Abbau von BraunkohleViele Ideen für die Zukunft des Rheinischen Reviers
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Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler
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Bonn – Die alten und die neuen Ortschaften, die Tagebaue und Kraftwerke und auch die im Laufe der Jahrzehnte gewachsenen Renaturierungsflächen - Dieter Rüsenberg kennt all das ganz genau. Schließlich war der Bergheimer viele Jahre lang Abteilungsleiter im Kraftwerk Niederaußem. Heute arbeitet er als Lehrkraft und erklärt Besuchergruppen seinen ehemaligen Arbeitsplatz.
Das RWE-Braunkohlekraftwerk wurde 1963 in Betrieb genommen und immer wieder erweitert und modernisiert. Mit seinen neun Blöcken, von denen heute noch sieben in Betrieb sind, gilt es nach Neurath als zweitgrößtes in Deutschland. Zwei Blöcke, so will es die Politik, werden zunächst in eine sogenannte Sicherheitsbereitschaft versetzt und später stillgelegt. Insgesamt fünf Blöcke legt RWE im rheinischen Revier zwischen Ende 2017 und 2019 still; neben den zwei in Niederaußem auch drei Kraftwerksblöcke in Grevenbroich-Frimmersdorf und Grevenbroich-Neurath.
Als Entschädigung für die Stilllegung erhalten die Kraftwerksbetreiber RWE, aber auch Vattenfall und Mibrag für ihre Kraftwerke in Ostdeutschland über sieben Jahre insgesamt 1,61 Milliarden Euro. Die Kosten dafür werden auf die Stromkunden umgelegt. Das alles ist beschlossene Sache und hat Konsequenzen: Positive Auswirkungen für das Klima, weil weniger schädliche Braunkohle für die Stromerzeugung verbrannt wird. Negative für die Region, weil es zu Arbeitsplatzabbau und ziemlich sicher zu Kaufkraftverlust kommen wird.
"Geplant ist, dass zwischen 800 und 1000 Arbeitsplätze abgebaut werden", sagt Rüsenberg. "Darin nicht enthalten sind die Stellen, die im Zuge des Kostensenkungsprogramms entfallen", ergänzt Rüdiger Neil, Betriebsratsvorsitzender des Kraftwerks Niederaußem: "Uns Arbeitnehmervertretern ist es vor allem wichtig, dass der Personalabbau wenigstens sozialverträglich läuft. Aber die Arbeitsplätze sind natürlich für alle Zeiten weg und damit auch ihre Kaufkraft und die Steuern." Zurzeit sind im gesamten rheinischen Revier noch gut 2700 Menschen in den Kraftwerken beschäftigt, davon rund 600 in Niederaußem. In Tagebauen, Kraftwerken und Veredlungsbetrieben sind es insgesamt fast 12 000.
Das Kraftwerk in Niederaußem ist ein Gigant. Schon von Weitem, nach Verlassen der Autobahn 61 überragt es weithin sichtbar die Landschaft. Mit mehr als 170 Metern Höhe überragt der jüngste Teil sogar den Kölner Dom.
Das Kraftwerk ist groß und hungrig. Rund 60 Züge voll beladen mit Braunkohle rollen täglich auf das Werksgelände, etwa 80 000 bis 90 000 Tonnen des Rohstoffs am Tag verschwinden in Kohlebunkern, Mühlen und Öfen. Aus Braunkohle wird im Revier an Erft und Rur Strom gemacht. Alle Kraftwerke zusammen decken 13 Prozent des deutschen Strombedarfs. Niederaußem allein kann vier Millionen Menschen mit elektrischer Energie versorgen. Die Braunkohle, die dazu benötigt wird, fördert RWE ungefähr je zur Hälfte im 22 Kilometer entfernten Tagebau Hambach und im etwas weiter entfernt gelegenen Garzweiler. Das Prinzip ist einfach: Braunkohle wird getrocknet, gemahlen und pulverisiert verbrannt. Der erzeugte Dampf treibt eine Turbine an. Mittels Generatoren wird Strom erzeugt.
