Interview mit Moritz Müller„Bei uns gibt es keine Starallüren“

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Finale: Deutschlands Moritz Müller hält einen Pokal, nachdem sein Team die Silbermedaille gewonnen hat.

Der deutsche Kapitän Moritz Müller präsentiert stolz den Pokal für Silber bei der Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland.

2023 geht als besonderes Jahr in die Karriere von Moritz Müller ein. Nach dem Erreichen der 1000-Spiele-Marke in der DEL gewann der Kapitän der Kölner Haie mit der Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft sensationell Silber. Tobias Carspecken sprach mit ihm.

Herr Müller, wie viele Glückwunsch-Nachrichten haben Sie erhalten?

Es waren so viele, dass ich sie gar nicht alle zählen konnte. Los ging es schon während des Turniers mit dem Sieg im Viertelfinale gegen die Schweiz. Ich musste mein Handy dann irgendwann zur Seite legen, weil es zu viel wurde.

Wie ordnen Sie als Kapitän die WM-Silbermedaille ein?

Am meisten beeindruckt mich die Art und Weise, wie wir die Silbermedaille gewonnen haben. Wir haben uns diesen Erfolg über das gesamte Turnier hinweg im wahrsten Sinne des Wortes erspielt und nach den drei Niederlagen zum Vorrundenstart extreme mentale Stärke bewiesen. Dabei waren wir von dem ein oder anderen nach der Absage von 15 Spielern ja schon abgeschrieben gewesen.

Und im Vergleich zum olympischen Silber 2018?

Olympische Spiele sind durch das gesteigerte öffentliche Interesse immer noch etwas Größeres. Der sportliche Erfolg bei der WM ist aber mindestens genauso hoch einzuordnen.

Lassen sich beide Mannschaften miteinander vergleichen?

Es war tatsächlich vieles sehr ähnlich. Wir waren wieder eine eingeschworene Truppe, in der jeder bereit war, für den anderen alles zu geben und sich selbst nicht zu groß zu nehmen.

Worauf basiert dieser Geist?

Es hilft, wenn die vermeintlichen Starspieler sich so in die Gruppe integrieren, wie sie es getan haben. Ohne irgendwelche Starallüren. Nico Sturm, Moritz Seider und JJ Peterka waren sich alle nicht zu schade, Schüsse zu blocken. Und dann gehört noch die Bereitschaft dazu, offen zu sein, um sich in der Gruppe besser kennenzulernen.

Welche Rolle spielte dabei der See am Teamhotel in Tampere, in dem die deutsche Mannschaft regelmäßig baden gegangen ist?

Es war ein Faktor von vielen. Wir haben aus Spaß ein Ritual daraus gemacht, immer am Tag vor dem Spiel baden zu gehen. Zu Turnierbeginn waren wir zu dritt, am Tag vor dem Finale waren es mehr als 15 Spieler.

Wie war es?

Wie es so ist, wenn man zehn Minuten in einem nordeuropäischen Gewässer sitzt – kalt. Es waren unter zehn Grad.

Welchen Wendepunkt im Turnier haben Sie ausgemacht?

Den 0:1-Rückstand gegen Dänemark im vierten Vorrundenspiel. An diesem Punkt hätte das Turnier in eine ganz andere Richtung laufen können. Wenn wir das Spiel verloren hätten, hätten wir in Deutschland über einen möglichen Abstieg geredet.

Warum kann Deutschland inzwischen auch spielerisch mit den Topnationen mithalten?

Das findet alles im Kopf statt. Die DEL war in der Vergangenheit noch nordamerikanischer geprägt, als sie es heute ist; mit wenigen Spielern aus Deutschland, die über Erfahrung in verantwortungsvollen Rollen verfügen. Wo soll da der Glaube an einen selbst herkommen? Das hat sich nun zum Guten hin verändert.

Welchen Anteil hat der neue Bundestrainer Harold Kreis am WM-Erfolg?

Er hat das richtig gut gemacht. Es war mit Sicherheit keine einfache Situation für ihn, die erfolgreichen Toni Söderholm und Marco Sturm zu beerben.

Was zeichnet ihn aus?

