Rheinenergie-Chef im Interview„Die Krise ist noch nicht ansatzweise vorbei“

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Rheinenergie Chef Andreas Feicht

Rheinenergie Chef Andreas Feicht

  • Der neue Chef des Kölner Regionalversorgers Rheinenergie, Andreas Feicht, im Rundschau-Redaktionsgespräch: Gasversorgung, Gaspreisbremse und Perspektiven für die Fernwärme.

Herr Feicht, sparen die Kunden der Rheinenergie Gas?

Ja, das ist feststellbar. Bei der Industrie sank die Nachfrage um 30 bis 35 Prozent, bei den Verbrauchern eher so um die 20 Prozent. Zu berücksichtigen ist aber der Einfluss der Temperatur.

Im Moment fällt das Sparen doch leicht.

Ja, aber im September war es vergleichsweise kalt. Da hat die Bundesnetzagentur gesagt hat, dass die Einsparungen nicht reichen, um eine Gasmangellage im Winter zu verhindern.  Die privaten Nutzer haben die Heizungen aufgedreht oder die Thermostate haben die Heizungen anspringen lassen. Das wird in einem kalten Winter wieder passieren. Die Wahrscheinlichkeit eines Gasmangels ist also geringer, die Gefahr besteht aber immer noch.

Helfen die Flüssiggas-Terminals, über die im Winter Gas nach Deutschland kommen soll?

Die helfen natürlich. Sie haben eine Jahreskapazität von etwa zehn Milliarden Kubikmeter Gas. Über Nord Stream 1 kamen etwa 55 Milliarden Kubikmeter. Das ist also nicht ausreichend, um eine solche Pipeline zu kompensieren. Auch der Inhalt der Gasspeicher hilft in einem normalen Winter nur etwa zweieinhalb Monate. Ohne stetigen Zufluss von Gas geht es nicht. Und wenn die Speicher tief entleert sind, kann der nächste Winter noch schwieriger werden – genau das befürchte ich. Technisch können die Speicher nicht beliebig schnell gefüllt werden. Da kommt es also sehr auf den Füllstand und den Zeitraum für eine mögliche Befüllung an. Eine drohende Mangellage und hohe Gaspreise begleiten uns mindestens noch bis ins Jahr 2024.

Zur Person

Andreas Feicht ist seit Sommer Vorstandschef der  Rheinenergie mit einem Umsatz von 2,52 Milliarden Euro ohne Energiesteuern  und gut 2700 Mitarbeitenden. 1971 in Bogen/Bayern geboren, war er von Februar 2019 bis Ende 2021 Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Davor war er zwölf Jahre lang Vorstandsvorsitzender der WSW Energie & Wasser sowie Vorsitzender der Geschäftsführung der WSW Wuppertaler Stadtwerke. Feicht ist verheiratet und hat eine Tochter. (raz) 

Derzeit haben wir hohe Endkundenpreise beim Gas, im Großhandel ist Gas für 2026 aber für 50 bis 80 Euro pro Megawattstunde zu kaufen. Für tagesaktuelle Käufe lagen die Preise in diesem Jahr teilweise drei Mal so hoch. Lohnt sich jetzt der Kauf?

Die Entwicklung ist nicht verwunderlich. Die Speicher sind voll, es wird wenig Gas verbraucht. Und vor spanischen Häfen stauen sich voll beladenen LNG-Tanker. Da sind die Preise auch für kurzfristige Käufe vergleichsweise niedrig. Sie reagieren aber sehr stark auf die Nachfrage. Steigt die, weil es kalt wird, ziehen auch die Preise sofort an, weil für diesen Bedarf nicht genug Gas herangeschafft werden kann. Und richtig: Mittel- und langfristig ist Gas vergleichsweise günstig. Es kauft aber niemand Gas, weil offen ist, wie sich die Konjunktur entwickelt oder wie die politischen Rahmenbedingungen dann sein werden. Da gibt es kaum kalkulierbare Risiken. Der Preis für Gaslieferungen in zwei bis drei Jahren ist deshalb nicht der realistische Preis.