Was RWE zu schaffen macht, ist der anhaltend niedrige Börsenstrompreis. Seit Jahren schrumpfen die Gewinne. Sinkende Gewinne, gleichbleibende Fixkosten, endliche Rohstoffreserven: In wenigen Jahrzehnten kommt im rheinischen Revier ohnehin das Aus für den Tagebau. Die Kohlevorräte in Hambach und Garzweiler reichen bei gleichbleibender Förderung bis 2045, Inden dürfte 2030 ausgekohlt sein.
Aus der Politik kamen jüngst immer wieder Rufe nach einem früheren Ausstieg, weil Deutschland sich auf der finalen UN-Klimakonferenz in Paris Ende 2015 zu ehrgeizigen Klimaschutzzielen bekennen musste. So halten es die Grünen etwa für möglich, schon in 15 Jahren komplett aus der Braunkohle auszusteigen - ohne dass Beschäftigte ohne Job dastehen.
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte im November - kurz vor der Klimakonferenz - ein Ende der Braunkohle in 20 bis 25 Jahren ins Gespräch gebracht, musste aber einlenken, als ihre Parteifreundin und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erklärte, dies sei nicht die Position der Bundes-SPD. Bis Sommer will Hendricks einen langfristigen Klimaschutzplan vorlegen. Sie stellte jüngst sogar eine Förderung des Strukturwandels in Aussicht, an dem sich der Bund beteilige.
Die Zeit nach der Kohle
Die Menschen werden das mit Wohlwollen gehört haben. Längst laufen die Planungen für die Zeit nach der Kohle. Ron Brinitzer, bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein Leiter der Geschäftsbereiche Innovation, Umwelt und International, fordert: "Die Innovationsregion Rheinisches Revier muss Angebote schaffen." Über einen Ideenwettbewerb wurden Projektvorschläge eingereicht, 75 davon werden weiter qualifiziert. Angedacht ist eine Modellregion für Energiewende und Klimaschutz. Es geht um regenerative Energieerzeugung, intelligente Verteilung, Speicherung oder innovative Mobilitätskonzepte. Chancen sieht er auch für Ansiedlungen im Bereich Logistik.
An den Speckgürtel um Köln denkt der Hauptgeschäftsführer der dortigen IHK, Ulf Reichardt. Wenn die Rekultivierung gelungen sei und die digitale Infrastruktur stimme, "könnte ich mir gut attraktive Camps mit wissenschaftlichem Hintergrund oder Start-ups vorstellen".
Alternative Nutzungsmöglichkeiten
Auch RWE will für die Zukunft vorbereitet sein und forscht an alternativen Nutzungsmöglichkeiten der Braunkohle. "Fast alles, wofür man Erdöl verwendet, kann auch mit Braunkohle erzeugt werden. Die Produkte haben zum Teil sogar bessere Nutzungs- und Umwelteigenschaften als die ölbasierten Erzeugnisse. Hinzu kommt, dass unsere heimische Braunkohle reichlich verfügbar und frei von geopolitischen Risiken ist", sagt der Leiter des Kraftwerks Niederaußem, Michael Wagner.
Im Kreis Düren hat die Entwicklungsgesellschaft Indeland schon eine Vision für 2060 entwickelt: Rund um den Blausteinsee und das "Indesche Meer" ist eine Freizeit- und Erlebniswelt geschaffen. Gewerbeflächen, so stellt es sich die Entwicklungsgesellschaft vor, sind Mangelware. Viele Unternehmen haben sich durch Kooperationen mit der RWTH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich prächtig entwickelt. 30 Jahre hat es gedauert, bis der ehemalige Tagebau Inden vollgelaufen ist - mit Hilfe eines Kanals, der Rheinwasser in die Region gebracht hat. Aber nun ist der See mit einer Fläche von elf Quadratkilometern der größte in NRW. Im Jahr 2100 soll auch der Tagebau Hambach vollgelaufen sein.