ist die damalige Final-Situation gegen die Hertha-Amateure mit der aktuellen vergleichbar. Bayer 04 ist im Halbfinale der einzig verbliebene Bundesligist?

Im Finale musste ich nicht einen einzigen Ball halten, so überlegen waren wir. Aber es war ein besonderer Druck, weil ganz Deutschland gegen uns war, die meisten hielten zum krassen Außenseiter. Für uns waren nur Bayer 04-Fans und noch die des Karlsruher SC, weil der durch unseren Sieg auch international spielen durfte. Wenn wir uns gegen Düsseldorf durchsetzen und ins Endspiel kommen sollten, könnte es dieses Jahr eine ähnliche Konstellation geben. Saarbrücken als Drittligist ist zwar kein Amateurverein. Aber wir wären gegen sie oder gegen Kaiserslautern klarer Favorit in Berlin. Es würden sich wohl wieder viele darüber freuen, wenn der Kleine den Großen schlagen kann.

Im 50. Endspiel um den Deutschen Fußballpokal setzte sich Bundesligist Bayer Leverkusen am 12.06.93 im Berliner Olympiastadion gegen die Amateure von Hertha BSC mit 1:0 (0:0) durch und nimmt in der kommenden Saison am Europacup der Pokalsieger teil. Das Siegerfoto: Vorn v.l.n.r.: Josef Nehl, Christian Wörns, Torschütze Ulf Kirsten (mit Pokal), Kapitän Franco Foda und Heiko Scholz. Hinten v.l.n.r.: Stefan Hanke, Marcus Happe, Pavel Hapal. Ioan Lupescu Andreas Fischer, Torhüter Rüdiger Vollborn und Guido Hoffmann. Foto: Altwein Andreas/dpa (zu dpa-Meldung: «Bayers Sehnsucht nach Titeln - Schmidt: Nicht Lichtjahre entfernt» vom 08.02.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit

Im 50. Endspiel um den Deutschen Fußballpokal setzte sich Bundesligist Bayer Leverkusen am 12.06.93 im Berliner Olympiastadion gegen die Amateure von Hertha BSC mit 1:0 durch. Vorn v.l.n.r.: Josef Nehl, Christian Wörns, Torschütze Ulf Kirsten (mit Pokal), Kapitän Franco Foda und Heiko Scholz. Hinten v.l.n.r.: Stefan Hanke, Marcus Happe, Pavel Hapal. Ioan Lupescu Andreas Fischer, Torhüter Rüdiger Vollborn und Guido Hoffmann.

Der Fußball, den die Werkself aktuell spielt, macht aber weite Teile Fußballdeutschlands zu Sympathisanten oder sogar zu Fans.

Die Dimensionen kann man höchstens noch mit 2001, 2002 vergleichen, aber eigentlich sind wir da schon drüber. Auch in meinem privaten Umfeld und weit darüber hinaus gibt es tatsächlich sehr viele Menschen, die von unserer Mannschaft begeistert sind. Ich leite fünf, sechs Mal im Jahr eine Legendentour durch das Stadion. Da sieht man zu den 80 Prozent Älteren auch immer öfter jüngere Fußballfans. 20- bis 30-Jährige, die sich dafür interessieren, wie das damals so gewesen ist. Natürlich leben die meisten im Hier und Jetzt und im Zeitalter von Social Media ist alles viel schnelllebiger. Doch unser heutiges Team begeistert die meisten, die diese Touren besuchen. Ich als gebürtiger Berliner versuche auch den Leverkusenern in Vorträgen Selbstvertrauen zu geben. Dass sie stolz auf ihre Stadt und ihre Vereine sein können und wissen, dass wir bei Bayer 04 echte Tradition haben, die nur anders entstanden ist, eben aus dem Werk heraus.

Mein Gefühl sagt mir, dass Xabi Alonso nicht geht.
Rüdiger Vollborn

Positive Entwicklungen in Vereinen sind immer auch personenabhängig. Fürchten Sie einen Abgang von Xabi Alonso?