Bei welchem Niveau könnten sich den die Preise einpendeln?

Das hängt vom künftigen Verhältnis zu Russland ab. Wer jetzt langfristige Lieferverträge etwa mit Katar etwa schließt, müsste abschätzen, ob Gas aus Russland wieder auf den Markt kommt. Es ist auch eine Frage politischer Entscheidungen. Es gibt einen weiteren Unsicherheitsfaktor. Zwar ist Gas weltweit genug vorhanden. Aber auch in den Förderländern müssen Flüssiggasterminals gebaut werden. Wer in die investiert, will Sicherheit in Form von langfristigen Lieferverträgen mit einer Laufzeit von zehn oder gar 20 Jahren. Die passen aber nicht gut zu den deutschen Klimazielen, die ein deutliches Herunterfahren des Gasverbrauchs ab 2030 vorsehen. Bei langfristigen Verträgen werden sich die Gaspreise wohl bei 50 bis 70 Euro je Megawattstunde einpendeln. Das war der LNG-Preis in Asien vor dem Krieg, während wir weniger als 20 Euro für Pipeline-Gas bezahlt haben. Dieses niedrige Preisniveau werden wir nie wieder erreichen. Ohne Langfristverträge bleiben die Preise einerseits hoch, und wir werden andererseits stark schwankende Preise sehen.  

Vertrauen die Unternehmen noch einem Lieferanten wie Russland?

Das Vertrauen in russische Gaslieferungen ist für mindestens eine Generation verspielt. Russisches Gas wird nie mehr die Rolle spielen wie vor dem Krieg. Erfolgt eine politische Entscheidung, dass russisches Gas wieder nach Deutschland geliefert werden kann, wird das vielleicht zehn oder 20 Prozent des Bedarfs decken. Das ist dann aber preissetzend, und derjenige, der darauf kurzfristig einsteigt, ist in einer besseren Wettbewerbssituation als ein Unternehmen, das sich langfristig für 50 oder 70 Euro mit LNG-Gas eingedeckt hat. Obwohl gerade langfristige Verträge wichtig wären für die Versorgungssicherheit.

Wir stecken doch in einer merkwürdigen Diskussion. Der Gasverbrauch sinkt wegen des Wetters, ein Preisdeckel für Gas kommt. Wünschen Sie sich da manchmal eine schärfere Kommunikation aus der Politik, um auf Gefahren aufmerksam zu machen?

Die wichtigsten Akteure der Ampelkoalition versuchen wirklich, diesen Spagat zu erklären. Sie wollen auch einen Sparanreiz setzen dadurch, dass sie für 80 Prozent des Verbrauchs von Gas und von Strom aus dem Vorjahr eine Bremse einführen. Für die übrigen 20 Prozent gelten die Marktpreise.  Das passt zum Sparziel, aber nicht zum Prinzip der Einfachheit. Diese Krisen-Kommunikation muss aber durchgehalten werden. Es wäre verheerend, wenn der Eindruck entstünde, alles sei im Lot. Die Krise ist noch nicht ansatzweise vorbei. 

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Was machen Preisbremsen oder das Erlassen der Dezemberrechnung eigentlich mit Ihrem Unternehmen?

Die Umsetzung ist unglaublich schwer. Die Diskussionen um die Entlastungen haben die Leute verunsichert. Das trifft unsere Mitarbeitenden, die in der Kundenkommunikation am Anschlag arbeiten und sich bis an die Grenze engagieren. Kunden äußern etwa die Sorge, Gas und Strom nicht mehr bezahlen zu können. Derzeit werden die Rechnungen bezahlt, das könnte aber die Ruhe vor dem Sturm sein. Deshalb sind die Preisbremsen so wichtig und die Übernahme des Abschlags im Dezember.

Wie machen Sie das denn praktisch?

