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Interview

Vize-Landkreistag-Chef
Sind wir in Deutschland im Ernstfall aufgeschmissen?

5 min
Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) sichern mit Sandsäcken einen Deichabschnitt an der Elbe (Archivbild)

Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks (THW) sichern mit Sandsäcken einen Deichabschnitt an der Elbe (Archivbild)

Deutschlands Landkreise fordern vom Bund ein umfassendes Konzept für den Bevölkerungsschutz. Bisher fehlt ein flächendeckender Plan – und auch die Frage nach Schutzräumen und Bunkern ist noch ungeklärt.

Die Landkreise kritisieren, dass der Bund in Sachen Zivilschutz bisher nicht geliefert hat. Finja Jaquet hat mit Kay Ruge, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistags, über den aktuellen Stand beim Zivilschutz gesprochen und nachgefragt: Was braucht es, um im Ernstfall den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten?

Herr Ruge, der Bund erarbeitet derzeit zusammen mit den Ländern das Schutzraumkonzept. Inwiefern wurden die Landkreise in diese Planung bisher einbezogen?

Auf institutioneller Ebene wurden die Landkreise bisher nicht an der Planung beteiligt. Man könnte auch sagen, dass Schutzräume Sache der Gemeinden sind, aber die Landkreise sind die zuständigen Katastrophenschutzbehörden. In Sachen Zivilschutz ist der Bund zuständig: Er bedient sich aber der Einrichtungen der Länder für den Katastrophenschutz, und die greifen auf die Ressourcen der Landkreise zu. Ein Schutzraumkonzept kann daher nur unter Einbeziehung der Landkreise, Städte und Gemeinden funktionieren – das hat bisher nicht stattgefunden.

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Wie steht es aus Sicht der Landkreise um den Schutz der Bevölkerung im Ernstfall?

Wir fordern schon seit langem einen zivilen Operationsplan (OPlan), wie die Bundeswehr auch einen militärischen hat. Das wurde vom Innenministerium bisher ignoriert. Wir wissen auf lokaler Ebene, wie wir Einsatzkräfte im Falle des Falles koordinieren müssen oder wie wir Krisenstäbe einrichten. Aber es gibt keinen flächendeckenden, übergreifenden Plan. Was machen wir beispielsweise bei einem längeren Stromausfall? Wenn wir in einem Landkreis 30 Pflegeheime haben, dann können wir die nicht alle mit Notstromaggregaten versorgen. Und selbst wenn, wie sollen wir den Diesel dafür besorgen, wenn die Tankstellen nicht mehr funktionieren? Es muss vieles konzeptionell besprochen und organisiert werden.

Ist das in den vergangenen Jahren verschlafen worden?

Zivilschutz hat bei der politischen Priorisierung in den vergangenen Jahren keine Rolle gespielt. 2007 wurden Betrieb und Instandhaltung der Bunker eingestellt. Auch dem Katastrophenschutz wurde nicht die notwendige Beachtung geschenkt. Zudem sind die IT-Sicherheit sowie die Digitalisierung aus unserer Sicht notleidend. Auch unsere Rechtsgrundlagen müssen angepasst werden, die sind teilweise noch aus den 1950er Jahren: Da steht beispielsweise, dass im Zivilschutzfall Lagerstroh bereitgestellt werden muss. Wir brauchen Risikoanalysen und Engpassregister (Anm. d. Redaktion: Ein Verzeichnis, das alle Mittel und Kräfte erfasst, die im Krisenfall benötigt werden, aber nicht jederzeit in ausreichender Menge zur Verfügung stehen). Wir Landkreise kennen unsere Ressourcen, können die Informationen liefern und erhalten dadurch einen Gesamtüberblick. Wir brauchen einen zivilen OPlan – das geht nur in Zusammenarbeit mit den Landkreisen und Gemeinden.

Alte Schutzbunker gibt es in Köln zum Beispiel unter der Gesamtschule Lindenthal. Inzwischen gibt es aber keine Bunker mehr, die in Betrieb gehalten werden.

Alte Schutzbunker gibt es in Köln zum Beispiel unter der Gesamtschule Lindenthal. Inzwischen gibt es aber keine Bunker mehr, die in Betrieb gehalten werden. (Archivfoto)

Wie muss es aus Sicht der Landkreise weitergehen, um den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten?