Nein, ich gehe von einer nachhaltigen Entwicklung aus. Wir werden zwar sicher nicht zu einem zweiten Bayern München. Aber ich denke, dass in diesem Jahr alles zusammenkommt, alles eins ist. Wie lange uns Xabi Alonso noch erhalten bleibt, hängt vermutlich daran, wie wohl er sich fühlt und wie viel Spaß es ihm hier macht. Natürlich ist er prädestiniert, mal einen ganz großen Verein zu trainieren. Aber wenn mir das gelungen wäre, eine Mannschaft so zu trainieren und dahin zu bringen, wo wir gerade sind, würde mich es extrem reizen, im nächsten Jahr zu schauen, wie ich mit dieser Mannschaft in der Champions League abschneide. Natürlich wird er sich hohe Ziele gesteckt haben, aber mein Gefühl sagt mir, er geht nicht.

Auf der Spielerseite haben Sie Jonas Hofmann und Granit Xhaka als „Königstransfers“ bezeichnet. Warum diese beiden und nicht etwa Grimaldo oder Boniface?

Königstransfers waren die beiden anderen für mich auch. Aber es geht dabei nicht nur um das Auftreten auf dem Platz. Für die Kabine sind Spieler wie Xhaka oder Hofmann extrem wichtig. Wenn du als 20-, 22-Jähriger auf einmal oben mitspielst und du schaffst es nicht, denkst du dir: „Ach, wir haben doch noch zehn Jahre Zeit.“ Diese älteren Spieler sagen dir dann aber: „Niente, ist nicht. Du hast nicht noch Jahre Zeit, sondern jetzt ist dieser Moment, diesen müssen wir ernstnehmen und es dieses Jahr so machen, dass wir es schaffen. Wobei natürlich auch Grimaldo diese Erfahrung hat mit seinen Titelgewinnen in der Vergangenheit.

Granit Xhaka hat vor der Länderspielpause die historische Dimension eines Titels mit Bayer Leverkusen angedeutet. Wie würden Sie das einordnen?

Spezielle Stimmung bei Mannschaft und Fans

Dieser Tragweite sind sich die jüngeren Spieler vermutlich nicht bewusst. Aber sollten sie dieses Jahr einen Titel holen, egal welchen, nur einen einzigen Titel, dann werden sie in 25 Jahren eingeladen vom Verein, stehen unten auf dem Rasen und ich garantiere, dass das ganze Stadion stehen wird. Ich habe es selbst erlebt. Wenn nicht Heilige, dann werden sie in jedem Fall Legenden. Und das auf ewig. Was helfen mir elf Titel mit Bayern München, da bin ich nur einer von vielen. Aber ein Titel mit Bayer 04 Leverkusen, das ist wie bei Leicester City. Die Leicester-Spieler von 2016 sind heilig. Und genauso könnte es dieses Jahr bei Bayer 04 sein, wenn sie das Ding ziehen.

Anders als Trainer und Mannschaft, die schon seit der Hinrunde demütig und zurückhaltend agieren, wenn es um die deutsche Meisterschaft geht, haben Sie Besucher in der BayArena schon nach dem ersten Saisonspiel offensiv begrüßt.

Nach dem 3:2 gegen Leipzig habe ich wortwörtlich gesagt: „Wie fühlt man sich als Fans des Deutschen Meisters 2024?“ Allerdings habe ich auch dabei gelacht. Manchmal muss man die Dinge auch herbeireden. Ich habe 20 Jahre lang vorsichtig agiert — erstmal abwarten und so weiter. Die Mannschaft und die Klubführung machen das richtig. Sie konzentrieren sich, gewinnen – und zack, das nächste Spiel. Da habe ich als echter Fan aber keine Lust mehr drauf. Dieses Jahr ist alles anders, das spüre ich, das fühle ich seit dem ersten Spieltag. Die Stimmung innerhalb der Mannschaft, im Verein und unter den Fans ist speziell. Da ist etwas gewachsen! Und am Ende der Saison werden wir die Ernte einfahren – hoffe ich.


Zur Person

Rüdiger Vollborn wurde am 12. Februar 1963 in West-Berlin geboren und machte beim FC Mariendorf seine ersten fußballerischen Schritte. Parallel zu seiner Sportlerlaufbahn absolvierte der Beamten-Sohn eine Ausbildung zum Industriekaufmann, wurde im Tor von BW Berlin aber zum Profi. Als Junioren-Nationalkeeper wechselte er 1981 zu Bayer 04 und absolvierte in 18 Jahren 483 Pflichtspiele für die Werkself, davon 401 in der Bundesliga. Damit ist Vollborn, der nach seiner aktiven Zeit zwölf Jahre Torwarttrainer bei Bayer war und unter anderem René Adler betreute, bis heute Leverkusens Rekordspieler. 

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