Für uns ist das im Prozess faktisch ein Albtraum. Es ist aber unser Job, das zu lösen, damit die privaten Haushalte und auch Unternehmen wie Bäcker, Gießereien oder Kunststoffhersteller nicht mit riesigen Sorgen ins Weihnachtsfest gehen. Wie das Erlassen der Dezemberrechnung praktisch erfolgen soll und wie die Versorger dann das Geld vom Bund zurückerhalten, wissen wir noch nicht. Das wird in einem Gesetz festgelegt, das jetzt zwischen den Ministerien abgestimmt wird. Und auch beim Strom gilt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Bis 2035 soll die Energieversorgung durch die Rheinenergie klimaneutral sein. Dazu sind Projekte in Köln zur Nutzung von Wind- und Solarenergie vorgestellt worden. Beschleunigen Sie den Umbau der Energieversorgung jetzt?

Wir arbeiten an vielen unterschiedlichen Projekten. Darunter sind einige, die einen Booster erfahren durch den Ukraine-Krieg wie etwa Fotovoltaik oder Wärmepumpen. Unsere Tochtergesellschaft Ago vertreibt etwa Hochleistungswärmepumpen, die bis zu 130 Grad warmes Wasser erzeugen mit einer Leistung von 500 Kilowatt bis zu fünf Megawatt. Für das Klimaziel Kölns, Treibhausgasneutralität 2030, sind der Ausbau der Erneuerbaren mit den vorgestellten Projekten wie Freiflächen-Fotovoltaik-Anlagen und Windrädern wichtig. Das treiben wir voran. Der wichtigste Baustein ist aber der Ausbau der Fernwärme und der Ersatz von fossilen Brennstoffen, so dass die Fernwärme grün wird. Derzeit schärfen wir diese Strategie, die wir im ersten Quartal des kommenden Jahres vorstellen wollen. Bestandteile sind der Bau von Großwärmepumpen in Merkenich und Niehl mit Leistungen von 60 und 150 Megawatt. Daneben geht es um Solarthermie und Ausbau und Verdichtung des Fernwärmenetzes. Das ist ein Projekt von 20 Jahren, ein Marathon, bei dem wir jetzt gestartet sind. Das erfordert hohe Investitionen, und dafür sind viele, viele Baumaßnahmen im Stadtgebiet erforderlich. Das wird jeder spüren. Aber ohne Fernwärme sind die Klimaziele der Stadt nicht zu erreichen.

Bleibt Fernwärme denn bezahlbar?

Auch eine grüne Fernwärme ist bezahlbar. Es gibt aber eine Fördernotwendigkeit, ein entsprechendes Programm dazu ist jetzt verabschiedet worden. Das wird helfen. Es geht insgesamt um ein Paket zum Ausbau der Infrastruktur für Wärmeversorgung in Ballungsräumen, vergleichbar mit der Förderung des Ausbaus Erneuerbarer Energien. Es geht auch um Einsparungen. Gerade da hat der Krieg für einen Schub gesorgt. Viele Bürger und Unternehmen machen sich Gedanken, wie sie Energie effizienter nutzen können. Das ist nötig. Wir müssen den bisherigen Gesamtverbrauch reduzieren, viel effizienter werden, denn das bisherige Verbrauchsniveau können wir wir nicht vergrünen, dazu wären gigantische Aufwendungen nötig.

Wasserstoff wollen viele nutzen. Bekommen Sie genug davon, um Ihre Gaskraftwerke weiter betreiben zu können?

Die Dekarbonisierung ist nur erreichbar, wenn wir langfristig kein Erdgas mehr verfeuern. Andererseits brauchen wir die regelbaren Gaskraftwerke. Da muss Wasserstoff also eine Rolle spielen als reiner Wasserstoff etwa oder als synthetisches Methan, also ein grün erzeugter Wasserstoff, der dann mit CO2 zu einem synthetischen Gas verbunden wird, wobei CO2 wieder aufgefangen wird. Derzeit werden unterschiedliche Ideen getestet. Wenn sich Wasserstoff durchsetzt, müssen wir überlegen, wie der nach Köln kommt. Deutlich günstiger als bei uns könnte der etwa am Golf oder in anderen flächenreichen Sonnenstaaten durch Solarenergie erzeugt werden und dann nach Deutschland transportiert werden. Wir würden dann Teile unseres Verteilnetzes umrüsten, so dass der Wasserstoff zu unseren Kraftwerken, aber auch zu anderen Kunden gelangt. 

