Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview

4-Sterne-General zu russischen Drohnen
„Man wollte uns ganz genau testen“

6 min
Kampfdrohne vermutlich vom Typ Shahed 136 (Schahed 136) iranischer Bauart. Diese Drohnen nutzt Russland oft für den Beschuss von Zielen in der Ukraine.

Kampfdrohne vermutlich vom Typ Shahed 136 (Schahed 136) iranischer Bauart. Diese Drohnen nutzt Russland oft für den Beschuss von Zielen in der Ukraine.

Russische Drohnen und Jets im Nato-Luftraum: Viersterne-General Christian Badia über Aufrüstung und Abschreckung der Nato. Und die gegenwärtigen Herausforderungen des Verteidigungsbündnisses.

Christian Badia war bis Juli Deutschlands ranghöchster Nato-General. Im Interview mit Luise Charlotte Bauer spricht er über Drohnen im polnischen Luftraum, die Fähigkeit zur Abschreckung des Verteidigungsbündnisses und das aktuelle Verhältnis der Europäer zu den USA mit Blick auf die militärische Kooperation. Über allem steht die Frage: Ist die Nato den Herausforderungen gewachsen?

Wie schätzen Sie das Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum ein?

Das ist nicht unabsichtlich passiert. Man wollte uns ganz genau testen, aber keine Eskalation herbeiführen. Die 19 Drohnen waren nicht mit Sprengstoff, Waffen oder ähnlichem ausgerüstet. Damit bleibt man unterhalb der Schwelle der Bewaffnung, um zu sehen, wie die Nato reagiert.

Ist die Nato nicht abschreckend genug, um solchen Vorkommnissen vorzubeugen?

Zunächst einmal befindet sich die Bundesrepublik Deutschland, wie auch alle anderen Nato-Staaten, im Frieden. Es ist kein Kriegsfall ausgelöst. Wir verfahren daher nach den normalen Ordnungskriterien und Verfahren für die Überwachung des Luftraums über der Bundesrepublik Deutschland oder anderswo. In Polen waren die Reaktionen genau so, wie sie vorgesehen sind: Abfangjäger sind aufgestiegen und es hat eine Überwachung über das Radarsystem stattgefunden.

In diesem Fall wurde festgestellt, dass 19 nicht identifizierte Flugobjekte eingeflogen sind. Und nun musste man ja schauen, was man macht. Deswegen kann ich nur sagen, aus dem heraus, wie die Nato aufgestellt ist, ist sie selbstverständlich abschreckungsfähig. Sie hat genau gehandelt, wie es für solche Fälle vorgesehen ist. Die Nato nach Artikel vier die Konsultationsmechanismen eingeleitet. Man hat sich in Brüssel getroffen, man hat das besprochen. Auch das gehört zur Abschreckung: Dass nicht immer jeder weiß, was besprochen wird, dass man nicht weiß, was genau verabredet wurde.

Die Nato hat viele Fähigkeiten, die der Politik zur Verfügung gestellt werden. Auch das muss man noch mal klar sagen: Sie ist ja kein Staat im Staat, der einfach reagiert, sondern wir sind ein Instrument der Politik. Wir beraten und führen die Entscheidungen aus, die die Politik entscheidet.

Wo liegt die Problematik bei der Abwehr von Drohnen?

Eine Drohne hat keinen Anflugweg wie ein Flugzeug, bei dem Sie das Verhalten beobachten können. Es ist eher so, als ob jemand etwas über den Zaun auf ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück wirft. Sie können gar nicht genau sehen, wo das passiert. Wenn wir in einem Spannungsfall wären oder Flugverbotszonen einrichten, können Sie diese Gebiete überwachen und ganz andere Maßnahmen ergreifen. Aber das muss vorher politisch beschlossen und die Verfahren festgelegt werden, weil wir eine werteorientierte und demokratisch geführte Allianz sind.

Es ist nicht so einfach, wie mich viele Leute immer fragen, warum wir jetzt im Gegenzug keine Drohnen nach Russland schicken. Die Rechtsbasis dafür ist gar nicht da und sie können sich nicht auf die Stufe anderer stellen und Gleiches mit Gleichem vergelten, dann verlieren sie an Glaubwürdigkeit.

Welche Lehren zieht die Nato aus den Vorkommnissen?

Ich würde sagen, es ist eher eine Bestätigung als eine Lehre. Ich habe jetzt drei Jahre die Fähigkeitsplanung der Nato für die 32 Nationen maßgeblich geplant und verabredet sowie mit den einzelnen Nationen entsprechend festgeschrieben. Es zeigt sich, dass es gewisse Fähigkeitsbereiche gibt, bei denen es Aufholbedarf gibt.

Und wo besteht Aufholbedarf und wie kann die Nato nachbessern?

