Interview mit ArbeitsmedizinerWarum Bus- und Bahnfahrer so oft krank werden

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Bei der KVB gibt es derzeit einen besonders hohen Krankenstand.

Bei der KVB gibt es derzeit einen besonders hohen Krankenstand.

Der Arbeitsmediziner Dr. Dennis Nowak erklärt, warum unter anderem die KVB einen Krankenstand um die 20 Prozent haben – und wie Arbeitgeber die Gesundheit der Mitarbeiter verbessern können.

Dr. Dennis Nowak ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin sowie Direktor des Instituts und der Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er spricht mit Elena Pintus darüber, warum Bus- und Bahnfahrer so oft krank werden.

Bei diversen Betreibern im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) liegen die Krankenstände aktuell zwischen 15 und 20 Prozent. Können Sie eine Einschätzung geben, warum die Zahlen derzeit so ungewöhnlich hoch sind?

Durch die Kontaktreduzierung während Corona hat das Immun-Gedächtnis zu wenig Updates bekommen. Das ist der Grund, warum viele Infekte stärker reinhauen, als wenn man ständig im Alltag Updates für das Immunsystem bekommt, etwa beim Einkaufen und im Gedränge im Kontakt mit anderen Menschen.

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Updates für das Immun-Gedächtnis?

Ja, ich finde das ist eine eingängige Beschreibung. Das Immunsystem aktualisiert sich im Grunde laufend weiter, wenn es in Kontakt mit Erregern kommt.

Der Krankenstand ist überall hoch, aber beim ÖPNV besonders. Wie erklären Sie das?

Zum einen hat zum Beispiel ein Busfahrer wahnsinnig viel Publikumskontakt. Teilweise gab es auch bereits einen Wegfall der Maskenpflicht im ÖPNV. Hinter den Kulissen hat das aber auch etwas mit einer Fehlbelastung der Arbeitnehmer zu tun.

Was ist denn so belastend an den Jobs im ÖPNV, vor allem als Fahrer?

Das ist jetzt ein bisschen kompliziert, aber ich versuche das mal herunterzubrechen. Es gibt im Wesentlichen zwei Modelle in der Arbeitsmedizin und -psychologie, die versuchen, das zu erklären. Das erste ist ein Anstrengungs-Belohnungs-Modell. Man gibt seine Arbeitskraft, dafür erhält man Geld, Wertschätzung, Sicherheit. Bei den Fahrern im ÖPNV gibt es relativ hohe Anforderungen: Man muss immer pünktlich sein. Man darf sich keine gravierenden Fahrfehler erlauben. Man muss also relativ konzentriert bleiben und das über acht Stunden. Gleichzeitig ist die Arbeit eher monoton und man hat wenig Aufstiegschancen: Wenn man Busfahrer ist, kann man nicht zum Oberbusfahrer werden.

Häufig hieß es seitens der ÖPNV-Anbieter, als Fahrer sei man ständig der teils aggressiven Stimmung der Fahrgäste ausgesetzt. Ist das auch ein Grund für die Belastung?

Das ist definitiv ein arbeitsmedizinisch sehr wichtiger Punkt: Wertschätzung. Das ist das, was man braucht, um zufrieden mit der Arbeit zu sein. Die Wertschätzung durch die Kunden lässt zu wünschen übrig. Wenn man mal überlegt, erhalten Fahrer im ÖPNV fast gar kein positives Feedback durch die Kunden. Wenn die Bahn pünktlich ist, bedankt sich keiner. Das wird als selbstverständlich angesehen. Aber wenn die Bahn oder der Bus zu spät sind, wer bekommt dann zuerst die Beschwerde? Der Fahrer, beziehungsweise das Bahnpersonal.

Was besagt das zweite Modell?

Im zweiten Modell stehen sich Stress und Entscheidungsspielraum gegenüber. Ein Fahrplan ist stramm getaktet, man kann sich die Pausen null selbst einteilen und auch sonst man hat kaum Spielraum. Der Fahrer kann auch nicht einfach eine andere Strecke fahren. Das macht man einmal und dann nie wieder. Selbst ein Taxifahrer kann meist selbst entscheiden, wann er eine Pause einschiebt oder ob er eine alternative Route fährt. Wer weniger Entscheidungsspielraum auf der Arbeit hat, steckt dem Modell zufolge schlechter Stress weg. Arbeitsausfälle und vermehrte Herz-Kreislauf-Krankheiten und psychische Störungen sind die Folgen.

Denken Sie, die erhöhten Krankenstände sind ein temporäres Problem oder könnten uns ab jetzt länger begleiten und warum?

Wenn es wieder ein normales Auf und Ab im Infektionsgeschehen gibt, werden diese Krankheitswellen auch wieder abgeschwächt, denke ich. Aber die genannten Arbeitsstress-Modelle sind übergeordnet und gelten auch außerhalb von Corona-Zeiten.

Gibt es einen „Corona-Effekt“ in dem Sinne, dass viele Menschen während der Pandemie eine Tätigkeit im ÖPNV aufgenommen haben und jetzt mit deutlich mehr Fahrgästen und Verkehr konfrontiert sind?

Ja, definitiv kann das mit reinspielen. Das sind alles noch zusätzliche Belastungen, wenn das Arbeitsumfeld ohnehin herausfordernd ist.

Allgemein: Was ist aus ärztlicher Sicht wichtig für Angestellte, um gesund und möglichst wenig belastend arbeiten zu können?

In meinen Augen zäumt man das Pferd von hinten auf, wenn man sich fragt, was der Beschäftigte tun kann, um gesund zu arbeiten. In den letzten Jahren hat sich dieses Konzept von Eigenverantwortung immer mehr etabliert. Ich halte das für den falschen Ansatz, wenn er alleine steht. Meiner Meinung nach müssen Arbeitgeber sich überlegen, was sie für die Gesundheit der Arbeitnehmer tun können.

Welche Möglichkeiten hat der Arbeitgeber diesbezüglich?

Bei der Dienstplangestaltung kann man zum Beispiel auf Fairness und Mitbestimmung setzen. Das heißt, man sorgt dafür, dass sich im Falle des ÖPNV etwa alle Fahrer gerecht behandelt fühlen, was die Einteilung der Strecken und Zeiten betrifft. Also an einem Tag fährt mal der eine die unbeliebte Zeit spät am Abend, am anderen Tag der andere. Und die Mitarbeiter sollten ein Mitspracherecht bei der Einteilung haben, soweit möglich. Auch wichtig ist die Planbarkeit von Freizeit: Wenn ich frei habe, muss ich auch wirklich frei haben und nicht ständig auf Abruf sein, um etwa für kranke Kollegen einzuspringen. Wenn personelle Reserven durch hohe Krankenstände verschwinden, kann eine Abwärtsspirale entstehen, weil andere Mitarbeiter einspringen müssen und sich nicht erholen können.

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