Harry ist ein angenehmer Mensch. In allem, was er während des Turniers gemacht hat, war er sehr gelassen. Er hat nicht versucht, alles umzuwerfen. Er hat den Dingen vertraut und nur hier und da ein paar eigene Ideen eingebaut. Das Gefühl war einfach gut. Die Mannschaft hat sehr gerne für ihn gespielt.

Obendrein hat sich das DEB-Team direkt für Olympia 2026 qualifiziert. Ein realistisches Fernziel für Sie?

Ich habe drei von diesen Qualifikationsturnieren gespielt. Es gibt fast nichts Schlimmeres. Dass uns das nun erspart bleibt, ist Gold wert für die Generation, die nachrückt. Was mich persönlich betrifft: Mit 36 Jahren kann ich nicht sagen: „Ich will 2026 dabei sein.“ Ich schaue jetzt von Jahr zu Jahr, wie es passt.

Hätten Sie im Falle des WM-Titels Ihre Karriere in der Nationalmannschaft beendet?

Niemals, keine Chance. Ich habe weiterhin Spaß, Eishockey zu spielen. Es macht mir große Freude, in der Gruppe dabei zu sein. Warum sollte ich darauf verzichten?


Zur Person

2007 feierte Moritz Müller, geboren am 19. November 1986 in Frankfurt am Main, sein Debüt in der A-Nationalmannschaft. Seither nahm der Verteidiger an elf Weltmeisterschaften teil. Seine internationale Karriere krönte er mit der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang, bei denen die DEB-Auswahl die Silbermedaille gewann. Gleiches gelang ihm nun fünf Jahre später bei der Weltmeisterschaft in Finnland und Lettland.

2002 wechselte Moritz Müller nach Köln. Mit dem KEC gewann er 2008, 2013 und 2014 die Vizemeisterschaft. Am 24. Februar 2023 bestritt der Kapitän der Haie als neunter Spieler in der Historie der Deutschen Eishockey Liga seine 1000. DEL-Partie. Der Vertrag des dreifachen Familienvaters läuft bis 2024. (tca)


Ist mit WM-Silber das Maximum im deutschen Eishockey erreicht?

Nein, ist es nicht. Deutschland kann auch Weltmeister werden. Deutschland kann aber auch das Viertelfinale verpassen. Es ist ein schmaler Grat. Wir haben im Turnierverlauf gespürt, wie knapp es war, überhaupt ins Viertelfinale zu kommen, und wie viel Arbeit wir dafür investieren mussten. Das ist jedes Mal aufs Neue ein Husarenritt.

Welchen Effekt erhoffen Sie sich für das Eishockey in Deutschland?

Ich merke, dass sich in Deutschland gerade etwas verändert. Dass viele Menschen des Fußballs etwas überdrüssig sind und dass sie unsere leidenschaftliche Mannschaftsleistung honorieren. Das ist unsere Chance, neue Fans zu gewinnen – in einer Zeit, in der sich der Fußball immer weiter von der Gesellschaft entfernt. Zudem können wir unserem Eishockey-Nachwuchs nun zeigen: Wenn ihr weiter macht, könnt ihr später auch mal zur Weltspitze gehören.

Im Februar haben Sie die magische Grenze von 1000 Einsätzen in der DEL erreicht. Ist 2023 schon jetzt das bedeutsamste Jahr Ihrer Karriere?

Finde ich nicht. Aber es ragt im Vergleich zu anderen Jahren sicherlich heraus.

Fehlt Ihnen zum vollkommenen Glück noch ein Meistertitel mit den Kölner Haien?

Bei der WM waren vier Spieler dabei, die bereits Olympisches Silber gewonnen hatten (Dominik Kahun, Marcel Noebels, Jonas Müller und Moritz Müller; Anm. d. Red.). Gerne würde ich wie die drei anderen Jungs sagen können, Deutscher Meister gewesen zu sein. Dann wäre es komplett.

Wie ist Ihr Gefühl?

Die Haie sind insgesamt auf dem richtigen Weg. In der vergangenen Saison hat eine Kehrtwende stattgefunden. Die Namen der Jungs, die wir neu dazubekommen, lesen sich gut. Ich hoffe, dass es sportlich so weiter geht. Dann habe ich ein gutes Gefühl.

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