Sie können dadurch nachbessern, dass sie zunächst mal einen breiten Mix an Fähigkeiten zur Verfügung haben. Ich nehme mal die Bundesrepublik als Beispiel: Wenn plötzlich Drohnen auf Truppenübungsplätzen oder Kasernengelände auftauchen, gibt es Regularien, nach denen zu verfahren ist. Der Gesetzgeber hat es in der Hand, dies sofort zu ändern und zu sagen, das ist eine Sperrzone. Dann wird die Drohne unschädlich gemacht. Das sind die Dinge, die zunächst mal passieren müssen. Was Sie immer brauchen, ist Handlungssicherheit.

Gibt es denn überhaupt Möglichkeiten, sicher nachzuweisen, woher die Drohne kommt?

Das ist genau die Problematik. Sie müssen relativ schnell sein: Die Drohne fliegt schnell, wird eingepackt und der Pilot ist weg. Sie können zwar den Flugweg der Drohne zu dem Ort zurückverfolgen, von wo aus sie wahrscheinlich gesteuert wird, aber die Nachweisbarkeit ist schwierig, wenn Sie den Piloten nicht mit der Drohne oder dem Steuergerät antreffen. Auch da gilt es, entsprechende Überwachungsmechanismen zu haben. Aber ich sage nochmal: Am besten ist es, dass alles so vorbereitet ist, dass die Maßnahmen zum Unschädlichmachen der Drohne klar sind.

Ein deutscher Eurofighter bei einem Demonstrationsflug über Mecklenburg-Vorpommern.

Eurofighter sollen bei der Abschreckung helfen – hier ein deutscher Jet bei einem Demonstrationsflug über Mecklenburg-Vorpommern.

Die Wittmunder Alarmrotte wurde zum Schutz des polnischen Luftraums verdoppelt. Was können die Eurofighter gegen Drohnen bewirken?

Zunächst geht es um die Reaktion, um zu zeigen, dass wir unsere Alarmbereitschaft hochfahren. Das ist das eine. Was können Eurofighter gegen Drohnen machen? Die britischen Streitkräfte zum Beispiel haben nun gezeigt, dass man relativ schnell, innerhalb von neun Tagen, Waffen in Eurofighter integrieren kann, die wesentlich kostengünstiger sind. Zuvor wurden sehr teure Waffen im Wert von 500.000 bis eine Million Euro gegen eine 20.000 Euro teure Drohne eingesetzt.

Es wird oft vom Jahr 2029 geredet. Es heißt, dann könnte Russland in der Lage sein, die Nato anzugreifen. Wie schätzen Sie das ein?

Erstens: Ich halte von Jahreszahlen wenig. Zweitens: Unterschätzen Sie niemals eine Armee wie die russische. Je weiter Sie von der Grenze entfernt sind, um so veränderter ist die Sicht auf die Bedrohung. Das ist aber normal. Wenn Sie aber heute mit Vertretern und Militärexperten der baltischen Staaten und aus Rumänien sowie Bulgarien sprechen, sagen die Ihnen, dass wir morgen bereit sein müssen. Ich halte auch vor einem anderen Hintergrund von diesen Jahreszahlen wenig: Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in Moskau, im Kreml, und hören aus der westlichen Welt, dass vor 2029 nichts passiert – das wirkt nicht abschreckend.

Wie ist momentan das Verhältnis der Europäer zu den USA innerhalb der Nato?

Das Verhältnis zu den USA ist sehr gut. Und Sie müssen da auch immer einen Unterschied machen: Es gibt die politische Dimension und die militärische Dimension. Im Militärischen haben die Staaten ein sehr gutes Verständnis und das hat sich aus der Bedrohungssituation heraus auch nicht geändert. Ich habe sehr viel Verständnis für die USA, weil ich auch dort arbeite. Ein Beispiel: Die EU hat etwa 456 Millionen Einwohner. Wenn Sie Europa nehmen, sind Sie bei fast 750 Millionen Einwohner. Russland hat knapp 150 Millionen Einwohner und die USA haben 350/356 Millionen Einwohner. Also sagt der Kontinent mit der größten Bevölkerung: „Ich habe Angst vor 150 Millionen und ich frage 350 Millionen, ob sie mir helfen können.“ Da stimmt etwas nicht.

Was folgt daraus?

Die USA sagen nicht erst seit der ersten Präsidentschaft von Donald Trump, sondern bereits seit der Präsidentschaft von Barack Obama, dass die Europäer sich stärker beteiligen müssen. Europa hat es nur aus verschiedenen Gründen nicht gemacht – Das ist nicht an mir, das zu kritisieren, aber das ist Fakt. Es war völlig klar, was passieren würde, wenn Sie sich anschauen, wie sich der indo-pazifische Raum, wie sich Asien, und wie sich die Wirtschaft entwickeln wird. Deswegen war es für mich als Militär, als Stratege, schon immer klar, dass wenn wir nicht selbst mehr für unsere Verteidigung tun, dann werden wir in die Situation kommen, in der wir sind. Jetzt müssen wir schauen, dass wir mit den Amerikanern in einem sehr guten Miteinander so verhandeln, dass die Europäer in der Nato das, was die Amerikaner planen, zu reduzieren, als Aufwuchs haben, um den Status quo zu halten.