In unserer Serie zu 777 Jahre Kölner Dom geht es heute um das Davor und das Darunter. Die Grabungsstätte unter dem Dom zeigt, was vor der gotischen Kathedrale an dieser Stelle einst stand.
777 Jahre Kölner DomDie Welt unter der Welt - Domgrabung gewährt Einblicke in 2000 Jahre Stadtgeschichte

Massive Fundamente tragen im Untergrund die Pfeiler des Kölner Doms.
Copyright: Nabil Hanano
Wer an diesen sommerlichen Tagen in den Dom geht, befindet sich nicht nur in der Kühle, sondern auch inmitten jeder Menge Gewusel und Geräusche. Zahlreiche Touristen und Einheimische, Besuchergruppen und Betende tummeln sich in der heiligen Halle. Doch nur wenige Treppenstufen in die Tiefe hinab ist es plötzlich viel stiller - und noch etwas kühler. Die Lautstärke wird zu einem leisen, fernen Gemurmel. Und plötzlich realisiert der Besucher, wo er sich nun befindet: unter dem Kölner Dom.
Was sich dort eröffnet, ist eine ganz eigene Welt. „Wir stehen hier in 2000 Jahren Stadtgeschichte“, sagt Ruth Stinnesbeck, Archäologin der Domgrabung. Und es ist alles erhalten. Denn der Dom ist wie eine Glocke darüber und schirmt die Fundstücke der Jahrtausende vor den Widrigkeiten der Stadtentwicklung ab. „Wer hat schon so einen exquisiten Schutzbau?“, fragt die 58-Jährige mit einem Augenzwinkern. Drumherum ist über die Zeiten vieles zerstört worden. Selbst schon in direkter Nachbarschaft beispielsweise durch die Tiefgarage. Aber hier unter der Kathedrale ist noch alles vorhanden. Zu finden sind deswegen vielfältige Zeugnisse städtischen Lebens: von Straßen bis hin zu Gullys, von Graffitis bis zur Fußbodenheizung.
60 Prozent der Grundfläche unterirdisch erschlossen
Bereits 1946 wurde mit archäologischen Ausgrabungen im Inneren des Doms begonnen. Zum einen konnten etwaige Kriegsschäden dadurch überprüft werden, zum anderen gaben die Fundstücke aber auch Aufschluss über die Entstehung des Doms sowie seiner Vorgängerbauten und -bebauungen. Über die Jahrzehnte wurden die Ausgrabungen weitergeführt. 60 Prozent der Grundfläche des Doms sind bereits unterirdisch erschlossen. Rund 4000 Quadratmeter. „Wir arbeiten daran, das sukzessive auszubauen“, sagt Stinnesbeck. Zugänglich ist diese unterirdische Welt nur bei Führungen für Menschen ab 16 Jahren oder bei besonderen Veranstaltungen wie beispielsweise der „Nacht der Museen“. Ohne jemanden, der sich auskennt, wäre es schwierig, die verschiedenen Schichten der Stadthistorie zu erkennen. Einen Überblick verschafft das Gipsmodell der Grabungsfläche, das seit 1946 stetig ergänzt wird.
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Archäologin Ruth Stinnesbeck zeigt am Gipsmodell die verschiedenen Vorgängerbebauungen des Doms.
Copyright: Nabil Hanano
Immerhin geht die Stadtgeschichte bekanntlich zurück bis zu den Römern. „Die Nord-Außenseite des Doms läuft entlang der ursprünglichen römischen Stadtmauer“, sagt Stinnesbeck. Damit nutzten die Römer die vorhandene Typografie. Die erhöhte Stelle bot Schutz vor Hochwasser. Und so liegt auch der Dom bis heute auf dieser Erhöhung. Dass die einstige römische Wohnbebauung an dieser Stelle hochwertig gewesen sein muss, davon zeugen prachtvolle Mosaike wie das Dionysos-Mosaik, das unweit des Doms an seiner Originalstelle im Römisch-Germanischen Museum liegt. Auch beim Einbau der Dombauhütte wurden Mosaike entdeckt. „Sogar Albertus Magnus, der Wegbereiter für die Kölner Universität, schrieb über die Grundsteinlegung des Doms am 15. August 1248, deren Zeuge er war, von den wunderbaren bunten Fußböden“, weiß Stinnesbeck zu berichten.
Unter dem Dom ist die römische Infrastruktur auch zwei Jahrtausende später gut erkennbar - Straßenzüge, Gullys, Wohnbebauung, sogar eine römische Fußbodenheizung. Das sogenannte Hypokaustum funktionierte, indem heiße Ofenluft in Hohlräumen unter dem Fußboden zirkulierte. „Da diese Schächte hier später zugeschüttet wurden, sind die Säulen, die den Fußboden trugen, noch intakt“, sagt Stinnesbeck. Besonders sei auch die Wandbemalung aus einem Wohnhaus aus dem 1. oder 2. Jahrhundert. „Sie ist zwar optisch nicht besonders, aber raumhoch erhalten. Das gibt es sonst nie.“