Für den Zivilschutz ist der Bund zuständig: Die Regierung muss endlich zügig einen flächendeckenden Plan entwickeln und dabei die Länder und uns einbeziehen. Wir müssen wissen: Was ist der Status Quo, was brauchen und wollen wir in technischer und baulicher Hinsicht? In all diesen Fragen sind wir auf ziviler Seite lange nicht so gut aufgestellt, wie die Bundeswehr auf der militärischen.

Gutachten, Analysen, Planung, Beschaffung: Wie soll all das finanziell zu schaffen sein?

Der Zivilschutz und die zivile Verteidigung fallen unter die Schuldenbremse-Ausnahme. Bundeskanzler Merz sagte ja: ‚Whatever it takes‘ – in diesen Fragen hat er jedenfalls nominell kein Mittelproblem mehr und muss für die Ausstattung auf Länderebene sorgen. Was die Landkreise betrifft: Die Kreishaushalte sind prekär. Vier von fünf Landkreisen können ihren Haushalt nicht mehr ausgleichen. Wir haben ein strukturelles Problem mit dramatisch steigenden Ausgaben – vor allem im Sozialbereich. Allein in Niedersachsen haben die Landkreise 600 Millionen Euro aufgebracht, um die Krankenhäuser am Laufen zu halten.

Aktuell diskutiert Deutschland über Hitzeschutz und Wassermangel. Was ist aus Ihrer Sicht die dringendste Maßnahme?

Aus unserer Sicht ist der allererste Punkt eine echte Klimafolgenanpassung. Das beginnt ganz konkret bei baulichen Fragen. Als Landkreise sind wir Heimaufsicht, Krankenhausträger, Schulträger: Wir müssen unsere öffentlichen Gebäude klimaresistent bekommen. Das bedeutet: Gebäudetechnik anpassen, dreifach verglasen, Kühldecken oder Klimaanlagen einbauen – damit bei Hitzewellen der Unterricht weitergehen kann und es den Senioren in den Pflegeheimen gut geht.

Und wie sieht es beim Thema Wasser aus?

Das meiste Wasser entnehmen wir nicht aus Flüssen, sondern aus Grundwasserreservoiren. Die haben sich in den vergangenen beiden Jahren zwar erholt, weil es viel geregnet hat. Dennoch steuern wir in Gebieten Brandenburgs und Sachsen-Anhalts auf spanische Verhältnisse zu – mit teils komplett wegbrechenden Grundwasserreserven.

Wie müssen wir künftig mit diesem Problem umgehen?

Das Wassermanagement muss sich grundlegend ändern. Früher war alles darauf ausgerichtet, Wasser möglichst schnell abzuleiten, um Flächen für Industrie und Landwirtschaft zu gewinnen. Moore wurden daher trockengelegt. Heute müssen wir genau das Gegenteil tun. Das ist ein bisschen wie der Kohleausstieg – eine echte Transformation. Wir müssen Moore wiedervernässen, Sickermöglichkeiten schaffen, auch in den Städten. Die Landwirtschaft beispielsweise muss beim Ausbau moderner Bewässerungstechniken unterstützt werden: Weg vom Sprengen, da hier rund 30 Prozent des Wassers verdunstet, hin zur Tröpfchenbewässerung.

Der Städte- und Gemeindebund forderte kürzlich ein Bewässerungsverbot im Freizeitbereich. Wie stehen Sie dazu?

Wir als Landkreise sind die untere Wasserbehörde, die für das Bewirtschaftungsermessen beim Wasserverbrauch zuständig sind. Es gibt drei große Verbraucher: Industrie, Landwirtschaft und private Haushalte. Trinkwasser hat dabei immer oberste Priorität. In Hitzesommern reagieren viele Landkreise längst und sprechen Allgemeinverfügungen aus – dann darf etwa zwischen 8 und 18 Uhr kein Garten mehr gesprengt, kein privater Pool befüllt werden.

Das passiert mittlerweile regelhaft in vielen Landkreisen. Langfristig braucht es aber eher flächendeckende Konzepte. Darüber hinaus sind wir auf bessere Daten angewiesen: Wo ist wie viel Wasser verfügbar? Wer verbraucht wie viel? Das muss kreisweit – oder idealerweise landesweit – erfasst werden, in Zusammenarbeit mit der Wasserwirtschaft, mit hydrografischen Instituten, mit den Ländern. Nur dann können wir vernünftig priorisieren.