Kann Köln Klimaneutralität vor 2035 erreichen?

Das Ziel ist sehr, sehr ambitioniert. Es ist aber erreichbar. Die Stadt selbst kann nur ca. 15 Prozent des CO-2-Ausstoßes beeinflussen.  Deshalb müssen aber auch Privatleute Gebäude sanieren, und die Industrie muss ihre Beiträge leisten. Wir oder der Stadtwerkekonzern haben immerhin einen Ausbau der Erneuerbaren, der Fernwärme oder den Ausbau des öffentliche Personennahverkehrs gemeinsam mit der Stadt in der Hand.

Sie haben jetzt viel über den Austausch mit der Stadt Köln gesprochen. Aktiv ist die Rheinenergie auch im Umland, teils über Töchter. Ist dort der Austausch ähnlich intensiv?

Ja, absolut. Zum Teil machen wir das von der Rheinenergie selbst, zum Teil machen das die Tochtergesellschaften. Wir wollen die stärken und unterstützen, damit sie als Aggerenergie, Belkaw oder GVG in ihren Märkten erfolgreich handeln. Dort werden aber eher Nahwärmenetze für Quartiere ausgebaut als Fernwärmenetze. Oder man entwickelt Projekte der Erneuerbaren Energie. Die Energiewelt hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Weil heute keiner mehr alleine erfolgreich agieren kann, sind Kooperationen nötig. Dafür bringen wir unsere Erfahrung und unsere Kraft ein, um mit unseren Partnerunternehmen agieren zu können und adäquate Lösungen für Troisdorf oder Pulheim anbieten zu können.

In den vergangenen Jahren hat die Rheinenergie zuverlässig einen zweistelligen Millionenbetrag an den Kölner Stadtwerkekonzern abgeführt, der teils dann auch an die Stadt abgeführt wurde. Ist es damit jetzt vorbei?

Bis jetzt bin ich zuversichtlich, dass wir auch in Zukunft an die SWK ausschütten können. Und aktuell schlagen sich auch die SWK-Gesellschaften sehr gut. Kritischer in der Zukunft werden die Investitionsnotwendigkeiten aller, um das Treibhausgas-Ziel der Stadt erreichen zu können. Alle SWK-Gesellschaften müssen enorm investieren.  Da müssen wir die verschiedenen Ziele in Einklang bringen: wie das Anbieten einer guten Daseinsvorsorge, die Dienstleistungen zu verbessern, um das Klimaziel zu erreichen, aber auch das ökonomische Ziel, Geld für den Haushalt zu geben. Heute und morgen bekommen wir das hin. Wie es in fünf oder sechs Jahren aussieht, ist nicht abzusehen.

Die Rheinenergie hat einen Entlastungsfonds aufgelegt, um Bürgern zu helfen, die die Gasrechnung nicht mehr bezahlen können. Ist der ausreichend dimensioniert?

Der Härtefallfonds mit einem Volumen von einer Million Euro allein ist sicherlich nicht ausreichend. Er wurde aufgelegt, als nicht absehbar war, welche Dimensionen die Energiepreiskrise annehmen würde und auch nicht, wie der Staat darauf reagiert. Die eigentlich notwendige Reaktion erfolgte von der Politik mit zahlreichen Entlastungsmaßnahmen. Wir wollten zeigen, dass wir mögliche Folgen für die Kunden durch Preiserhöhungen nicht einfach hinnehmen. Es ging um ein Signal, das wir senden wollten. Und der Fonds ist eine Überbrückung mit schneller Hilfe. Die Probleme können wir nicht lösen. Wir helfen unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall, wenn akut eine Sperre beim Gas oder der Fernwärme droht, weil sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen konnten. Die Kunden bekommen Geld auf ihrem Konto gutschrieben als Unterstützung, bis die staatliche Hilfe kommt. Dafür scheint der Fonds seinen Zweck voll und ganz zu erfüllen. Und Stand heute reicht auch das Geld aus.

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