Das römische Hypokaustum unter dem Dom.
Copyright: Nabil Hanano

Die wandhohe Bemalung aus der Römerzeit.
Copyright: Nabil Hanano
Aus heutiger Sicht zum Glück war Recycling schon damals ein großes Thema. Altes Baumaterial wurde wiederverwendet, allerdings auch Kalkstein zu Mörtel gebrannt. Bei Neubauten wurden zudem oft Erde aus den Baugruben aufgeschüttet und der Boden höher gelegt. Beides führt dazu, dass die verschiedenen historischen Epochen bis heute in der Erde vorhanden sind und dass die Füllmasse selbst meist aus historischem Baumaterial bestand. „Für uns Archäologen ist das natürlich ein großes Glück“, sagt Stinnesbeck.
So finden sich nicht nur Überreste von den Römern, sondern auch aus der fränkischen Zeit. Schon für das 6. Jahrhundert kann eine kirchliche Nutzung des Areals nachgewiesen werden. Aus dieser Zeit stammt das Baptisterium, die Taufkirche. Deren Becken wurde schon 1866 östlich des Domchors entdeckt und ist bis heute am Originalstandort zu besichtigen. Die Historiker gehen aber davon aus, dass es schon in den Jahrhunderten davor eine Gemeinde gab, die sich heimlich traf, bis es 313 legal wurde. Die zum Baptisterium gehörige Kirche lag unter dem heutigen Chor. „Der Altar stand damals schon genau dort, wo heute der Hochaltar steht“, weiß Stinnesbeck. „Nur viereinhalb Meter tiefer.“ Auch die Gräber von vermutlich Königin Wisigarde und einem kleinen Jungen deuten auf die kirchliche Nutzung hin. „Bestattungen gab es in der Stadt nur im Umfeld von Kirchen“, sagt Stinnesbeck.
100 Meter langer Alter Dom
Ende des achten Jahrhunderts wurde dann „tabula rasa“ gemacht, alles abgerissen und neu gebaut. Unter Hildebold, dem ersten Kölner Erzbischof, entstand der sogenannte Alte Dom. „Er hatte eine beeindruckende Größe von fast 100 Meter Länge“, sagt Stinnesbeck. Der alte Fußboden kann heute noch ebenso unter der Kathedrale besichtigt werden wie die abgenutzte Steinschwelle im alten Eingang. Doch nachdem die Reliquien der Heiligen Drei Könige 1164 aus Mailand angekommen waren, strömten immer mehr Pilger nach Köln. Der Dreikönigenschrein brauchte ein größeres Zuhause. Also wurde 1248 mit dem Neubau des gotischen Doms begonnen.
„Um weiter eine funktionierende Bischofskirche zu haben, wurde zunächst nur ein Teil des Alten Doms abgerissen“, sagt Stinnesbeck. Stückchenweise arbeitete man sich voran. Besonders die Pfeiler- und Turm-Fundamente, die kurz nach 1322 errichtet wurden, sind in der Grabungsstätte schwer beeindruckend. 30 mal 30 Meter, 16 Meter tief reicht beispielsweise der Südturm in die Erde hinein. „Man wusste nicht, wieviel Fundament man braucht“, sagt Stinnesbeck. „Deswegen wurde nach dem Motto ,Lieber mehr als zu wenig' bis zum Grundwasser hinunter gegraben.“ Besucher können an einer Stelle bis zum tiefsten Punkt hinab auf den Sand schauen. Nichts für Menschen mit Höhenangst.
Eine Straße mit Kopfsteinpflaster unter dem Dom
Auch die Glocken wurden hier unten gegossen, um sie dann später in den Turm zu bringen. „Das wirklich Beeindruckende an dieser Baustelle war die Logistik“, sagt Stinnesbeck. Und so findet sich unter dem Dom noch eine gotische Baustellenzufahrt, eine Straße aus Kopfsteinpflaster. „Die Zufahrt führte über die Nordseite, den Hang hoch, und musste befestigt werden, damit die Ochsenkarren nicht im Matsch abrutschten“, erzählt Stinnesbeck. Aus der Baustellenphase 1322-25 gibt es zudem Graffitis an Wänden zu entdecken, wo einst die Werkstätten waren. „Was genau diese Zeichnungen zeigen sollen, wissen wir leider nicht“, so Stinnesbeck. Aber die Rundbögen an einigen Stellen lassen sich klar einordnen. Sie dienten zur übergangsweisen Stütze, sagt Stinnesbeck: „Wie könnte es anders sein, auch damals gab es in Köln schon Provisorien - und sie halten bis heute.“

Die kannelierte Säule im Tunneldurchgang zum Turm.
Copyright: Nabil Hanano
Erst 2008 erschloss man dann bei den Tunnelfräsungen den Durchgang durchs Fundament. Im Tunnel zum Südturm lässt sich noch einmal das Recycling, der Einbau sogenannter Spolien, deutlich erkennen. Wer es nicht weiß, dem fällt die runde helle Stelle vermutlich gar nicht auf. Und wer sie sieht, vermutet eher, dass hier nachträglich verputzt wurde. „Aber es ist der Querschnitt einer kannelierten Säule aus dem Alten Dom, gut erkennbar an den Rillen rundrum“, erklärt Stinnesbeck die Stelle, an der Besucher zur Turmbesteigung meist achtlos vorbeigehen.
Plötzlich setzt oben im Dom die Orgel ein. Die Zeitreise endet. Durch die jahrtausendealten Steine schwingen die Töne und locken wieder zurück in die oberirdische Welt. Ins Volle, ins Laute, ins Warme.